Oper:Verliebt, verliebt, verliebt

Die Verlobung im Kloster

Therapiestunde für Opernsüchtige: Das Bühnenbild der Inszenierung ist ein Zuschauerraum, den die Sänger nie verlassen.

(Foto: Martin Walz; Ruth und Martin Walz)

Die im Westen selten gespielte Oper "Die Verlobung im Kloster" in Berlin.

Von Reinhard J. Brembeck

Sergej Prokofjews Oper "Die Verlobung im Kloster" von 1940 wird im Westen so gut wie nie gespielt. Warum das so ist und warum das ein Fehler ist, das erläuterten jetzt Dirigent Daniel Barenboim und Regisseur Dmitri Tcherniakov mit einer grandiosen Aufführung an der Berliner Lindenoper. Denn dieses Stück widerspricht allen gängigen Operngewöhnlichkeiten. Hier gibt es keine dramatischen und tödlich endenden Konflikte wie in "Carmen" oder "Otello", keine Abgründe wie im "Figaro", kein Welt- und Gesellschaftsdeutungspathos wie in der "Zauberflöte" oder dem "Ring" und auch keine sozialkritischen Albernheiten wie bei Offenbach. Es fehlt auch alles Skurrile, Groteske oder Überzogene. Was also bleibt?

Don Jerome. Der schlaksige und hinreißende Stephan Rügamer erinnert an Louis de Funès und singt den Jerome entspannt strahlend als reichen Sorglos-Señor, der auch auf der Trompete den Musikern sein etwas zweifelhaftes Lieblingslied vortrötet und zuletzt noch Glasharmonika spielt. Don Jerome ist Sevillaner und hat eine Tochter, Luisa, die nicht so will wie er. Sie will nicht den alten und aus der Form gegangenen reichen Fischgroßhändler Mendoza heiraten, sondern den hübschen armen Antonio. Den kriegt sie auch. Darum geht es zweieinhalb Stunden lang und am Ende sind drei Hochzeiten zu feiern und fast alle sind froh, bis auf Mendoza, der Luisas altes und schachteliges Kindermädchen Duenna untergeschoben gekriegt hat.

Violeta Urmana, diese grandiose Sängerin, zeigt Duenna mit all der Würde, die das Alter mit sich bringen kann, wenn eine Frau das Alter bewusst lebt. Sie beharrt darauf, noch im Alter sexuell aktiv zu sein, und auch auf dem Recht, sich einen reichen Mann zu verschaffen. Diese Duenna ist genauso emanzipiert wie die beiden jungen Mädchen, die hier gegen das lächerliche Patriarchat aufbegehren und es spielend außer Kraft setzen. Allerdings ohne es abzuschaffen. In der finalen Versöhnung mit dem Vater Don Jerome endet die Emanzipation.

Daniel Barenboim und seine Staatskapelle spielen sich an diesem grandiosen Abend nie in den Vordergrund. Sie bleiben dezent, treiben unmerklich an, schmiegen sich um die Stimmen ihrer Sänger. Das entspricht völlig dieser nie geschwätzigen, nie Rossini-rasanten Partitur, die die Leidenschaften stets liebevoll ummantelt und sie nie existenziell verdickt, die eine Reihe gängiger Formen fein neu denkt. Alles atmet hier Heiterkeit, ist Dezenz und Frühlingsgefühl. Das Leichte und artifiziell virtuos, aber nie angestrengt Gemachte ist der Kern dieser Oper, die deshalb als befreiende Atempause im ansonsten bedeutungsschweren und tragikgesättigten Opernalltag daherkommt.

Barenboim zerrt Tcherniakov am Arm trotz der Buhs an die Rampe

Auch Regisseur Tcherniakov lässt sich völlig auf Barenboims Sichtweise ein. Tcherniakov ist ein Liebhaber von kauzigen Glaubensgemeinschaften, die irgendwo abgeschlossen von der Welt ihr Credo leben. So baut er sich hier als sein eigener Ausstatter einen hellen Saal hin voller Opernsessel, die je nach Bedarf verschoben werden. Da findet eine Gruppentherapie schwer abhängiger Opernaficionados statt. Alle neun Sänger sind immer auf der Bühne, kleiden sich vor aller Augen um, intrigieren vor aller Ohren und erfinden die "Verlobung im Kloster", um sich von ihrer Sucht zu befreien. Doch Prokofjews Anti-Oper ist kein Methadon sondern der goldene Schuss. Zuletzt strömt der Chor herein, verkleidet als Königin der Nacht, Otello, Carmen, Boris Godunow, Elisabeth I., Don Quijote, und reiht sich das "Kloster"-Personal als gleichberechtigt ein.

Die wundervollen Sänger haben sicht- und hörbar einen riesigen Spaß daran, einmal nicht staatstragend ernsthaft sein zu müssen. Sie und ihr Regisseur sind aber auch klug genug, nichts zu übertreiben, niemanden zu diffamieren oder lächerlich zu machen. Aida Garifullina (Luisa) ist verliebt, verliebt, verliebt und ihr leichter und voller Sopran weiß das und ist schnell, quirlig und erfinderisch. Bogdan Volkov zeichnet ihren Antonio als einen leicht trotzigen Woody Allen. Anna Goryachova (Clara) und Andrey Zhelikhovsky (Ferdinand) sind dagegen das deutlich bravere Paar, stimmlich brillant aufeinander abgestimmt. Und Goran Jurić gibt den Fischhändler Mendoza natürlich nicht als hässliche Judenkarikatur, sondern als bunt behemdeten Pauschalreisenden, dem übel mitgespielt wird. Da kommt ein ganz klein wenig Bitternis in diese wundervoll schwebende Komödienparodie, in der das Ensembletheater triumphiert und verführerisch ein Gesellschaftsideal aufscheint.

Der einzige, der neben begeistertem Beifall trotzdem Buhs einstecken muss, ist Regisseur Tcherniakov. Aber Barenboim zerrt ihm am Arm gegen die Buhs an die Rampe, er stellt sich demonstrativ hinter seinen Regisseur. Und dann will es Barenboim selber wissen, gegen den zuletzt Vorwürfe laut wurden, er würde Mitarbeiter mobben, was er zurückweist. Er kommt zweimal allein vor den Vorhang und lässt sich wie ein römischer Soldatenkaiser per Akklamation einstimmig in seinem Amt als Musikchef bestätigen.

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