"Only Lovers Left Alive" im Kino:Der Gegenwart ist nichts mehr heilig

"Only Lovers Left Alive" im Kino: Last Independent - Tilda Swinton als Vampirin Eve in Jim Jarmuschs Film "Only Lovers Left Alive".

Last Independent - Tilda Swinton als Vampirin Eve in Jim Jarmuschs Film "Only Lovers Left Alive".

(Foto: Pandora)

Früher war alles besser: Jim Jarmuschs "Only Lovers Left Alive" ist ein Vampirfilm mit Kultur - aber nur mit jener, die in vielen Jahrhunderten vergangen ist und verloren. Und im Jetzt? Da ist den Menschen so wenig heilig, dass sogar den Blutsaugern schlecht wird.

Von Susan Vahabzadeh

Wie wäre das, wenn man schon seit Jahrhunderten da wäre, und der Welt zuschauen würde, wie sie sich wandelt? Die gute Nachricht: Man hätte Zeit gehabt, die gesamte Weltliteratur in Originalsprachen zu verschlingen. Die schlechte Nachricht: Um dem Liebsten die Gegenwart schmackhaft zu machen, hilft nur ein Hinweis auf die Pest und die Inquisition.

Adam und Eve, Tom Hiddleston und Tilda Swinton, sind nicht ganz so alt wie die Menschheit: Sie sind Vampire und wandeln unbeirrt durch die Jahrhunderte, als Paar, manchmal getrennt und doch unzertrennlich.

Traumhaft ist die Anfangssequenz, die Kamera kreist über Adam und Eve, die auf getrennten Lagern liegen, die wüsten Haare um sich ausgebreitet, berauscht vom Blut, zu Musik wie aus den Sixties: zwei Vampire, die einen Traum aus den Sechzigern sich erhalten haben.

Zu Beginn des Films haust Eve noch in Marokko, ein Hippie-Leben. Sie streift nachts durch die Stadt, trifft sich mit ihrem besten Freund, dem sie schon zur Seite stand, als er erst als Christopher Marlowe und dann als Shakespeare die Weltliteratur rockte.

Marlowe geht es nicht gut - sie alle, die Vampire, vertragen das Blut nicht mehr gut, das sie noch bekommen können: alles verunreinigt, kontaminiert, sie besorgen es sich von Ärzten und in Krankenhäusern.

Adam dürstet es nach seiner Liebsten, er ist lebensmüde. Fast so schlimm wie damals, als er immer mit Lord Byron herumhing und seinen depressiven Dichterfreunden. Also nimmt Eve einen Nachtflug nach Amerika. Wenn sie reisen, reisen sie als Stephen Dedalus und Daisy Buchanan - es fällt eh keinem auf, dass das irgendwie komisch klingt.

Ein traumhaftes, sanftes Paar, das durch diesen Film tänzelt, ein wenig, als wären sie tatsächlich bekifft, und immer mit dem schwarzen Jarmusch-Humor bewaffnet - Eve ist für geistreiche Gags zuständig, Adam für offenen Sarkasmus.

"Only Lovers Left Alive" ist eine Vampir-Liebesgeschichte, vermengt mit einer fetischistischen Verehrung alter Kunst, von romantischer Dichtung bis zu Buster Keaton, dessen Bild an der Wand hängt.

Jarmusch, der mit Filmen wie "Stranger than Paradise" und "Down by Law" in den Achtzigern zu einer Ikone des unabhängigen amerikanischen Kinos geworden ist, als es sich als Bewegung gerade erst formierte, hat immer schon seine Geschichten aus Stimmungen entstehen lassen und aus den Figuren, nicht aus einer traditionellen Dramaturgie.

"Only Lovers Left Alive" ist seine beste Arbeit seit Jahren - komisch und melancholisch, vielleicht ein wenig kryptisch, vielschichtig verschlüsselt. Was daran liegt, dass das meiste nicht in den Dialogen passiert. Es geht um die Räume und die Orte, jedes Kostüm und jedes alte Musikinstrument spricht für sich in diesem Film - wie ein Plädoyer für die Vergangenheit.

"Only Lovers Left Alive" spielt an Orten, an denen die Zeit stehen geblieben ist: in den Suqs von Tanger, die so sind, wie sie immer waren; und vor allem in Detroit, in einem Stadtviertel, das von Gott und der Welt verlassen wurde, verfallene Prachtvillen künden von besseren Zeiten.

Jarmusch hat, als er sich entschloss, in Detroit zu drehen, noch nicht gewusst, dass die Stadt tatsächlich inzwischen pleite sein würde, aber man sieht es hier schon: Überreste des Reichtums, den die Industrie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts dorthin brachte - das Paris des Mittleren Westens, hat Jarmusch selbst gesagt -, und ganze Stadtviertel, die sich die Natur zurückholt.

In so einer Gegend lebt Adam, alles um ihn herum ist past its prime. Sein einziger Kontakt zur Außenwelt ist Ian, der ihm alte Gitarren besorgt und ihn für einen verschrobenen Rockstar hält. Von ihm lässt sich Adam eine Kugel besorgen aus Holz, um sich selbst zu richten.

Eve trifft gerade noch rechtzeitig ein, um wieder Ordnung in sein Leben zu bringen. Diese Vampire jagen nicht, aber sie fürchten den Tag. Irgendwann taucht Eves Schwester (Mia Wasikowska) auf, auch ein Vampir, aber mit der Zeit gegangen: ein nutz- und verantwortungsloses Partyluder, das so gut zu den beiden passt wie Paris Hilton zu Keith Richards.

Rockstars und Vampirdasein, das verträgt sich gut. Als Geschichte mag das, was Jarmusch hier erzählt, sich manchmal ein wenig verplaudern. Doch die Bilder, die Stimmung, die sie beschwören, sprechen für sich.

Adam und Eve sind Metaphern, sagt Jarmusch, "für den gegenwärtigen Zustand menschlichen Lebens - sie sind zerbrechlich und in Gefahr, empfindlich für die Gewalt der Natur, und für das kurzsichtige Verhalten derer, die an der Macht sind". Adam und Eve sind, in Jarmuschs Erzählung, so ziemlich die letzten wahren Menschen, in ihrer Welt voller Vinylplatten, Samtjacken und alter Häuser herrscht Endzeitstimmung.

Jarmusch ist inzwischen sechzig Jahre alt, und natürlich wohnt diesem Film die Idee inne, dass früher alles besser war. Das Kluge aber ist, dass er sich nicht für ein bestimmtes Früher entschieden hat - die Welt, die er hier entstehen lässt, ist ein Sammelsurium, ein "Best of " der Jahrhunderte und der Kulturen, in dem alles zusammenfindet, was die Menschen für erhaltenswert erachtet haben.

Nur im Jetzt ist ihnen nichts mehr heilig, sie ersetzen alte Pracht mit neuer Armut, alte Reinheit mit neuem Gift: Und irgendwie ist es ja tatsächlich das Privileg unserer Zeit, auch absurde Neuerungen zu einer großen Sache zu erklären, nur weil sie neu sind; und gleichzeitig großartige Errungenschaften - Nahrungsmittel ohne Konservierungsstoffe, das Kino, wie es einmal gewesen ist, den Datenschutz - über Bord zu werfen, bloß weil sie ins moderne, volldigitalisierte Umfeld nicht mehr so recht hineinpassen. In die Welt von Adam und Eve darf das neue Jahrtausend nur mit einer Erfindung hinein: Sie skypen mit Begeisterung.

Es ist auf eine Art also schon etwas dran an dieser Sehnsucht nach gestern, die "Only Lovers Left Alive" treibt. Die letzten Liebenden sind die beiden dann am Ende aber doch nicht gewesen, und darin steckt ein wenig Hoffnung: dass es irgendwo noch ein echtes, unzerstörbares Gefühl gibt.

Only Lovers Left Alive, USA 2013 - Regie und Buch: Jim Jarmusch. Kamera: Yorick Le Saux. Mit: Tilda Swinton, Tom Hiddleston, Mia Wasikowska, John Hurt, Anton Yelchin. Pandora, 122 Minuten.

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