SZ-Serie: Die grüne Frage:Elfen auf dem Plumpsklo

Abteilung Sockensparer: Ein Vierteljahr lang war Jan Grossarth mit Öko-Aussteigern unterwegs. Über seine - teilweise sehr skurrilen - Erlebnisse berichtet der Journalist nun in einem Buch.

Rudolf Neumaier

Man kann sich an alles gewöhnen, sogar an ein Leben ohne Dusche. Und daran, die Socken sieben Tage lang nicht zu wechseln. Und überhaupt: Brauchen wir eigentlich Socken? Na ja, Schaf- und reine Baumwollsocken sind schon okay. Aber würde es unserem Planeten auf Dauer nicht ein bisschen besser gehen, wenn wir alle sockenlos liefen? Oder gleich barfuß? Und wenn wir auf Autos verzichteten? Und auf Geld?

Nicht nur Socken in Sandalen sind tabu - Stilsünden des Sommers

Beim Tretwerk gespart: Einige Öko-Aussteiger wechseln ihre Socken nur einmal die Woche - die Schuhe erst dann, wenn sie auseinander fallen.

(Foto: dpa-tmn)

Abwegig.

Der Elf Pavlik lebt ohne Geld. Er ernährt sich hauptsächlich von Lebensmitteln, die Supermärkte nach Ladenschluss in ihren Müllcontainern entsorgen. Wer ihm eine Quarkschnecke anbietet, bekommt eine Absage, wenn sie beim Bäcker gekauft wurde. "Tut mir leid", sagt er, "ich kann sie nicht essen, weil du sie gekauft und damit die Nachfrage nach Quark erhöht hast. Hätten wir sie als Abfall in einem Container gefunden, würde ich sie essen." Denn Quark ist ein tierisches Produkt, und er findet es verwerflich, dass sich der Mensch das Tier untertan macht.

Ob der Elf - der mit bürgerlichem Namen Pawel Jósef Stanczyk hieß, ehe er alle seine Papiere wegwarf - glücklich ist? Erfüllt von seiner Mission, die Menschheit vom Schwachsinn des Geldverkehrs zu überzeugen, scheint er jedenfalls zu sein. Und er war auch keineswegs betrübt, als sich sein Besucher namens Jan Grossarth nach drei Tagen etwas überstürzt von ihm verabschiedete, weil er von Pavliks Ernährungsweise Magen-Darm-Beschwerden bekam.

Jan Grossarth, 29, bestreitet den Lebensunterhalt seiner Familie als Wirtschaftsredakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ein Vierteljahr ist er aus diesem Job ausgestiegen, um mit Menschen zu leben, die andere Zivilisationsformen und praktisch das komplette Gegenmodell zu dem exerzieren, was sich auf den Wirtschaftsseiten einer Tageszeitung abspielt. Er traf Leute wie den selbsternannten Elfen. Um deren Dasein in seiner gesamten Authentizität zu erfassen, kündigte Grossarth sogar seine Krankenversicherung.

Dem Untertitel seines gerade erschienenen Buches "Vom Aussteigen & Ankommen" (Riemann-Verlag,Jan GrossarthMünchen 2011, 318 Seiten, 18,95 Euro) zufolge besuchte er Menschen, die "ein einfaches Leben wagen". Einfach? Es gehört schon was dazu, seine Exkremente an die Hühner zu verfüttern und dann deren Eier zu essen. Jan Grossarths Skrupel vor Eiern zieht sich durch das ganze Buch. Andererseits: Einfach ist es auch nicht, ein Frühstücksei zu verzehren, wenn man am Vorabend einen Film über die industrielle Eierproduktion in Hühnerfabriken gesehen hat.

Grünes Dasein ohne die Grünen

Ein Mainstreammensch öffnet sich in Grossarths Reportage den Gruppen und Individuen, die gegen den Strom schwimmen oder zumindest neben ihm. Lebensextremisten. Sie fristen ein durch und durch grünes Dasein, doch kaum einer von ihnen würde die Grünen wählen, die im Vergleich zu diesen Leuten wie Tensid-belastete Weichspüler wirken, sondern - wenn überhaupt - Kleinstparteien wie die DKP, die Violetten, die MLPD oder die Tierschutzpartei.

Viele von ihnen haben schon lange weitgehend abgeschlossen mit dem Staat, seinen Institutionen und der Ökonomie. Sie haben neue Kollektive und Wirtschaftskreise gebildet oder schlagen sich als Einzelgänger durch. Es funktioniert. Aber es funktioniert nur, weil es sich um Mikrokonzepte handelt, denen sich Menschen aus eigenem Antrieb anschließen. Grossarth zitiert Jean-Jacques Rousseaus Erkenntnis, wonach menschliches Handeln nur in kleinen Gesellschaften möglich sei.

Gülle ist Gold

Wer nicht mehr kann und mag, kann aussteigen und zurück in die Stadt ziehen. Aufs Große und Ganze wären diese einfachen Systeme nur um den Preis der individuellen Freiheit anwendbar. Zum Beispiel der Freiheit, gelegentlich ein Schnitzel zu essen oder sich im Klo eine Wasserspülung zuzulegen.

Unter konsequentem grünen Leben versteht man im Ökodorf Sieben Linden unter anderem, Plumpsklos zu benutzen. In der Siedlung nordöstlich von Wolfsburg in der Altmark kommen die etwa 130 Bewohner vor allem mit dem Solarstrom aus ihrer genossenschaftlichen Erzeugung aus. Wasser kommt aus dem Brunnen. Sie versuchen, sich selbst zu versorgen, so weit es geht. Nur ein Drittel des Obstes und Gemüses, das sie verbrauchen, müssen sie zukaufen.

Das Geld, das die Siebenlindener dazu brauchen, nehmen sie durch die zahlreichen Seminare ein, die sie anbieten. Die Teilnehmer bilden sie in allen Belangen des ökologischen Lebens aus: Vom Bau eines Lehmhauses über die Errichtung eines Holz- und Strohballenbaus bis zum Transition-Training, das ein Diplom-Physiker mit langjähriger Erfahrung in buddhistisch geprägter Gruppenarbeit leitet und das die Workshopper auf einen "kraftvollen, persönlichen Weg hin zu größerer persönlicher Resilienz" führen soll, und zum Kreativtanzkurs "Well dance - Tanz dich frei!" bieten sie ein überaus breit gefächertes Programm.

Bei Mitarbeitswochen zahlen die Gäste nur für die Verpflegung. Allerdings dürfen sie dann richtig ran: Jan Grossarth musste mit einem Sinnsucher aus Cottbus einen achtzig Meter langen Wassergraben ausheben. Beim Schaufeln ereilte ihn eine Halluzination: In einem roten Sandstein sah er eine Trüffelleberwurst. Als er sich dann mal zwei Stunden Freizeit gönnte, um für sein Buch zu recherchieren, kam die Kursleiterin mit der Pferdekutsche und sagte, er müsse arbeiten oder gehen. Er ging. Allerdings sollte er noch einen Teilnahmebeleg unterschreiben, mit dem das Ökodorf eine Erwachsenenbildungszulage vom Land Sachsen-Anhalt beantragen konnte.

Nur ein ''Irrer''

Trotz aller Entbehrungen auf seiner Reise zu den Aussteigern beschreibt Grossarth seine Gastgeber ziemlich nüchtern. Ohne Spott und Häme - auch seine spirituell, nun ja, abenteuerlicheren Gastgeber wie den Stamm der Likatier in Füssen, Allgäu, und die Föderation Damanhur. Beide erinnern in ihrer Weltanschauung an Sekten. Die bizarren Erlebnisse dort - die Praxis, sich Tiernamen zu geben bei den einen, die Lizenz zur freien Liebe bei den anderen - werden ebenso neutral geschildert wie das karge Leben der katholischen Ordensgemeinschaften, bei denen der Autor sich in Köln und Nürnberg einquartierte.

Der Begriff Spinner kommt in diesem Buch nicht vor. Nur einmal glaubte Grossarth, bei einem "Irren" gelandet zu sein, lässt sich aber belehren und revidiert sich. Er verweist auf Michel Foucault: Wenn der Vernünftige nicht mehr mit dem Wahnsinnigen kommuniziere, sei er selbst wahnsinnig. Also ist der niedersächsische Ökobauer, der sich auf die Vorstufe der allgemeinen Zivilisation begeben und die Flucht von Frau und Kindern in Kauf genommen hat, kein Wahnsinniger, sondern ein Andersdenkender. Der Mann sagt: "Für mich ist Scheiße Gold. Dass wir aus Scheiße Sondermüll gemacht haben, darin sehe ich das Symbol für den Niedergang unserer Kultur." Dieser Landwirt nimmt jedoch immer noch teil an der Gesellschaft: Donnerstags radelt er ins Wirtshaus. Zum Tangotanzen. Barfuß.

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