New Feminism:"Im Feminismus sollten Männer nicht die Führungsrolle einnehmen"

New Feminism: Sex, Lügen und Revolution: Darum geht es in "Unsagbare Dinge", dem neuen Buch der britischen Feministin Laurie Penny.

Sex, Lügen und Revolution: Darum geht es in "Unsagbare Dinge", dem neuen Buch der britischen Feministin Laurie Penny.

(Foto: Illustration: Jessy Asmus / SZ.de)

Warum lehnen viele den Feminismus ab? Woher kommt der Frauenhass im Netz? Fragen an die britische Autorin Laurie Penny, die in ihrem Buch "Unsagbare Dinge" erklärt, warum Sexismus Frauen noch immer zum Schweigen bringt.

Von Felix Hütten

Massenandrang für Geschlechtergerechtigkeit? Ja, das gibt es. In Berlin stehen Hunderte Menschen Schlange, um die britische Feministin Laurie Penny zu hören. Die 28-jährige Autorin ist mit ihrem neuen Buch "Unsagbare Dinge" auf Lesereise durch Deutschland. Und diskutiert darüber, warum der moderne Feminismus sich nicht um die Frage der Körperbehaarung kümmert, wohl aber für neue Geschlechterrollen kämpft - für Frauen und Männer.

SZ: Laurie, du bist eine Schlampe. Solltest du nicht zu Hause sein und deinem Mann etwas zu essen kochen?

Laurie Penny lacht.

Diesen Satz hat Ihnen jemand auf Twitter zugeschickt. Wie fühlen sich solche öffentlichen Beleidigungen an?

Oh Gott, das passiert mir oft. Wenn mir Hunderte schreiben, dass ich eine Fotze bin und es nicht verdient habe, meine Arbeit zu machen, dann tut das weh. Zum Glück habe ich Freunde, die mich daran erinnern, dass solche Angriffe nicht alles sind im Leben.

Ist das Internet doch nicht der freie und demokratische Raum, den wir uns immer vorgestellt haben?

Die einzigen Menschen, die das dachten, sind weiße heterosexuelle Männer. Für alle anderen war das Internet nie ein demokratischer Raum, in dem es gerecht zugeht. Aber: Das Netz bietet uns auch Werkzeuge des Widerstands. Wenn ich Vergewaltigungsdrohungen von einem Typen bekomme, könnte ich im Netz die Adresse seiner Mutter herausfinden und ihr zeigen, was ihr Sohnemann so treibt. Ich habe das nie gemacht, aber das wäre doch eine ziemlich kreative Lösung.

Bekommen Sie diese Anfeindungen, weil Sie eine Frau sind - oder eine Feministin?

Ich denke, beides. Es ist der Preis, den ich als feministische Autorin zahlen muss. Ich kenne aber Wissenschaftlerinnen, schlicht Frauen in öffentlichen Positionen, die ähnliche Anfeindungen bekommen. Deshalb sage ich mir immer wieder: Wenn ich aufhöre mit meiner Arbeit, dann haben diese Trolle gewonnen. Ich nenne das silencing: Wir sollen zum Schweigen gebracht werden.

Wie erklären Sie sich diesen Hass?

Die Trolle wollen die Debatte abbrechen. Sie wollen, dass Frauen und insbesondere Feministinnen die Klappe halten und verschwinden. Einen Mann, der politische Bücher schreibt, fragt niemand, warum er das tut. Aber niemand will verärgerte schwarze Menschen hören, verärgerte Trans-Menschen und auch keine verärgerten Frauen. Viele Männer haben Angst vor dem Wandel, der im Moment passiert. Sie fürchten sich vor Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, die Stimme erheben, womöglich sogar damit berühmt werden.

Sie werden gerade berühmt mit Ihrem neuen Buch "Unsagbare Dinge".

Eigentlich bin ich nicht berühmt, das scheint nur in Deutschland so zu sein. In New York kamen zur Buchpremiere 20 Leute.

Wie erklären Sie sich das?

Ich denke, in Deutschland wurde die feministische Debatte von einigen wenigen Leuten geführt, zum Beispiel von Alice Schwarzer. Viele sehnen sich nach neuen Stimmen. Mir hilft es natürlich auch, dass ich Ausländerin bin. Eine junge deutsche Feministin würde wahrscheinlich für ein Buch wie meines viel mehr angefeindet. Zu Hause ist man doch nie ein Held.

Wundern Sie sich auch deshalb über Ihren Erfolg, weil in Ihrem Buch eigentlich nichts Neues steht?

Sie finden, da steht nichts Neues drin? Ich erkläre in meinem Buch, wie Geld, Liebe, Macht und sexuelle Gewalt zusammenhängen und unsere Leben beeinflussen. Es geht in meinem Buch um die Frage, wie Rollenklischees entstehen, wie Geschlechter konstruiert, Sex mit Sexismus verwechselt und Frauen daran gehindert werden, sich zu entfalten.

Das ist nah dran an bekannten Überlegungen, zum Beispiel von Simone de Beauvoir oder Judith Butler.

Wir reden heute über einen neuen Feminismus, aber die meisten Ideen des new feminism sind alt. Manche Punkte in meinem Buch wurden schon in den Siebzigern geäußert, zum Beispiel die Diskriminierung schwarzer Frauen oder Homosexueller. Es ist absolut falsch zu glauben, dass sich der Feminismus nur um weiße, heterosexuelle Frauen kümmern sollte. Solange Frauen ganz verschiedene Leben führen, schwarz oder lesbisch sind, muss sich der Feminismus diesen unterschiedlichen Lebenssituationen widmen. Dank des Internets und des Engagements junger Menschen kommen diese Fragen jetzt wieder ans Tageslicht - weil sie eben noch immer aktuell sind. Das ist ein Grund, warum ich das Buch geschrieben habe.

Feminismus - unnötig?

Ärgert es Sie, dass viele den Feminismus heute für unnötig halten - auch Frauen?

Feminismus ist noch immer ein dreckiges Wort. Viele Frauen lehnen den Feminismus ab, sind aber für gleiche Bezahlung, fordern das Recht auf Abtreibung oder wollen Kind und Karriere vereinen. Dabei ist Feminismus keine Identität. Er ist ein Werkzeug, vielleicht sogar eine Waffe. Und Frauen, die auf den Feminismus scheißen, beleidigen alle, die sterben mussten im Kampf um die Rechte, die wir heute genießen.

Einige Frauen wollen trotzdem nicht, dass Sie für sie kämpfen.

Wenn zwei Frauen, nennen wir sie zum Beispiel Hilda und Anna, nicht wollen, dass wir für Abtreibungsgesetze kämpfen, können wir nicht sagen: "Abtreibungsgesetze jetzt - nur bitte nicht für Hilda und Anna!" Also kämpfen wir für sie mit. Und wenn das Patriarchat eines Tages auf sie scheißt, kämpfen wir mit ihnen.

Müssten wir deshalb aber nicht weg vom Feminismus - hin zu einer neuen Bewegung, die sich allgemein mit Gerechtigkeit in der Gesellschaft beschäftigt? Das würde vielleicht Hilda und Anna und auch mehr Männer ins Boot holen.

Der Begriff Feminismus macht klar, dass Frauenrechte unglaublich wichtig sind. Wir alle sind unterdrückt von Geschlechterrollen, auch Männer - aber Frauen eben ganz besonders. Das anzuerkennen, heißt nicht, dass Männerrechte nicht wichtig sind. Aber in dieser Bewegung sollten Männer nicht die Führungsrolle einnehmen. Ich glaube, viele Männer tun sich schwer damit, das zu akzeptieren. Das ist nicht mal ihr Fehler. Ihnen wurde beigebracht, dass sie immer den wichtigsten Teil in einer Debatte spielen sollten.

Wenn sich der Feminismus den Männern zuwendet, könnte das wenigstens den Hass im Netz stoppen, über den wir am Anfang gesprochen haben?

Oh Gott, nein. Wenn ich gelegentlich über Männerfragen spreche, bekomme ich den meisten Hass. Männer schreiben dann: "Oh nein, sie spricht über uns! Geh weg!" Dabei sehe ich so viele Männer, die unter Rollenklischees leiden, die zum Beispiel keine Emotionen zeigen können. Aber das machen nicht Frauen mit ihnen, sondern das macht das Patriarchat. Deshalb können auch Männer Feministen sein. Feminismus wird unser aller Leben besser machen. Eigentlich haben wir keine Wahl.

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