Netrebko-Auftritt in Salzburg:Primadonna mit neuem Prinz

Giacomo Puccinis "La Bohème" in Salzburg - das ist ein Novum in der Festspielgeschichte, das aufhorchen lässt. Umso mehr, da Anna Netrebko als Mimi glänzt und sich mit dem Polen Piotr Beczala ein heldisch-elegantes Gegenüber für die Primadonna gefunden hat.

Wolfgang Schreiber

Man will es nicht glauben, aber in der Festspielhistorie Salzburgs seit 1920 ist noch nie die populärste Oper Giacomo Puccinis aufgeführt worden, die reißerische "La Bohème". Warum eigentlich nicht? Karajan dirigierte hier im hohen Alter die "Tosca", aber spätestens Intendant Gerard Mortier verhängte in Salzburg einen Bannfluch über Puccini: zu diskursfern, süffig, sentimental, kulinarisch, kitschig. Danach gab es dann nur mal die "Turandot".

Singers Netrebko and Beczala perform on stage during dress rehearsal of Giacomo Puccini's opera 'La Boheme' in Salzburg

Anna Netrebko und Piotr Beczala in Puccinis "La Bohème": Ihr Sopran in strahlender Höhe und sein schlank-metallener Tenor, der sein Jugendfeuer heldisch-elegant vertritt, sind das, was der Boulevard jetzt als das "neue Traumpaar" der Oper zu feiern hat.

(Foto: REUTERS)

Der neue Intendant der Festspiele, dem das sogenannte Kulinarische nicht fremd ist, hat die Salzburger Ehrenrettung der "Bohème" wohl vorauseilend beschlossen, aber er wollte ihr nicht verschämt irgendeine Erstaufführung gönnen, sondern "ein glanzvolles Debüt". Für ein solches Statement bürgt fast allein der Markenname Netrebko, der dafür sorgt, dass die Aufführung höchste mediale Aufmerksamkeit bekommt, inklusive Übertragung im ZDF.

Schon außerhalb des Großen Festspielhauses war an dem Abend klar, worum es sich hier handelt. Der Corso der von Sponsoren und Hotels bereitgestellten Luxuskarossen, die sich in den Gassen breit und lang machten, sagt fast mehr aus über die Bedeutung des Ereignisses als Beschreibungen ästhetischer Sachverhalte. Der Leserbriefschreiber der Wiener Kronen Zeitung, der sich über die Automobilshow beim "Jedermann" beschwerte, wäre fast neu gefordert gewesen: "Wer lässt es zu, dass Menschen ohne eigenen Chauffeur nach der Vorstellung sich fehl am Platz fühlen?" Die Herrschaften saßen bei Puccini.

Der Problemfall Salzburg-"Bohème" hat in seinem Kern ein Defizit: Puccinis frühe Oper von 1896 verleugnet die bis heute tragende Salzburger Bühnenidee des Großen Welttheaters, sie negiert die für die Barockoper wie für Mozart, Verdi, Wagner selbstverständliche Fallhöhe der ineinander verzahnten Gefühls-, Charakter- und Staatskonflikte, in deren Räderwerk der Einzelmensch tragisch zermalmt wird. Dafür bietet sie das Privatmenschliche auf berückende Art und Weise: das Leben im Alltäglichen, die Gefühlswallungen schwacher und die Kämpfe schwankender kleiner Leute. Wichtig wird das Milieu und das Stimmungshafte, die in der parlando-genialen Kontrastdramaturgie Puccinis ausgelebt werden können - hier zwischen den Wortwechseln mittelloser Künstler in einer Mansarde über den Dächern von Paris, wo der hitzige Dichter Rodolfo sich in die kranke Blumenstickerin Mimi verliebt.

Daniele Gatti und die Wiener Philharmoniker haben musikalisch viel zu bieten. Stürzen sich wuchtig in die Orchesterschläge des Beginns und haben für die klirrende Kälte und "das diffuse Licht des frühen Morgengrauens" im dritten Bild die flirrende Klangtransparenz zur Verfügung, für die Gefühlswärme des liebendes Paars den melodisch strömenden, dramatisch changierenden Breitenklang. Der Mailänder Gatti führt gespannt das Melos der Italianità in die Klangdramaturgie des Symphonischen, koordiniert den in Farben sich ergießenden Fluss der Musik, wo querschlagende Akzente den Einspruch einzelner Seelen anmelden. Aber die Balance der Stimmen bleibt stets gewahrt.

Netrebko mit überzeugender Künstlerkraft

Tatsächlich ist im melodramatischen Sängergerüst der Sopran Anna Netrebkos das tragende Element. Die vor zehn Jahren in Salzburg zu Ruhm gelangte, inzwischen im Reich des Pop-Mythischen thronende Russin gehört gleichsam in zwei Fächer: Da ist zum einen das Kunstprodukt des perfekt vermarkteten, gehypten Superstars mit der bildschönen Oberfläche, Markenzeichen der Klassik, Symbol für Glanz und wirtschaftliche Gunst der Oper heute, und da ist zum anderen die professionelle Sopranistin und Charakterdarstellerin von Graden. Wie sie da am Anfang auf die Bühne tritt, leicht gekrümmt, tastend, verängstigt, bedroht, das macht sie als das freudlose Pariser Mädchen glaubhaft.

Wenn Netrebko leise "Mi chiamano Mimi" intoniert und mit dem Partner am ersten Aktschluss musikalisch zum höhensicheren Aufschrei "Amor, amor, amor" zusammenfindet, verkörpert sie eine Künstlerkraft, die überzeugt. Ihr Sopran ist jetzt in ein dunkleres Timbre gehüllt, rund ausgeleuchtet, flexibel in der Stimmführung, flammend ohne Schärfe in strahlender Höhe. Sie und der schlank-metallene Tenor des Polen Piotr Beczala, der sein Jugendfeuer heldisch-elegant vertritt, sind das, was der Boulevard jetzt als das "neue Traumpaar" der Oper zu feiern hat.

Am schönsten: Mimis unselige Liebe, Krankheit und fast heimlicher Tod kommen ohne Leidenspathos aus, Netrebko bleibt das ernste traurige Mädchen, das sie am Anfang war. Auch wenn Rodolfos Künstlerfreunde, die Schar junger italienischer Sänger mit dem Marcello des Massimo Cavalletti an der Spitze, die Unglückliche aufzuheitern versuchen. Umso aufreizender die mondäne Kontrastfigur der Musetta - Nino Machaidze mit stählernem Sopran und lasziver Attraktivität.

Die Inszenierung mischt Konvention mit modisch aufgepeppter Stilisierung: Der von Pereira in Zürich geförderte Venezianer Damiano Michieletto versucht, das Genrehafte und Atmosphärische der "Bohème" einzufangen. Puccinis Figuren werden als leicht ausgeflippte Großstadtpflanzen gezeigt, sportiv im knalligen Outfit (Carla Teti), mal aggressiv verzweifelt, mal nur ratlos herumlungernd.

Nur, die Riesenbühne (Paolo Fantin) wird ihnen zur Falle unfreiwilliger Beziehungsarmut: Ehrenwert zwar der Ansatz, anstelle von Luxusdeko die Wohnobjekte minimalistisch auf dem Bühnenboden zu stapeln. Aber dann widersteht man nicht der Versuchung, sich mit Kunstgerümpel zu umgeben, den am Seil hängenden Artisten herzuzeigen oder einem vertikalen Pariser Stadtplan Bedeutung zuzutrauen. Die Begegnung zweier Liebender auf ferner Hochbrücke bleibt indes so klein wie der Existenzialismus dieser Pariser Jugend. Umso größer fegen Puccinis berühmte Kollektive der "Bohème" über die Bühne, Wiener Staatsopernchor und Salzburger Kinderchöre in pittoresken Klamotten. Ovationen - nicht nur für die Sänger.

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