"My First Lady" und "The Purge: Election Year" im Kino:Das ist nicht Amerika - oder doch?

Kinostart - 'My First Lady'

In "My First Lady" kann die Welt wieder ins Lot gebracht werden, wenn man das Herz am rechten Fleck hat und gewillt ist anzupacken - wie Michelle (Tika Sumpter) und Barack Obama (Parker Sawyers).

(Foto: dpa)

Zwei aktuelle Filme zeichnen ein Sittenbild der USA: "My First Lady" über das erste Date der Obamas ist ein Zuckerwattetraum, "The Purge: Election Year" ein blutiges Gesellschaftsexperiment. Einer trifft die aktuelle Stimmung ziemlich gut.

Analyse von David Steinitz

Zigaretten dürfen in amerikanischen Filmen eigentlich nur noch Charaktere rauchen, die Kinder hassen, die Umwelt verschmutzen oder Krieg gut finden. Kippe? Bösewicht!

Folglich muss man es fast schon als Akt der Subversion werten, wenn der junge und selbstverständlich überhaupt nicht böse Barack Obama in der Spielfilmromanze "My First Lady" - historisch ganz korrekt - eine Zigarette nach der anderen raucht und die Sitze seines rostigen Studentenautos mit Asche vollrieselt. Der Bursche ist nervös, und zwar nicht, weil bereits weltpolitische Verantwortung auf ihn wartet, sondern weil er auf dem Weg zu seiner ersten Verabredung mit einem Mädchen namens Michelle Robinson ist. Bei Ms. Robinson handelt es sich natürlich um die künftige Mrs. Obama.

Der Regisseur Richard Tanne hat sich für sein Kinodebüt vorgenommen, die Obamas als Obamas zu inszenieren, bevor sie die Obamas wurden. Das Date an einem heißen Sommertag im Jahr 1989 hat tatsächlich stattgefunden, das spätere Ehepaar hat oft davon erzählt. Der Ex-Kettenraucher Barack hat es auch schriftlich festgehalten, zum Beispiel in seinem Buch "Hoffnung wagen", zwei Jahre bevor er Präsident wurde.

Das Gospel Cinema treibt es mit seinen Moralvorstellungen auf die Spitze

Diese Präsidentschaft kommt jetzt an ihr Ende, und wenn nun bereits während der letzten Monate seiner Amtszeit ein Film ins Kino kommt, der den Obama-Mythos noch mal von seinem idealistischen Anfang her aufrollt, dann ist die spannende Frage natürlich, wie der "Yes, we can!"-Obama mit dem Wissen um den grauhaarigen Obama und seine politischen Kalamitäten retrospektiv inszeniert wird.

"My First Lady" ist allerdings kein wirklich politischer Film, sondern der typische Vertreter eines Genres, das in Hollywood gerne als "Gospel Cinema" bezeichnet wird, und mit dem speziell afroamerikanische Zuschauer angesprochen werden sollen. Der prototypische Vertreter des Gospel Cinema ist der schwarze Schauspieler und Regisseur Tyler Perry, der mit Feelgoodfilmen, in denen schwarze Darsteller christliche Moral preisen, ein Millionenpublikum bedient. "Good Deeds" war zum Beispiel einer seiner Erfolge, über einen Geschäftsmann, der lernt, sich wieder auf die wahren Werte im Leben zu konzentrieren. Diese Filme gibt es natürlich auch von und mit Weißen, aber das Gospel Cinema treibt es mit seinen Moralvorstellungen schon besonders auf die Spitze.

Dieses Kino also, in dem die Welt ungerecht ist, aber durchaus wieder ins Lot gebracht werden kann, wenn man das Herz am rechten Fleck hat und gewillt ist anzupacken, ist Richard Tannes Vorbild bei "My First Lady". Mit dem kleinen Unterschied, dass der 31-Jährige ausgerechnet ein weißer Filmemacher ist, der sich hier auf typisch afroamerikanischem Kinoterrain herumtreibt.

Gemäß den Genreregeln muss Barack Obama (Parker Sawyers) für jede Zigarette die er raucht, ein politisches Ideal ausformulieren, das ihn trotz der Qualmerei als guten Menschen und würdigen Präsidenentenanwärter ausweist. Die Bezeichnung Gospel Cinema löst der Film fast wortwörtlich ein. Michelle (Tika Sumpter) steht ihrem schlaksigen Verehrer, der in derselben Anwaltskanzlei arbeitet wie sie, zunächst skeptisch gegenüber. Die beiden besuchen eine Ausstellung und verspeisen in einem sonnigen Park in Chicagos Southside ein Sandwich, was sie eher mäßig beeindruckend findet. Erst als Barack sie in eine kleine Gemeindekirche in der Nähe führt, wo er einen, naja, semispontanen Vortrag über Werte, Hoffnung, Zukunft hält, beginnt Michelle sich zu verlieben. Eine richtige Gospelbalzshow zieht er da ab. Diese Rede fand in Wahrheit nicht an jenem Sommertag statt, sondern erst ein bisschen später, Tanne hat sie aus dramaturgischen Gründen in den Film aufgenommen.

Befreiung unterdrückter Triebe

Das Ergebnis ist eine dermaßen harmlose Wohlfühlromanze, die alle ernsthaften Brüche so stoisch vermeidet, dass vom Wort "Dramaturgie" eigentlich gar nicht die Rede sein kann. Was daran liegen könnte, dass die Obamas möglicherweise das falsche Pärchen für so ein Projekt der Exekutivliebschaftsbiografie sind. Der dramatische Schlusspunkt ihres Dates ist eine Eisdiele, zweimal Schoko bitte.

Vielleicht hätte sich Tanne lieber dem texanischen Hinterhof-Barbecue widmen sollen, auf dem sich George W. Bush und seine Laura 1977 kennengelernt haben. Eventuell ist das Problem aber auch der aggressive Wahlkampf, der gerade zwischen den Bewerbern um Obamas Nachfolge tobt. In der Schlacht zwischen Hillary Clinton und Donald Trump (aus dessen ersten Dates mit seinen künftigen Ehefrauen man eine ganze Serie machen könnte) wirkt der Zuckerwattetraum "My First Lady" wie von einem anderen Stern.

Der Zufall will es, das in dieser Woche noch ein anderer Film startet, der die aktuelle Stimmung in den USA deutlich besser trifft, und das ist der Horrorfilm "The Purge: Election Year". Die Grundidee: Im Amerika der nahen Zukunft ist die Verbrechensrate auf nahezu null gesunken und die Menschen leben glücklich und friedlich miteinander, weil sie sich einmal pro Jahr in der "Purge Night" abreagieren dürfen. Für eine Nacht dürfen die Bürger mit staatlicher Erlaubnis brandschatzen, morden und vergewaltigen. Diese limitierte Auflösung des Gesellschaftsvertrags sorgt dafür, dass die unterdrückten Triebe befriedigt werden und die Menschen danach wieder Ruhe geben und brav malochen.

Legitimierte Tötungsorgien, um die Massen ruhig zu halten

Dieses blutige Experiment ist keine ganz neue Idee in der Popkultur, auch die "Hunger Games" spielten zum Beispiel schon sehr erfolgreich mit staatlich legitimierten Tötungsorgien, um die Massen ruhig zu halten. Aber es gibt scheinbar genug Zuschauer für mehrere Filmserien über entfesselte Trieblust. Der Regisseur James DeMonaco hat bereits zwei "Purge"-Folgen gedreht, die beide viel Geld eingespielt haben. In Teil drei treibt er seine Idee weiter auf die Spitze. Die Purge Night sorgt weltweit für Begeisterung, weshalb blutdürstige Mördertouristen in Scharen ins Land einfallen, um ihre geheimen Gelüste ausleben zu können.

The Purge: Election Year im Kino

Einmal im Jahr darf in "The Purge: Election Year" mit staatlicher Erlaubnis gebrandschatzt, gemordet und vergewaltigt werden - damit das restliche Jahr Ruhe ist.

(Foto: Michele K. Short; Universal Pictures International France)

In Washington D.C. herrscht derweil Wahlkampf, und die konservative Partei New Founding Fathers of America (NFFA), die die Purge Night erfunden hat, bangt um die Wiederwahl. Eine junge Politikerin will das grauslige Schlachten beenden, bei dem die Menschen mit Messern, Macheten, Gewehren und sogar mobilen Guillotinen durch die dunklen Straßen ziehen, und bei dem sogar Teenager und Rentner sich in Bestien verwandeln. Um damit Schluss machen zu können, kandidiert sie fürs Weiße Haus, was der NFFA gar nicht passt. Sie wollen die Blutnacht nutzen, um die moralisch integre Frau umzubringen.

Wie eine perverse Slapstickvariante des echten US-Wahlkampfs wirkt dieser Film, wenn Mörderbanden mit den Masken alter US-Präsidenten durch die Straßen ziehen und moralische Werte predigen, während sie ihre Äxte schwingen.

Was bleibt, ist die Frage, was zuerst da war, im Kino wie in der Realität: Das Spektakel? Oder doch das Volk, das um jeden Preis unterhalten werden wollte.

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