Messe:Gib mir Gelb!

Messe: Wem alte Meister zu alt und zu heilig sind, dem hilft die App von Refrakt mit digitalem Ikonoklasmus. Mit Büchern hat das nichts zu tun, aber darum ging es bei The Arts+ ja auch gar nicht.

Wem alte Meister zu alt und zu heilig sind, dem hilft die App von Refrakt mit digitalem Ikonoklasmus. Mit Büchern hat das nichts zu tun, aber darum ging es bei The Arts+ ja auch gar nicht.

(Foto: Refrakt)

Wer will David Hockney beim Streicheln von Büchern sehen? The Arts+ soll mehr sein als eine Sektion auf der Frankfurter Buchmesse. Doch blieb unklar, was dort angeboten wird.

Von Jörg Häntzschel

Bruce Springsteen war auf der Buchmesse, David Hockney, der französische Premierminister und der niederländische König.

Und auf der Nebenmesse The Arts+ hat sogar Lang Lang gespielt! Auf den Anblick seines zurückgeworfenen Kopfs mit den pathetisch geschlossenen Augen musste man allerdings verzichten, er saß nicht selbst am Flügel. Aber die Tasten des Steinway bewegten sich ganz so wie unter Lang Langs virtuosen Fingern. Nicht der Ton wurde aufgenommen, als er das Stück eingespielt hat, sondern der Anschlag selbst. Und der wird nun von der Software des Steinway Spirio reproduziert. Wer den Flügel kauft, erhält ein iPad mit mehr als 700 Einspielungen klassischer Werke dazu, und jeden Monat gibt es neue zum Runterladen. Erst viel später wurde klar, dass die in absentia hingehauchten "Liebesträume" von Franz Liszt das Thema dieser Veranstaltung präziser benannten als alle Pressemitteilungen. Vor der Eröffnung hatte sich niemand vorzustellen vermocht, was ihn bei The Arts+ erwarten würde. Hofften Verlage und Buchmesse, am Glamour des Kunstmarkts zu partizipieren? Das schien die Idee des Taschen-Verlags zu sein, der nach zweijähriger Pause als Aussteller von The Arts+ nach Frankfurt zurückkehrte. Denn Taschen kam nicht etwa mit dem üblichen Arrangement neuer Bücher, sondern nur mit einem einzigen. "A Bigger Book" von David Hockney ist ein Prachtband groß wie ein Reisekoffer, signiert und in limitierter Auflage erschienen. Es sei eigentlich kein Buch mehr, "eher eine gedruckte Retrospektive, ein Multiple!", schnurrte man in der PR-Abteilung. Laut Arts+Chef Holger Volland ging die Idee auf die Kunstbuchverlage selbst zurück. "Deren klassisches Geschäft mit den Katalogen verliert wegen des Internets an Bedeutung. Hochwertige, kostbare Bücher werden immer wichtiger." Taschen demonstrierte meisterhaft, was zu tun ist. Als David Hockney unter frenetischem Jubel gleich am ersten Tag erschien, um sein Buch vorzustellen, ließ er seine Hände über die Seiten streichen, als würde er damit jede von ihnen mit der Aura des Originals aufladen. Großleinwände zeigten Buch und Hände von oben, damit jeder in der Menge diesen Vorgang verfolgen konnte. Doch Taschen blieb hier allein. Und bei den anderen Kunstverlagen in den Tiefen der Halle herrschte business as usual.

Auch die eintägige Konferenz, zu der The Arts+ eine Auswahl von Mikrofon-Jongleuren aus dem Wanderzirkus eingeladen hatte, der Monat für Monat irgendwo auf der Welt unter den Zelten von TED, DLD oder SXSW auftritt, brachte keine Klärung. Man talkte über alles Mögliche: Zertifizierungsmethoden für Digitalkunst, die "Fluidität des Urbanen Lebens", die Frage, ob Künstler die besten Unternehmensberater sind, sogar digitale Haute Couture.

Nicht einmal vor der großen Debatte darüber, ob Google und Konsorten Freunde der Künstler sind oder deren Ausbeuter, schreckte man zurück. Es war unterhaltsam, Dieter Gorny, den Musiklobbyisten und Bundesbeauftragten für Kreative und Digitale Ökonomie, mit Giorgia Abeltino vom Google Cultural Institute streiten zu hören, und das moderiert von Jeff Jarvis ("What Would Google Do"). Aber wirklich weiter kam man in einer Stunde nicht, zumal die Mixologen von der benachbarten Gin-Bar viel analogen Lärm machten. Auch an den Ständen herrschte kreatives Chaos. Ein Pop-up-Store mit japanischem Design war "Vorbild für Pop-up-Buchhandlungen". Die Dubai Future Foundation sollte ein Haus aus dem 3-D-Drucker vorstellen, doch nicht einmal dessen zweidimensionale Version konnte man erleben, die Screens blieben dunkel. Bei europeana suchten 20 Designstudenten nach Geschäftsideen, sie hatten die Wände schon mit neonfarbenen Post-its gepflastert. Wenn dies eine Messe ist, was ist dann ihr Produkt? Dann aber erinnerte man sich an Franz Liszt und Lang Lang, und da hatte man das heimliche Leitmotiv gefunden. Es war die Frage nach der Aura von analogem und digitalem Kunstwerk. Die Teilnehmer spalten sich in zwei Lager. Die einen versuchen, sich mit digitalen Tricks so nahe wie möglich an das vorläufig Unerreichbare heranzuschleichen: das Erlebnis des Originalwerks und der Live-Performance.

Das war die Idee von Steinway. Bleibt die Frage, wer dieser digitale Lang Lang eigentlich ist? Ob er hier vielleicht besser spielt als an einem seiner schlechten Tage. Und ob der Sound des wie eine der alten Lochstreifenorgeln vom Rummelplatz sich selbst spielenden Klaviers einem den echten Lang Lang näherbringt als die CD. Und wie nennt man das, was man da hört? Eine Aufnahme?

Viel komplizierter wird es bei dem synthetisch erzeugten "Rembrandt", der hier auf einer Staffelei ausgestellt ist wie ein kostbarer Altmeister: Aber ist der Künstler Rembrandt? Die Programmierer, die der Software beibrachten, Rembrandts Genie so gründlich zu lernen, dass sie es reproduzieren konnten?

Die Vertreter des anderen Lagers gehen paradoxerweise von der umgekehrten Prämisse aus. Sie verpassen der alten Kunst ein digitales enhancement, als könne sie sonst heute nicht mehr genügen. Sieht man durch Googles "Cardboard"-Brille, versetzt sich Bruegels apokalyptischer "Sturz der rebellierenden Engel" in emsige Bewegung. Ritter fuchteln mit blutigen Schwertern, Dämonen schlagen mit den Flügeln. "Man kann damit spielen oder einfach nur entspannen", meint die Messe-Hostess am Google-Stand lächelnd.

Die Berliner Firma Refrakt hingegen versteht ihre Augmented-Reality-Gags selbst als Kunst. Aus dem interaktiven Museumsguide hat sie eine Subversionsmaschine gemacht. Richtet man die Smartphone-Kamera auf Gemälde, mischt die App die Farben neu oder lässt Landschaften erdrutschartig aus dem Rahmen fallen. Wie schwer sich die Algorithmen aber noch immer mit der Kunst tun, das demonstrierte unfreiwillig Giorgia Abeltino. Die von ihr vorgeführten Versuche, die Google-Algorithmen zum Verstehen von Kunst zu dressieren, wirkten eher buchhalterhaft. "Finde alle impressionistischen Landschaften mit Pferden!", wies sie ihren Assistenten an. "Und jetzt zeige mir von diesen alle mit viel Gelb!"

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