Mediaplayer:Schneller als der Teufel

Mediaplayer: Der Film behandelt Aufstieg und Fall von Whitney Houston.

Der Film behandelt Aufstieg und Fall von Whitney Houston.

(Foto: Wild Bunch)

"Whitney" von Regisseur Kevin Macdonald ist ein behutsames Psychogramm der 2012 verstorbenen Pop- und Soul Sängerin Whitney Houston.

Von Annett Scheffel

Zu Beginn erzählt Whitney Houston von einem immer wiederkehrenden Traum. Sie renne im Schlaf vor einem Riesen davon, einem großen Mann. "Meine Mutter sagt: 'Das ist der Teufel. Er will dich holen. Er will deine Seele.' Und irgendwie stimmt das auch. Der Teufel hat schon mehrmals versucht, mich zu holen. Aber er kriegt mich nie", hören wir sie in einem warmen, kichernden Tonfall erzählen. "Beim Aufwachen bin ich immer erschöpft vom Rennen." Es ist die Tonaufnahme eines alten Interviews, dessen seltsam tragische Pointe Regisseur Kevin Macdonald mit Ausschnitten aus dem Video zu "I Wanna Dance With Somebody" gegenschneidet.

Es sind Bilder einer vor Talent und Unschuld strahlenden Whitney Houston, die sich 1985 mit ihrem Debütalbum und seinen sieben Nummer-eins-Hits ins kollektive Gedächtnis gebrannt hat. Gleich in den ersten Minuten destilliert der Oscar-prämierte Regisseur eine Essenz aus seinem Porträt über die Ausnahmesängerin: Sie ist ein Pop-Superstar von enormer Leuchtkraft, deren Lebensumstände so etwas wie inneren Frieden für die Frau dahinter unerreichbar machten.

Viel ist seit ihrem Tod 2012 in einer Badewanne in Beverly Hills über den Aufstieg und Fall von Whitney Houston geschrieben worden, über die turbulente Ehe mit Bobby Brown, die Drogensucht und das verpfuschte Comeback in den Nullerjahren. Im vergangenen Jahr erst produzierte Nick Broomfield eine Dokumentation für den US-amerikanischen Pay-TV-Sender "Showtime". Echten Mehrwert hat Macdonalds Film, der bisher nur in Cannes zu sehen war und nun ohne Kinostart direkt auf DVD erscheint, vor allem wegen seiner Zugänge zu Houstons Familie: Sein Blick auf die Sängerin wird von einer opulenten Ansammlung von Zeitzeugen, Archivmaterial und privaten Aufnahmen untermauert.

Freunde, Familienmitglieder und Wegbegleiter aus der Musikindustrie mühen sich vor seiner Kamera um ehrliche Erinnerungen an "Nippy", wie sie genannt wurde. Wenig aufschlussreich bleibt dagegen der Auftritt von Bobby Brown, der sich kühl gegen jede Erwähnung von Drogen in ihrer Ehe verweigert. Mehr als andere ist "Whitney" deshalb das Porträt einer Familie - einer schwarzen Familie - in Amerika. Macdonald lässt die Zeiten in fiebrigen Collagen wiederauferstehen: Nachrichtenbilder, Werbespots, Wahlkampfreden, Straßenszenen und schließlich Bilder der Rassenunruhen 1967 in Newark, wo die Sängerin aufwuchs. Cissy Houston, die Mutter und selbst Sängerin, sitzt in der örtlichen "New Hope Baptist Church", wo Whitney mit dem Gospelchor ihre ersten Auftritte hatte, und erzählt von ihrer Kindheit. Ihre Brüder beschreiben sie als Wildfang, ein "Tomboy" sei sie gewesen. Und ein Familienfreund schlägt den Bogen zu ihrem späteren Dilemma: "Ihre Eltern hatten begriffen: Um als Afroamerikanerin in den USA in einem breiten Kulturkreis Erfolg zu haben, musst du dir alle seine Gepflogenheiten, aneignen. Du brauchst ein doppeltes Bewusstsein. Du weißt dann möglicherweise nicht mehr, wer du eigentlich bist. Eine Ergänzung dieser ganzen Sache - oder ist sie eine Ergänzung von dir?"

Man merkt Macdonalds Dokumentation die Anstrengung an, behutsam mit dem Leben seiner Protagonistin umzugehen, ohne es zu beschönigen. Er behandelt die wohl auch sexuelle Beziehung zu ihrer engen Vertrauten Robyn Crawford und die Tatsache, dass die Karriere für Vater John wohl in erster Linie ein Familienunternehmen war, ebenso wie die letzten Jahre der Drogensucht und ihrer gnadenlosen Bloßstellung in Boulevard-Blättern oder als Futter für Comedy-Sketche. "Whitney" gerinnt in dieser Anordnung vieler Einzelaspekte nicht zu einer bloßen Chronik, sondern zu einer Erforschung: Welche Faktoren führten wirklich zur Selbstzerstörung? Tatsächlich gräbt Macdonald am Ende mit einem Kindheitstrauma eine neue, verstörende Antwort darauf aus. Einfach Erklärungen gibt es trotzdem nie: Dass er diese neue Enthüllung eingliedert in ein komplexes Bild aus Herkunft, Sucht, Unsicherheit und kulturellen Konflikten, macht "Whitney" zu einem behutsamen posthumen Psychogramm.

Whitney: Seit dem 8. Februar auf DVD und Blu-ray ab 12,80 Euro, als Leihvideo bei Amazon Prime 4,99 Euro

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