Kurzkritik:Wiener Melange

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Heiß und stark: Das Pop-Rezept von "Bilderbuch" geht auf

Von Bernhard Blöchl, München

Der Schlüsselmoment passiert früh. Nicht erst am Ende dieses überschwänglich gefeierten Konzertes im hübsch gefüllten Zenith, als sich bei den unwiderstehlichen Hits "Maschin" und "Bungalow" sowieso alle der Ekstase ergeben. Der Offenbarungszauber, sozusagen die künstlerische Essenz, schimmert anderswo durch: Bei "OM", dem dritten Song des Abends, steigern sich Maurice Ernst und Mizzy Blue in ein popmusikalisches Duett hinein, das prima zeigt, wie die Band Bilderbuch funktioniert. Der Sänger und allzeit aufgmascherlte Style-Macker jagt seine Stimme improvisierend durch einen Vocoder, um den E-Gitarristen zu einem anschließenden Solo herauszufordern, das wiederum genauso klingt wie der elektronisch verzerrte Gesang. Hier wird die Stimme zum Instrument, später imitiert die Gitarre ein Klavier, alles geht ineinander auf zum süßen satten Popding. Rum Kokos fürs Karma, wie Maurice Ernst sagen würde.

Nun gibt es Bilderbuch schon seit zwölf Jahren und vier Alben, aber erst seit 2013, spätestens seit "Schick Schock" 2015 macht der fesche Vierer die deutschsprachige Popwelt komplett gaga mit seiner heißen Wiener Melange, die sich radikal absetzt vom ursprünglichen IndieRock - von den anderen Austrowellenreitern wie Wanda sowieso. Das ist jetzt ihr Ding: sich nicht festlegen auf einen Stil, auf ein Medium, noch nicht einmal auf eine Sprache. Da pumpen Hip-Hop- und Reggae-Beats, da jaulen Queen- und Slash-Gitarren. Falco hier, Prince da, und Kanye West lauert. Dazwischen Druckluftfanfaren, Querflöten und Vocoder-Einsprengsel. Und dann erst Ernsts Kunstsprache! Dieses eigensinnige Amerikadeutsch österreichischer Färbung, parolenhaft, auf den Punkt, verspielt, präpotent, poetisch. "Ihr Sex On The Beach wird langsam warm." "Wir leben high, nie down, höchstens Downtown." Herrlich!

Und wenn Maurice Ernst, begleitet von zwei furiosen Backgroundsängerinnen, im Stile eines Predigers "Frinks" preist, "free drinks" also, während im Hintergrund Hunderte Sportschuhe die Kulisse zum Song "Sneakers4free" formen, dann fragt man sich: Was ist das denn hier? Eine Schuhmesse, ein Gottesdienst? Womöglich alles und mehr. Die audiovisuelle Superparty im Zenith ist, wie Bilderbuch betonen, ihr bisher größtes Solokonzert. Eine ästhetische, süchtigmachende Show zum aktuellen Wunderalbum, das heißt wie die Essenz von alledem: "Magic Life".

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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