Kunstmarkt:Wo der Preis kuratiert

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Eine Kunstmesse wie die Art Basel in Miami lockt inzwischen die Massen. (Foto: Art Basel)

Immer mehr Menschen besuchen Messen wie die Art Basel und kommerzielle Schauen. Das verändert die Betrachtung von Kunst.

Von Astrid Mania

Städte mit mindestens 100 000 Einwohnern gelten zwar nicht überall, jedoch hierzulande schon als Großstadt. Wenn also die diesjährige Londoner Kunstmesse Frieze samt den ihr angeschlossenen Frieze Masters rund 105 000 Besucher gezählt haben will, ist das so, als hätte sich ganz Jena, Trier oder Erlangen an den Kojen und Werken vorbeigedrängt. Immer mehr Besucher sehen auf immer mehr Messen, aber auch anderen kommerziellen Formaten wie den zahlreichen Gallery Weekends, was dort als Kunst feilgeboten wird. Die Betrachter flanieren an Arbeiten vorbei, deren wichtigste Eigenschaft in ihrer Verkäuflichkeit liegt.

Auf diese Weise verändert sich nicht nur die Vorstellung davon, wie Kunst aussieht, sondern auch die Vorstellung von den Zusammenhängen, in denen sie zu sehen ist. Während das konventionelle Museum seine Werke in der Regel in eine kunsthistorische oder thematische Erzählung einbettet, löst die Logik des Kommerziellen das einzelne Werk aus solch sinnstiftenden Wechselwirkungen heraus. Den Luxus, eine These entlang einer Reihe von Exponaten zu behaupten - etwa die Variation eines Motivs oder Brüche und Entwicklungen im Œuvre einzelner Künstler - leisten sich nur wenige Händler.

Wo derartige Argumente verkaufsfördernd wirken (sollen), werden sie zumeist auf das Format des Beipackzettels oder einzelne Schlagworte heruntergebrochen. Zugehörigkeiten zu Epochen oder Gruppierungen werden, wie jüngst im Falle der Zero-Künstler, zur preissteigernden Zauberformel. Auch deshalb haben auf Messen die sogenannten kuratierten Sektionen Konjunktur.

Wenn sich beispielsweise die Art Basel mit der "Unlimited" schmückt, der Plattform für das Überdimensionierte, rückt der reine Kommerz scheinbar in den Hintergrund. Doch handelt es sich auch hierbei um eine Auswahl singulärer Positionen, die nichts anderes verbindet als ihr gemeinsamer Auftritt auf dem Parkett einer Handelsplattform. Das Kuratorische ist reines Veredelungsprädikat.

Die Museen als Instrument zur Kultivierung des Bürgers ist eine Erfindung des Louvres

Die historische Ordnungs- und Erzählstruktur, die das klassische Kunstmuseum vorgibt und vielen heute als natürliche erscheint, ist jedoch gleichermaßen eine Setzung. Eine Setzung, die, wenn man so will, der ökonomischen Logik gegenübersteht und dem Museum als bürgerliche Institution geradezu innewohnt. Denn mit den ersten europäischen Museumsgründungen wurde die Kunst ihrem bis dahin üblichen Kontext entnommen, ihrer bis dahin üblichen Aufgabe entkleidet - speisten sich die meisten frühen Museen doch aus den Sammlungen des Adels, besonders aus den Wunderkammern. Hier demonstrierte die Aristokratie eine Potenz, der weder ökonomische noch geografische, handwerkliche oder natürliche Grenzen gesetzt waren. Dass ausgerechnet aus diesen Sammlungen didaktische Instrumente zur Kultivierung des Bürgers werden konnten, ist vor allem der Erfindung des Louvre als öffentlichem Museum geschuldet.

Als der ehemalige Königspalast im Jahre 1793 jede Frau und jeden Mann in seine Räumlichkeiten lud, wanderten die Besucherinnen und Besucher an einer Präsentation entlang, die ihnen die neue Staatsform, vermittelt durch die Kunst, als krönenden Abschluss der Geschichte zeigte, so beschreibt es Walter Grasskamp. Die Kunst gehörte plötzlich allen. Doch damit sie überhaupt in das Selbstverständnis einer neuen bürgerlichen Ideologie passte, musste sie in einem neuen Zusammenhang erscheinen. Namentlich Jacques Louis David hatte in seiner politischen Funktion als Abgeordneter des Nationalkonvents der Zerstörung und dem Verkauf des aristokratischen und klerikalen Kunstbesitzes nach der französischen Revolution Einhalt geboten. In einer Art kuratorischem Geniestreich, wie man es vielleicht heute nennen würde, hatte er die Tatsache genutzt, dass ein Kunstwerk je nach Ort und Art seiner Präsentation ganz unterschiedlichen Zwecken gehorchen kann oder muss. So wurde aus der Selbstrepräsentation des Adels, die stark auf einer ökonomischen Basis beruht hatte, eine Selbstrepräsentation des Bürgertums, die nicht-materielle Werte wie sozialen Fortschritt oder künstlerische Vorbildfunktion am nun kollektiven Besitz betonte.

Wie grundsätzlich sich eine solch politische Indienstnahme der Kunst von einer ökonomischen unterscheidet, zeigt sich schon allein an einem Begriff wie dem der Provenienz. Im Auktionswesen, aber eigentlich auf dem gesamten Sekundärmarkt, also dem Handel mit bereits veräußerter Kunst, spielt die Herkunft eine wichtige Rolle, vor allem bei der Preisgestaltung. Das Renommee der Vorbesitzer und ihrer Sammlung strahlt auf das einzelne Werk ab und lässt den künftigen Käufer mittels der von ihm erworbenen Arbeit daran teilhaben. In der Gedankenwelt der ersten bürgerlichen Museen spielte die Provenienz überhaupt nur insofern eine Rolle, als sie dem Betrachter das Obsolete der Vorbesitzerwelt vor Augen führte.

Heutzutage nehmen wir die Anwesenheit eines Werkes in Besitz und den Sammlungsbestand von Museen meistens als gegeben hin. Üblicherweise gibt es keine Hinweise auf dessen Herkunft aus kommerziellen Transaktionen oder früherem Eigentum, es sei denn, es handelt sich um eine - namentliche oder anonyme - Schenkung. Auch wenn die wissenschaftliche Provenienzforschung oder institutionskritische Arbeiten wie Hans Haackes "Manet Projekt '74" der nicht immer makellosen Herkunft einzelner Kunstwerke nachgehen, erscheint das öffentliche Museum vielen immer noch als ökonomiefreier Raum. Und so sind beide Welten bemüht, ihren Mythos aufrechtzuerhalten.

Das Museum präsentiert sich als ein Ort, an dem sich das einzelne Werk ohne Verweis auf Herkunft oder Markt wie durch Geisterhand materialisiert. Und die Messe und andere kommerzielle Formate präsentieren sich als ein Ort, an dem sich das einzelne Werk losgelöst von Nachbarschaft und Kontext, durch seine bloße Anwesenheit und die Behauptung seiner ökonomischen Wertigkeit legitimiert.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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