Kunst:Luftreise

Kanadische Impressionisten fuhren nach Frankreich - und kamen über die reine Nachahmung weit hinaus, wie eine Ausstellung in München zeigt.

Von Gottfried Knapp

Wie Sonnenlicht einen Körper gewinnt und plastische Formen annimmt, das lässt sich in zwei meisterlich gemalten Bildern des kanadischen Malers Marc-Aurèle de Foy Suzor-Coté exemplarisch studieren. Beide Bilder tragen den Titel "Tauwetter in Arthabaska". Auf dem Querformat mit dem Zusatztitel "Märzabend" hat die tief stehende Sonne die winterlich diesige Luft über dem Horizont mit einem leuchtenden Goldocker-Ton aufgeladen, der sich in der unteren Hälfte des Bildes auf den freigetauten Stellen des Flusses in klirrender Klarheit widerspiegelt, also quasi sonor nachklingt.

Aufregend für den Blick des Betrachters, der von der unterschiedlich rauen Bildoberfläche angezogen wird, ist aber nicht nur der Gegensatz zwischen den flockigen Farbtupfern, mit denen der Maler die nebelverhangene Abendluft charakterisiert, und den glatten Pinselstrichen, mit denen er die golden schimmernde Wasseroberfläche auf die Leinwand setzt. Deutlich dramatischer und körperlicher ist das Nebeneinander der goldenen Wasserfläche und der blaugrünweißen Farbhügel, die der Maler aufhäuft, um die noch mit Schnee bedeckten, zugefrorenen Partien des Flusses zu charakterisieren. Der auf dem Eis aufliegende Schnee wölbt sich im Gemälde plastisch über die glatte Fläche des Wassers.

Diese krassen Unterschiede in der Malweise, die das Bild zum Relief machen, verstärken nicht nur die räumliche Wirkung der Farben, sie machen auch den Temperaturunterschied zwischen dem warmen Widerschein des Abendrots und dem kaltblau getönten Weiß des Schnees fast physisch erfahrbar.

Das französische Sommerlicht wurde in Nebel, Kälte und Berge des Nordens transformiert

Über solche technische Details müsste man nicht weiter nachdenken, wenn die Spontaneität, mit der Suzor-Coté in seinen Bildern die Pinseltechnik variiert hat, nicht typisch wäre für all die temperamentvollen kanadischen Maler, die uns jetzt in der Ausstellung "Kanada und der Impressionismus" - sie wurde von der National Gallery of Canada auf Weltreise geschickt - mit einer bislang weitgehend unbekannten, kraftvoll eigenwilligen Form des Impressionismus vertraut machen.

All die hier zu entdeckenden Maler haben irgendwann zwischen 1880 und 1930 ein paar Jahre in Frankreich gelebt und gearbeitet. Einige sind sogar bis zu ihrem Tod im Land der Maler geblieben. Und doch sieht das, was sie in Paris und in den französischen Künstlerkolonien, etwa bei den Landschaftsmalern von Barbizon, bei den Impressionisten, den Postimpressionisten oder den Fauves an Aufregendem entdeckt, für sich adaptiert und nach Kanada mitgenommen haben, nicht wie abgeschaut oder nachgemacht aus, sondern wie neu erlebt und anders interpretiert.

In der Ausstellung ist William Blair Bruce (1859 - 1906) der erste Maler, der seine transformierende Kraft bei typisch französischen Motiven beweisen kann. Im Jahr 1887 ist er mit amerikanischen Kollegen nach Giverny gezogen, wo Claude Monet, das große Vorbild so vieler Maler, schon seit vier Jahren lebte. Was Bruce dort geschaffen hat, schießt freilich über das, was er bei Monet hätte abschauen können, weit hinaus. In dem kleinen Gemälde "Fluss in Giverny" (1888) hat er mit einem Minimum an spontan hingehauenen Pinselgesten eine geradezu physisch wirksame Vision frühlingshaft hellen Lichtes geschaffen: Das blaue Wasser des Flusses, die winterlich kahlen Weidenstämme und ihre Schatten auf den Wiesen, das trockene Gestrüpp am Ufer und die Häuser im Hintergrund erwachen in diesem Bild zu schönstem Leben.

Ähnlich spontan und direkt hat Ernest Lawson - er war mit dem Impressionisten Alfred Sisley befreundet - in seinen Frankreichjahren die französischen Vorbilder und Kollegen zu übertrumpfen versucht. In seiner ganz nach französischem Vorbild angelegten "Kanalszene im Winter" hat Lawson, um die auf dem Wasser treibenden Eisschollen hervorzuheben, fette weiße Ölfarbenkleckse auf das hingepinselte Graublau des Wassers gesetzt, was dem Bild eine fast haptische Wirkung verleiht.

Von den kanadischen Malern in Frankreich dürfte James Wilson Morrice (1865 - 1924), der in Europa blieb, aber öfters auch seine Heimat besuchte, wohl den eigenwilligsten Stil entwickelt haben. Die strahlenden Lichteffekte, mit denen die Kollegen punkteten, haben ihn nie interessiert. Mit den gedämpften Farben seiner Bilder, den skizzenhaft vereinfachten gegenständlichen Andeutungen und der klaren Ordnung auf der Fläche kam er, der mit Matisse befreundet war und mit ihm verreist ist, der Moderne fraglos am nächsten.

Eine ähnliche Vielfalt an neuen Motiven wie bei Morrice lässt sich auch bei Maurice Cullen (1866 - 1934) entdecken. In dessen nächtlichen Winterbildern aus Montreal verschluckt der Nebel nicht nur die Konturen der hohen Häuser und die Umrisse der Pferdedroschken, sondern auch das Licht der wohl erst kurz vorher gesetzten Straßenleuchten. Umso praller sticht auf Cullens Bild "Baumfällen im Winter" das Sonnenlicht ins Auge, das unter mächtigen Kiefern von den grell beschienenen Stellen des Schnees zurückgeworfen wird. Die kanadische Variante des Impressionismus erlebt in diesem Winterbild, in dem das im Titel genannte "Baumfällen" fast beiläufig im Hintergrund stattfindet, einen ihrer schönsten Triumphe.

Durch die französische Freiluftmalerei und durch den Impressionismus ist in Kanada - ganz anders als in Deutschland - eine überwältigende Fülle an künstlerischen Talenten zu malerischen Entdeckungen inspiriert worden. So haben kanadische Maler, denen in Frankreich die Augen geöffnet wurden, die entdeckten Wirkungen des Sonnenlichts geradezu mit Inbrunst pinseltechnisch nachzelebriert. Die Luftigkeit, die Clarence Gagnon in seiner 1907 gemalten "Sommerbrise in Dinard" erreicht (Bild links oben), teilt sich dem Betrachter intensiv mit. Sucht man nach atmosphärisch Vergleichbarem, wird man eher bei den Strandbildern des Spaniers Joaquín Sorolla fündig werden als bei französischen Malern.

Wichtig für die Kunstgeschichte Kanadas waren aber weniger die Virtuosenstücke, die in Frankreich gemalt wurden, als die Bildthemen und Motive, die von den heimgekehrten Impressionisten im eigenen Land entdeckt wurden. Neben der bergigen Landschaft war es vor allem der harte nordische Winter, der eine Antwort verlangte mit seinen Schneemassen und vereisten Flüssen, mit seinen Nebeln und dem "diffusen und rosafarbenen Licht", das die Maler im milden Frankreich vermisst hatten. Aber auch in der Aktmalerei haben die Heimkehrer Kühnes gewagt. In seiner "Symphonie Pathétique" hat Suzor-Coté den Frauenleib mit einem tachistisch wilden Farbengetümmel hinterlegt, das weit über den Impressionismus in die Zukunft vorausweist.

In einem neuen Licht. Kanada und der Impressionismus. Hypo-Kunsthalle, München, bis 17. November. Katalog in der Kunsthalle 29 Euro.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: