Kunst:Das Rätsel der Sphinx

Von Fabelwesen und einer siebenfachen Schwester: In Paris wird das verschlüsselte Werk des Symbolisten Fernand Khnopff ausgestellt.

Von Till Briegleb

Selbst in der Welt symbolistischer Gegenwartsflüchtlinge des 19. Jahrhunderts war Fernand Khnopff ein besonders spezieller und düsterer Vogel. Introvertiert und unnahbar bis kalt, ein Mann, den Bekannte als einen beschrieben, der nur lachte, um niemanden zu kränken, so lebte er zurückgezogen in einer imposanten Klause in Brüssel: eine verwinkelte Art-nouveau-Villa, entworfen nach seinen Vorstellungen, innen in Anlehnung an Franz von Stuck inszeniert als ein "Tempel des Ich". Hier malte Khnopff abgeschottet und ungestört, ohne Lächeln, ohne Sonne und Optimismus, seine rätselhaften Bilder, die in ihrer ernsten Maskierung den Eindruck vermitteln, dass dieser Mann sein Innerstes vor der Welt verbergen will oder muss.

Wenn man sich spekulativ auf die Suche machen möchte nach dem Grund für diese dunkle Bildermagie, dann erzählen die Motive, die jetzt in der großen Retrospektive von Fernand Khnopff im Petit Palais in Paris zu sehen sind, von einer unglücklichen Liebesbeziehung zu seiner Schwester Marguerite und ihrer symbolischen Verschlüsselung in Gemälden. Sie malt er mit einer Besessenheit, wie andere Maler sie nur ihren verführerischen Musen zuteilwerden lassen. Aber er malt sie immer streng und unerreichbar.

Eng eingeschnürt in ein weißes Kleid mit merkwürdiger Armhaltung, so stand sie auf einer Art Altar in seinem Haus. Siebenfach malte er Marguerite 1889 als Gruppe von Tennisdamen im Grünen, Titel: "Memories". In dem wunderlichen Hauptwerk "I Lock my Door upon Myself" von 1891, das aus der Neuen Pinakothek nach Paris reiste, blickt die Melancholie der rothaarigen Tagträumerin aus den Gesichtszügen seiner sechs Jahre jüngeren Schwester, überkrönt von Hypnos, dem Gott des Schlafes und der Träume.

Trauer scheint Khnopffs Begehren, und er verlegt beides in mythologische Welten. Personifizierte Mächte der griechischen und germanischen Sagenwelt berühren sich in seinen Sujets in der Anbetung dieser Frauengestalt mit dem energischen Unterkiefer. Selbst dort, wo er mal andere Frauen zur Vorlage nimmt, scheinen Marguerites Züge oft wie ein ewiges Muster aller Schönheit still hindurch.

Fernand Khnopff stand deutlich sichtbar der romantischen Idealisierung der englischen Praeraffaeliten wie Edward Burne-Jones und Dante Gabriel Rossetti näher als dem lyrisch-erotischen Bibelphantasma eines Gustave Moreau, den er trotzdem bewunderte. Auch war ihm das verführerische Dunkel eines Franz von Stuck, dessen reitende "Amazone" im Zentrum seines Ateliers stand, artverwandter als die freche Anarchie seines belgischen Kollegen James Ensor - von dem ihn ein Plagiatsvorwurf in ihrer gemeinsamen Künstlergruppe "Les XX" entfremdete. Doch wie bei vielen Malern dieser Generation mit Hang zum Entrückten, Stilisierten, Verklärenden ist die Grenze zwischen Genie und Kitsch auch bei dem belgischen Schöpfer poetischer Nachtgedanken manchmal schmal.

Sein zweifellos berühmtestes Gemälde, "Die Kunst oder Die Liebkosungen" (1896), steckt so voll rätselhafter Details, dass man sich nicht sattsehen kann. Die mörderische Sphinx im Körper eines Geparden lehnt ihre Wange verliebt an den Kopf ihres Bezwingers Ödipus, der einen Stab mit einer geflügelten Glaskugel in der Hand hält und metallische Sterne auf den Brustwarzen trägt. In einer rosa Landschaft mit blau-goldenen Säulen und mit unbekannten Schriftzeichen auf der Wand ist dieser sinnliche Umschlag von Hass in Hingabe einer der schönsten Momente der Kunstgeschichte, an dem finale Deutung versagen muss.

Dagegen sind spätere Arbeiten vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in einer Starre stilisiert, dass es wie das Werk eines frommen Illustrators wirkt. Idealisierte Allegorien frei von Mehrdeutigkeit, nackt oder in Ritterrüstung, wirken fast vulgär - etwa im Vergleich zu den vielen enigmatischen Bildkompositionen mit Khnopffs Lieblingsgott, "Hypnos", dem er einen Treppenhain in seinem Haustempel errichtet hatte. Den schwebenden Kopf mit einem einzigen Flügel variiert er in zahlreichen Gemälden als Hausherr seiner Bildphantasie. Doch sein Symbolismus konnte auch böse ins Politische verrücken. Khnopffs Propagandamalerei für König Leopolds Kolonialfeldzug im Kongo, für den er eine nackte Schwarze malt, die eine weiße Heroine hochhält, ist nur schwerlich von Rassismus frei zu sprechen.

Nichts ist im Werk dieses Traumeremiten frei von Schattenseiten. Seine vielen Kinderporträts, die Khnopff für die reichen Familien Brüssels malte, werden in dieser Ausstellung sehr vorsichtig, aber nachvollziehbar mit dem Verdacht erotischen Interesses geladen, wenn es heißt, Khnopff habe die Kinder reif wie Erwachsene gemalt. Selbst seine frühen Landschaftsbilder aus den Ardennen, mit denen die Ausstellung eröffnet wird, zeugen in konsequent grauem Licht und mit geisterhaften Atmosphären einer menschenleeren Welt von psychischen Verschlingungen, die sich nur symbolisch äußern können.

Inszeniert ist die Seelenwanderung zu Fernand Khnopffs Obskurität als Spaziergang durch sein Brüssler Haus. Dekorative Elemente der originalen Villenarchitektur in den Wandfarben Weiß und Blau fassen die Räume wie Zimmer, in denen synästhetische Säulen platziert sind. Aufsteigende Düfte von Rosen oder Wald verbinden sich mit Musik, etwa von Schumann, oder Gedichten und Texten seiner künstlerischen Bezugsgruppe. Dazu zählte neben den Dichtern Stéphane Mallarmé und Georges Rodenbach, dessen berühmtes Buch "Das tote Brügge" Khnopff mit einem Frontispiz versah, auch "Sâr" Péladan. Dieser Guru der Symbolisten war Khnopffs Mentor für das Okkulte und Esoterische und predigte die Ablehnung des technischen Zeitalters und des Rationalismus.

Khnopff ist fester Bestandteil dieser Kunstszene des 19. Jahrhunderts, die den unsinnlichen und disziplinierenden Normen der neu konsolidierten bürgerlichen Gesellschaft ins Fantastische, Irreale und Übersteigerte entfloh. Um unbestraft zu fantasieren, verwandelten Maler wie Literaten des Symbolismus sexuelle Tabus und Verbote in rätselhaften Ausdruck. Doch wie der vielleicht exzessivste Träumer dieser Epoche, Gustave Moreau, so blieb auch Khnopff als Mensch dabei gehemmt, abgeschottet und neurotisch. Und diese Wechselspannung zwischen Ehre und Lust, Verklemmung und Sehnsucht lädt seine Kunst auf mit dieser zweifelhaften Schönheit, die immer gebunden wirkt an Bitternis und Verzweiflung.

Petit Palais, Paris; bis 17. März 2019; Katalog: Fonds Mercator, Brüssel, 306 Seiten, 49,95 Euro.

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