Konzert:Im Takt des Todes

Die Kammeroper München spielt Mozarts "Requiem"

Von Klaus Kalchschmid

Jeder, der das Mozart-Requiem aufführen will, muss mehrere Entscheidungen treffen und sich fragen: Spielen wir - verbunden etwa mit den "sieben Klangräumen" von Georg Friedrich Haas aus dem Jahr 2005 - nur das reine Fragment, also die beiden einzig vollständig komponierten Anfangsteile "Introitus" und "Kyrie" und später manchmal lediglich Chorsatz und Bass? Spielen wir außerdem vom "Lacrymosa" nur die originalen, ersten acht Takte sowie gar nicht, weil komplett von Mozarts Schüler Franz Xaver Süßmayr nach Skizzen Mozarts komponiert, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei, oder doch die ganze von Süßmayr vervollständigte Fassung. Die gibt es mittlerweile mehrfach "verbessert" und verschlankt, etwa von Robert Levin 1991 oder zuletzt, im Jahr 2016, von Pierre-Henri Dutron, und unter Leitung von René Jacobs im vergangenen Jahr eingespielt.

Die Kammeroper und ihr musikalischer Leiter Nabil Shehata haben sich für Levin entschieden, dessen Version an vielen Stellen durchsichtiger und eleganter, wohl auch Mozart näher ist als Süßmayr und vor allem am Ende des "Lacrymosa" eine sehr stilsicher komponierte Fuge wagt, wie sie auch die übrigen großen Formteile abschließt. Freilich bleibt sich das Orchester der Kammeroper treu und spielt in einer reduzierten Fassung mit solistischer Geige und Bratsche, zwei Celli, Kontrabass, Fagott, zwei Bassetthörnern, die Mozart so liebte, Pauke und, wie immer, Akkordeon. Dieses ungewöhnliche, heutige Instrument hat mehrere Funktionen: Es ersetzt teilweise die fehlende Posaune, stets die Trompete und dient generell der klanglich-harmonischen Unterstützung. Das berühmte Posaunen-Solo zu Beginn des "Tuba mirum" aber spielt das Solo-Cello! Auf eigene Weise betonen diese Reduktion auf zehn Musiker und die neue, zeitgenössische Farbe des Akkordeons das Unfertige und den Fragment-Charakter des Werks.

Auch ansonsten geht die Kammeroper in der Allerheiligen-Hofkirche wieder einen eigenen, originellen Weg. Denn Dominik Wilgenbus, der schon oft für die Kammeroper inszenierte und stets launig und frech gereimte deutsche Libretti italienischer Opern erstellt hat, schrieb einen Text, bei der ein Ich-Erzähler in den Dialog tritt mit dem sein Requiem komponierenden Mozart. Wilgenbus lässt ihn dieses Werk ganz bewusst als sein letztes schreiben - als eine Art Suizid. Deshalb könnte der Erzähler, dessen Part Peter Fricke für den erkrankten Johannes Silberschneider übernimmt, der Tod sein oder ein bester Freund, sein Alter Ego oder ein Doppel-gänger; jedenfalls jemand, der Wolfgang Amadé sehr nahesteht. Das alles bleibt bei Wilgenbus' Texten, die zwischen den einzelnen Teilen vorgetragen werden, offen. Aber dieser spekulative, fiktive Blick hinter den Prozess des Komponierens und in die Psyche Mozarts hinein ist spannend und schärft wohl das Hören.

Auch was die vokale Besetzung angeht, betritt die Kammeroper Neuland: Den Chor bildet das nur 30-köpfige Vocalconsort München in der Einstudierung von Johanna Soller. Die vier jungen Solisten waren teilweise bei "Così fan tutte", der letz-ten Opernproduktion der Kammeroper, dabei, die von 21. Dezember an im Cuvilliés-Theater wieder aufgenommen wird, so Anna Malesza und Irena Weber. Tenor Tianji Lin studiert an der Bayerischen Theaterakademie August Everding wie Bassbariton Bavo Orroi, der dort vor Kurzem seinen Abschluss machte. Beide waren mehrfach in deren Produktionen auf der Bühne zu erleben.

W. A. Mozart: Requiem, Kammeroper München Do., 1., bis Sa, 3. Nov., 19 Uhr, Allerheiligen-Hofkirche.

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