Klassik:Götter haben Sorgen

Rattle Walküre

Gefühlswallungen mit Wagner: Simon Rattle in München.

(Foto: Peter Meisel)

Simon Rattle, stimmgewaltige Solisten und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks lassen im Münchner Herkulessaal "Die Walküre" tosen.

Von Reinhard J. Brembeck

Dass es selbst den größten Opernhelden nicht viel anders ergeht wie normalen Erdenmenschen, dass selbst die nicht sofort bekommen, was sie sich wünschen, dafür ist Richard Wagners Obergott Wotan das beste Beispiel. " ... nur eines", erklärt dieser Gewaltgott entnervt, "will ich noch: das Ende ..." An diesem Punkt aber ist "Die Walküre" erst zur Hälfte abgespielt und es dauert noch die zwei Riesenopern "Siegfried" und "Götterdämmerung", bis sich Wotans Wunsch am Ende des "Ring des Nibelungen" erfüllt. Im Münchner Herkulessaal konnte das Publikum Wotans Wunsch allerdings nicht teilen. Nach dem Fünfstundenabend feierte es den Dirigenten Simon Rattle, die BR-Sinfoniker und die Sänger wie Götter. Bei dieser konzertanten Walküre hätte es noch länger durchgehalten.

Die "Walküre", in der Wintersturm, Ehekrach, Vater-Tochter-Konflikt, Inzest, Morde und Todeskriegerinnengejohle von einem blechbläserlastigen Orchester oft zum Klangtsunami übersteigert werden, diese Monstertragödie im Herkulessaal, der trotz des großspurigen Namens nur 1450 Zuhörern Platz bietet? Schon beim Gedanken daran tun einem die Hörerohren leid. Aber seit ein paar Jahren pflegen Rattle, der vergangenen Sommer seinen Chefposten bei den Berliner Philharmonikern aufgegeben hat, und die BR-Musiker in diesem intimen Raum eine begeisterte Liebesbeziehung.

In München hat Rattle, was er in Berlin nie hatte. Ein warm klingendes und selbst in den vertracktesten Momenten gelassenes Orchester, das seine Virtuosität nie kaltschnäuzig ausstellt, und einen Konzertsaal, der diese Eigenschaften verstärkt und mit einer antimodernen Aura umgibt, in die sich ein paar Gran Geschichtsträchtigkeit, Lebenslust und Weisheit mischen. Weshalb Rattle, dieser Aufklärer unter den großen Dirigenten, dem alles Brimborium und alle Musikhohepriesterei immer fremd war, sich hier besonders beglückend auf die Romantik einlässt. Andererseits ist das Orchester hörbar dankbar dafür, dass da ein Dirigent ist, der weder den dem Ensemble angeborenen Hang zum Schwelgen hemmungslos bedient noch die kalte Akkuratesse eines modernen Hochleistungsensembles vorführen will. Sondern die Mischung aus all diesen Tugenden amalgamiert: Wärme mit Hirn, Genauigkeit und Lächeln.

Dennoch knallt es in der "Walküre" gelegentlich bis über die Hörgrenze hinaus. Die BR-Sinfoniker sind ein Konzert- und kein Opernorchester und spielen sich deshalb immer selbstbewusst in den Vordergrund, mag der immer auf Feinsinniges erpichte Rattle auch noch so viel dämpfen. Wenn dann noch auf dem Podium vorne links acht Walküren losschmettern, dann ist Walpurgisnacht angesagt, in der es massiv zur Sache geht, während von den Raffinessen der Partitur kaum mehr als die Hüllkurve übrig bleibt.

Auch die Solisten sind zuerst einmal stimmgewaltig. Der für den erkrankten Michael Volle eingesprungene James Rutherford ist ein grimmiger, herrschsüchtiger Wotan, der aus allen Wolken fällt, weil seine Frauen gegen ihn rebellieren. Erst begehrt seine betrogene rachsüchtige Ehefrau auf und macht all seine Weltenretterpläne zunichte, indem sie den entscheidenden logischen Fehler darin benennt. Elisabeth Kulman spielt die komische Heimtücke genial, sie sieht genau, dass Wagner gelegentlich ein begnadeter Operettenkomponist sein kann. Dann zickt Lieblingstochter Brünnhilde. Die titelgebende Walküre macht das, was der Papa verbietet, aber doch ganz gerne hätte: Sie versucht dessen Sohn Siegmund zu retten. Diese Herrscherfamilie ist völlig zerrüttet. Kein Wunder, dass James Rutherfords Wotan bald ganz weinerlich den selbstmitleidigen Mann gibt, der vom Ende stammelt. Das ist ein großer Moment, auch weil Wagners Orchester da kaum mehr zu sagen hat als bei Monteverdi, dem Ahnvater aller Opernmacher.

In diesem intimen Raum entfaltet das Ensemble eine enorme musikantische Wucht

Es ist immer leicht, Opernsängern ihre Defizite anzulasten. Auch an diesem denkwürdigen Abend, wo manches Wort nicht ganz so ausgesprochen wird wie im Deutschen üblich, wo laute Hochtöne manchmal wie Schläge mit einem Morgenstern wirken, wo die Sänger, an große Opernhäuser gewöhnt, immer wieder zu laut sind. Das alles aber zählt nichts angesichts der Tatsache, dass in München nur erfahrene Meistersinger auf dem Podium stehen, die nicht nur auswendig, sondern mit einem tiefen Verständnis für ihre Rollen singen.

Sicher: Eine überraschende Neuinterpretation liefert niemand, auch Rattle nicht. Und das Fehlen einer Inszenierung, die das Stück deuten und Wagners Zwiespältigkeiten wie Zumutungen aufhellen würde, die auch die Gesten und die Intensität der Gefühle ans Heute anbinden würde, fehlt dann zunehmend. Aber alle Sänger und Musiker entfalten in diesem intimen Raum eine enorme musikantische Wucht, wie sie in einem Opernhaus unvorstellbar zu sein scheint. Kein Wunder, dass das Publikum tobt.

Eva Maria Westbroek und Stuart Skelton spielen das inzestuös sich findende Zwillingspaar Siegmund & Sieglinde mit ungestümer sexueller Gier, mit der Naivität und Neugier der ersten unbedingten Liebe. Kein Klanggewitter des Orchesters vermag sie einzuschüchtern oder zu übertönen, und in den Zwischenräumen können sie beseligend leise und zart werden. Da erwachen zwei vom Leben geschundene Menschen füreinander. Das ist ganz großes Hollywoodkino. Genauso Iréne Theorins Brünnhilde, die der Kämpfe zunehmend müde ist, auch der Kämpfe gegen den Überwotanpapa und ihm in einer letzten Anstrengung noch ein paar Zugeständnisse abtrotzt. Und Eric Halfvarsons Hunding - Wagner hat Sieglindes despotischen Zwangsehemann nach Strich und Faden als Unsympathen gezeichnet - grummelt grimmig dazu. So wird der Abend zu einer fulminant aus dem Ruder laufenden Familienaufstellung. Ihre Gefühlswallungen werden ganz zuletzt in einem orchestral gleißenden Feuerzauber gebannt. Brillant.

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