"Der Spitzenkandidat" im Kino:Du sollst nicht mit Models schlafen

Front Runner

Reduziert zur historischen Fußnote: Cary Hart (Hugh Jackman) wollte Präsident werden, aber dann wurde eine Frau bei ihm gesehen, die nicht die seine war...

(Foto: Sony Pictures)
  • Der Senator Gary Hart galt 1987 als aussichtsreicher demokratischer Kandidat für die Präsidentschaftswahlen, noch bevor der Vorwahlkampf richtig begonnen hatte.
  • Eine Enthüllungsgeschichte über eine Affäre mit dem Model Donna Rice zerstörte seine Chancen.
  • Der Regisseur Jason Reitman erzählt den Fall als einen Schlüsselmoment des amerikanischen Kulturwandels. Die Hauptrolle spielt Hugh Jackman.

Von Tobias Kniebe

Für alle, die Ende der Achtzigerjahre noch nicht so gebannt nach Amerika schauten wie heute, muss ein Aspekt gleich mal betont werden: Gary Hart, damals ein demokratischer Senator im Vorwahlzirkus, war ein außergewöhnlich attraktiver und einnehmender Mann. Seine Grübchen erinnerten an Cary Grant, sein Blick an den Marlboro-Mann, seine rhetorische Gabe an John F. Kennedy. Kein Wunder also, dass viele Amerikaner ihn bereits als künftigen Präsidenten sahen, noch bevor der Vorwahlkampf überhaupt richtig losgegangen war. Diesen historischen Moment lässt Jason Reitmans Film "The Front Runner / Der Spitzenkandidat" wieder aufleben. Gary Hart wird dabei auf sehr schmeichelhafte Weise eingeführt, als Idealist und Familienmensch mit Hang zur Ehrlichkeit. Der wäre doch wirklich der beste Mann gewesen, um Ronald Reagan abzulösen, denkt man schnell.

Was sicher zum großen Teil auch an Hugh Jackman liegt, der Gary Hart spielt. Der australische Star ist nicht nur ebenfalls ein attraktiver und einnehmender Mann, er gilt auch als der netteste Kerl von Hollywood und strahlt auf der Leinwand eine solche Integrität aus, dass echte Schurkenrollen mit ihm nicht funktionieren. Dazu kommt sein skandalfreies Privatleben, das hier einmal nicht irrelevant ist, weil es dem Film einen interessantes Drall gibt. Denn Gary Hart, das ist der zweite Teil der Geschichte, wurde natürlich nicht Präsident, nicht einmal Präsidentschaftskandidat. Eine Enthüllungsgeschichte um das Model Donna Rice aus Miami, dem Reporter beim Betreten und Verlassen seines Hauses in Washington aufgelauert hatten, zerstörte seine Chancen und reduzierte ihn zur historischen Fußnote.

Damit wäre der Plot des Films auch schon zusammengefasst - es kann also nur darum gehen, wie genau und warum das alles geschah. Und das fasziniert inzwischen auch eine neue Generation von amerikanischen Politjunkies, allen voran Matt Bai, den früheren Washington-Korrespondenten des New York Times Magazine, und Jay Carson, einen Manager zahlreicher Wahlkampagnen, von Howard Dean bis Hillary Clinton. Sie haben gemeinsam noch einmal alle Hintergründe des damaligen Falls recherchiert - und dann im Filmemacher Jason Reitman einen Mitstreiter gefunden, der die Story gleich als sehr realistisches, aus multiplen Perspektiven zusammengepuzzeltes Kinodrama sah.

Reitman ist einer dieser Grenzgänger, wie sie das amerikanische Filmgeschäft im besten Fall hervorbringt. Er ist ein Kind der Entertainment-Industrie mit Instinkten fürs Starkino, was als Sohn des "Ghostbusters"-Schöpfers und Komödienveteranen Ivan Reitman auch naheliegt - demnächst wird er Daddys Geisterjäger-Franchise neu beleben; zugleich aber auch ein Intellektueller, der mit seinen feministischen, politischen und soziologischen Einsichten zwar nicht selbstverliebt hausieren geht, sie aber geschickt in Filme wie "Thank You For Smoking", "Juno" und "Up in the Air" einzubauen wusste. Beim "Spitzenkandidaten" folgt er nun den Spuren des 2006 verstorbenen Independent-Pioniers Robert Altman bei dem Versuch, per fein gewebtem Ensemblestück einen Schlüsselmoment des amerikanischen Kulturwandels dingfest zu machen.

Die Reporter sind die Schurken der Geschichte

Der Untergang des Gary Hart nämlich markiert eine Schwelle, so die These des Films, die Amerika im Jahr 1987 endgültig überschritt - hin zur Klatschpressen- und Reality-TV-Gesellschaft, mit allen fatalen Folgen bis hin zu Donald Trump. Davor nämlich, dass darf Hugh Jackman mit echter Wut in der Stimme und steiler Zornesfalte auf der Stirn dann auch immer wieder einfordern, galt in der Politik eine ungeschriebene Regel: Es sollte in der Öffentlichkeit um die relevanten Fähigkeiten der Mächtigen gehen, nicht um Geschehnisse in ihren Betten, die von der offiziellen Moral des Landes vielleicht gedeckt waren, vielleicht aber auch nicht. Und wenn man die Widersprüche als Reporter nicht mehr übersehen konnte, wie im Fall John F. Kennedy, hielt man sich dennoch an einen kollektiven Pakt des Schweigens.

Der Film erweist dieser alten Zeit insofern Respekt, als er die Frage offenlässt, was tatsächlich in jenen Nächten in Gary Harts Haus geschah. Die Szenen mit seiner in sich ruhenden Ehefrau (Vera Farmiga), die ihm zunächst nicht vom Blockhaus in Colorado in die Hauptstadt folgt, suggerieren zwar eine Art Ehepakt, der ihm die klandestine Ausbeutung seines Killercharmes erlaubte. Ausgesprochen wird das aber nicht, und auffliegen darf es natürlich auch nicht. Die wütende Überzeugung des Kandidaten, dass er sich in Sachen Frauen niemandem erklären müsse, nicht einmal seinem bärbeißigen Wahlkampfleiter (J. K. Simmons) und all den jungen Idealisten, die für ihn schuften, erscheint jedoch von Minute zu Minute weltfremder.

Die Reporter des Miami Herald, die einen anonymen Tipp bekommen und dann lauern, um Donna Rice mit Gary Hart abzulichten, sind Spürhunde mit schlechten Manieren und natürlich irgendwie die Schurken der Geschichte - das sagt ihnen Hart, als er sie nachts hinterm Haus konfrontiert, auch sehr direkt ins Gesicht. Der (fiktive) Reporter der Washington Post (Mamoudou Athie), der den Kandidaten dann auf einer Pressekonferenz fragt, ob er Ehebruch für unmoralisch hält, und damit quasi den Sack zumacht, schillert schon mehrdeutiger. Die Erinnerung an Watergate, und damit an die Möglichkeit, dass Trickser und Lügner sich in höchste Ämter schleichen können, ist noch ganz frisch.

Kostet der Untergang der alten Regeln die Politik ihre besten Köpfe?

Obwohl der Film erkennbare Sympathien für seine Hauptfigur hegt und dieser Präsidentschaft, die nicht sein sollte, offenbar nachtrauert, erscheint die wütende Prophezeiung des Kandidaten, mit dem Untergang der alten Regeln werde die Politik auch ihre besten Köpfe verlieren, am Ende doch unhaltbar selbstgerecht.

Da ist Gary Hart dann doch nur ein Dinosaurier, der gegen den Entzug absurder Privilegien wettert, in diesem Fall das Recht, in der Öffentlichkeit als makelloser Visionär gefeiert zu werden und im Privaten trotzdem Sex mit den hübschesten Models zu haben. Es mag schon sein, dass die heterosexuelle Musterehe damals ein so unhintergehbarer Standard der Wählbarkeit war, dass Politiker und Journalisten zu Komplizen werden mussten, um hinter dieser Fassade trotzdem ein Leben zu haben. Dieser Standard gilt aber nicht mehr, und die Arrangements, die ihn ersetzen könnten, sollten einem Lebenslügen-Detektor im Zweifel standhalten. Denn es wäre doch reichlich absurd, sich nach Zeiten existenzieller Verlogenheit zurückzusehnen.

The Front Runner, USA 2018 - Regie: Jason Reitman. Buch: Matt Bai, Jay Carson, Reitman. Kamera: Eric Stellberg. Schnitt: Stefan Grube. Mit Hugh Jackman, Vera Farmiga, J. K. Simmons, Alfred Molina. Verleih: Sony, 113 Minuten.

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