Karl Ove Knausgård im Gespräch:"Die Literatur muss dahin, wo die Erzählung aufhört"

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Die Qualen eines Kindergeburtstags: Karl Ove Knausgård schreibt darüber 50 Seiten. (Foto: dpa)

Sein autobiografisches Großprojekt "Min Kamp" machte Karl Ove Knausgård weltberühmt, zwang den Autor aber zum Rückzug. Was schreibt man, wenn man alles beschrieben hat?

Von Verena Mayer und Alex Rühle

Er hatte eine fünfjährige Schreibblockade. Dann fing er an, das eigene Leben aufzuschreiben, und zwar mikroskopisch genau. Die Qualen eines Kindergeburtstags auf 50 Seiten, sein Leben als Vater und Ehemann, seine Versuche, als Student das Schreiben zu lernen oder zumindest mal Sex zu haben. Dass er mit seinem autobiographischen Werk "Min Kamp" einen Welterfolg landen würde, hat Karl Ove Knausgård keine Sekunde in Erwägung gezogen. "Wen soll das interessieren?" Antwort: Alle. Die sechs Bücher avancierten zum größten literarischen Bucherfolg des neuen Jahrtausends. Jeder Band wird erwartet wie ein neuer Harry Potter, die Schriftstellerin Zadie Smith sagte, sie brauche neue Knausgård-Texte "wie ein Drogensüchtiger Crack".

Die negative Folge dieses Instantruhms: Es wurde zuviel. Die Weltpresse belagerte Knausgård, er zog sich zurück - und gibt jetzt erstmals seit Langem wieder ein Interview, allerdings nur am Telefon. Umso überraschender ist, wie entspannt und freundlich das Gespräch verläuft. Knausgård erzählt, wie es überhaupt zu dem Romanprojekt kam. 2010 sei er bei seinem Verleger mit 1200 Seiten Text aufgekreuzt und schlug vor, ein bis zwei Bücher daraus zu machen. Der Verleger habe gesagt: Nein, da machen wir 12 daraus. Am Ende einigten sie sich auf sechs Bände, und Knausgård sollte hintereinander noch vier Romane schreiben.

Knausgård ist erschrocken über die Reaktionen auf seine Bücher

Wie arbeitet man da, wenn man nebenbei vier kleine Kinder großziehen muss? Knausgård sagt, das sei gerade der Witz. Der Familientrubel würde einen vom unerträglichen Streben nach Perfektion abhalten. "Da kann nämlich nicht das Gefühl aufkommen: Das ist jetzt ein heiliger Text. Man schreibt offener, freier und besser." Nur für die Kinder sei es wahrscheinlich "nicht so toll gewesen, ich war nicht viel für sie da, auch wenn ich immer zu Hause saß".

Das autobiografische Schreiben habe er als "Experiment in Sachen literarischer Realismus" gesehen, umso mehr sei er über die Reaktionen auf seine Bücher erschrocken. Nach der Veröffentlichung der ersten zwei Bände war die Familie seines Vaters zutiefst verletzt, seine Frau musste in eine Nervenklinik. Er habe in den Folgebänden dann viel vorsichtiger geschrieben, Rechtsanwälte lasen die Texte vor Drucklegung. Im sechsten und letzten Band habe er schließlich die Folgen des Ruhms verarbeitet, es beginnt zwei Tage vor dem Erscheinen des ersten Bandes. Einfach sei es nicht gewesen, weil "plötzlich alles wie eine Pose klang. Beim Schreiben dachte ich, das ist ein Cartoon und ich tue nur noch so, als ob ich Karl Ove wäre".

Man sagt, Schriftsteller sollten sich das Autobiografische für das Ende ihres Lebens aufheben, Knausgård begründete seine Karriere darauf. Was kann jetzt noch kommen? Texte über die kleinen Dinge des Lebens, sagt Knausgård, "Reflexionen über eine Toilette, über Kotze, den Himmel, die materielle Welt um uns herum, Liebe, Babys, Bäume, Tiere, Autos." Und er hat einen Essayband herausgebracht, in dem er sich mit der amerikanischen Seele genauso beschäftigt wie mit Fotokunst oder dem Terror von Anders Breivik. Und immer geht es darin um das Schreiben, um die Grenzen der Literatur und wie man sie überwindet. "Wir müssen neue Weg des Erzählens finden, die Literatur muss dahin, wo die Erzählung aufhört."

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