Politik und Medien:Die USA haben sich kaputt amüsiert

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Donald Trump bei Larry King: Politik vermischt sich nicht nur mit der Unterhaltung, sie ordnet sich ihr unter. (Foto: REUTERS)
  • Donald Trump war nicht der Erste: Wie sich die Unterhaltungskultur die amerikanische Politik einverleibte.
  • Weshalb Reality-TV half, Wahlen auf Sympathiewettbewerbe zu reduzieren.
  • Warum die Aufmerksamkeitsökonomie weitere Prominente in die Politik spülen wird.

Von Johannes Kuhn

Am 27. April 1992 schickt Mandy Grunwald eine Notiz an das Team des US-Präsidentschaftskandidaten Bill Clinton. Grunwald ist für die Werbestrategie der Kampagne verantwortlich und hat ein dringendes Anliegen: Es ist Zeit, den Kandidaten endlich in die Late-Night- und Unterhaltungsshows der Nation zu schleppen.

"Worauf warten wir noch?", heißt es in dem späteren Dokument der Zeitgeschichte. "Wir wissen doch, dass Momente der Leidenschaft, persönlichen Erinnerungen und Humor uns mehr bringen als jedes 60-Sekunden-Zitat in den Nachrichten oder 30-sekündige Werbespots."

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Politik und die elektronischen Massenmedien haben sich einander zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahrzehnten angenähert: Von John F. Kennedy als erstem US-Präsidenten im Kontext des TV-Zeitalters bis zu Ronald Reagan, der sein politisches Image nach seinen Leinwand-Rollen modelliert. Nur ein Jahr zuvor haben die USA und ihre Fernsehstationen den Golfkrieg als sauberes Action-Spektakel inszeniert.

Grunwald ahnt, dass das Ende der Entwicklung noch lange nicht erreicht ist. Vielmehr kehrt sich gerade etwas um: Politik vermischt sich nicht nur mit der Unterhaltung, sie ordnet sich ihr unter.

"Ich verstehe, dass viele Menschen sagen werden, dass das 'un-präsidial' ist" , verteidigt sie sich deshalb. "Quatsch. So bekommen die Menschen ihre Informationen." Sie setzt sich durch.

Einen Monat später ist Bill Clinton in der Late-Show von Arsenio Hall zu Gast. Er erzählt, dass er bei seinem Kiff-Experiment zu Uni-Zeiten gerne inhaliert hätte (aber nicht wusste wie), setzt sich eine billige Sonnenbrille auf und spielt - begleitet von der Studioband - Saxofon. Der Auftritt gehört noch 25 Jahre später zu den ikonischen Momenten des massenmedialen Wahlkampfs.

Politik als Teil des Reality-TV

In den Jahren darauf wird deutlich, was genau sich gerade vollzieht. 1992 ist das seriöse Nachrichtenprogramm 60 Minutes noch die erfolgreichste Fernsehreihe und CNN der einzige Nachrichtenkanal. Knapp ein Jahrzehnt später dominieren Reality-TV-Erfolge wie die Inselsendung Survivor oder die Gesangsreihe American Idol die Einschaltquoten. Mit Fox News und MSNBC können sich konservative und progressive US-Amerikaner ihre Nachrichten gemäß der eigenen politischen Grundhaltung aussuchen.

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Und im Jahr 2004 strahlt NBC die erste Staffel von The Apprentice aus. In der erfolgreichen Reality-Manager-Show kann sich ein Immobilien-Unternehmer als Moderator neu erfinden. Sein Name: Donald Trump.

Die Explosion der unterschiedlichsten Reality-Formate hat dazu geführt, dass oft die Existenz zweier klar getrennter Schulen übersehen wird: Jene Wettbewerbe, in denen Sänger, Handwerker, Amateur-Sportler oder Köche gegeneinander antreten und dabei Fleiß und Talent vorführen. Und die Formate, in denen meist simpel gestrickte Teilnehmer durch Missgunst, Intrigen und anderen Zwischenmenschlichkeiten miteinander kollidieren und so dem Zuschauer vorgeführt werden.

In diesem Gegensatz wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts das Dilemma der US-Politik deutlich. Offiziell wollen Politiker sich im Wahlkampf des Amtes als würdig erweisen, nehmen also an einem Talentwettbewerb teil. Dabei wissen sie nur zu gut, dass ihre Auftritte und die menschelnden Erzählungen - "George W. Bush, der nahbare Konservative/beschützende Kriegspräsident", "Barack Obama, der die USA mit ihrer rassistischen Vergangenheit versöhnt" - längst wichtiger als politische Ideen sind.

Auch das Publikum weiß das. Doch es kennt auch die erbarmungslosen Negativ-Wahlkampfspots, die gut dokumentierten Machtspiele, die Wahlkampf-Großspenden und die Leere der politischen Versprechen. In den Jahren vor der Wahl Donald Trumps wird dieser Aspekt zum dominierenden Narrativ; vor allem auf Seiten der politischen Rechten wird er medial kräftig betont und ideologisch gebogen.

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Der Reality-Politiker Trump profitiert deshalb nicht nur von seiner TV-Bekanntheit und vermeintlichen Authentizität; seine Verstöße gegen die rhetorischen Normen der amerikanischen Politik machen den Talentwettbewerb Präsidentschaftswahl zur Shitshow, die Teile des Publikums schon lange hinter dem Vorhang vermuten. Es wird der erwartete Quotenhit.

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Mark Krotov, Herausgeber der linken Zeitschrift n+1, analysiert noch vor der Präsidentschaftswahl die Entwicklung amerikanischer Politik-Berichterstattung der vergangenen Jahre schonungslos: "Die Medien (...) haben sich eine Politik gewünscht, die aus nichts als zwischenmenschlichem Konflikt besteht. Politik, die einzig performativ ist und auf Schau-Boxkämpfen aufbaut. Dieses Jahr haben sie sie bekommen."

Niemand personifiziert diese Haltung besser als Jeff Zucker. 2004 ist er NBC-Chef, die Trump-Verpflichtung für The Apprentice beschert ihm einen dringend benötigten Quotenhit. Im Wahlkampf 2016 macht er CNN als Geschäftsführer zur 24-Stunden-Trump-Reality-Show. Dessen ehemaliger Wahlkampf-Manager Corey Lewandowski erhält bereits drei Tage nach seiner Entlassung einen bestens bezahlten Job als CNN-"Experte". Die Fürsprecher Trumps, die im Sender die Aussagen des Kandidaten und Präsidenten mit grotesken Argumenten verteidigen? "Charaktere in einem Drama" ist die Funktion, die Zucker ihnen zuweist.

Am Ende wählen die USA den Kandidaten, der dem Wort "Infotainment" eine neue Bedeutung gibt. Die extreme amerikanische Konsumkultur wird häufig als Sieg des Kapitalismus beschrieben. Doch wo lässt sich der Triumph der Unterhaltungskultur über das Politische einordnen?

Der Filmkritiker Neal Gabler liefert in seinem zu wenig beachteten Buch "Das Leben, ein Film" aus dem Jahr 1999 den historischen Kontext. Er beschreibt den Aufstieg des amerikanischen Entertainments im Kontext der Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts.

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Unterhaltung war für weite Teile der Gesellschaft das Gegenprogramm zur Hochkultur, der sich der amerikanische Geldadel widmete. Dabei dominierte durchaus Klassenkämpferisches und Verachtung für die Herrschenden. Noch in den Schwarzweiß-Blödeleien der Marx Brothers und der "Three Stooges" sind die Bösewichte in der Regel daran zu erkennen, dass sie feine Anzüge tragen.

Dieser Klassenkampf hat sich mit der Zeit in der Unterhaltung abgeschliffen. Geblieben ist davon im Jahr 2017 nur die Elitenverachtung als fester Bestandteil des politischen Spektakels. Hinter dem subversivem Gestus der konservativen Bewegung in den USA verbirgt sich jedoch kein Aufbegehren mehr, sondern die Zementierung der sozialen Struktur: weniger Rücksicht auf Minderheiten und soziale Umstände, größeres Augenmerk auf das Wohlergehen von Firmen und Gutverdienern.

Theatralik und medial erzeugte Pseudo-Ereignisse - ein Tweet des US-Präsidenten, eine neue Entwicklung im ewigen Machtkampf - dominieren nicht nur die Berichterstattung. Sie haben auch das Verständnis politischer Mechaniken ersetzt, das Wissen darüber, welche Probleme Washington überhaupt lösen kann und was das politische "Gewinnen", das immer stärker in den Mittelpunkt rückt, für den einzelnen Amerikaner für Konsequenzen hat.

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Weniger extrem (und deutlich weniger unterhaltsam) sind solche Entwicklungen auch in anderen medial geprägten Demokratien des Westens zu erkennen. Doch was die Politikwissenschaftler Christopher Achen and Larry Bartels in einer Untersuchung feststellten, weist auf eine große Deformation der demokratischen Meinungsbildung hin: Viele US-Amerikaner ordnen inzwischen ihren Lieblingspolitikern einfach die Ansichten zu, denen sie selbst anhängen. Sogar dann, wenn diese etwas völlig anderes erzählen.

Ein solcher Sympathiewettbewerb muss fast zwangsläufig zu einem unpolitischen US-Präsidenten führen. Doch was wird passieren, wenn die Trump'sche Reality-Show einmal vorbei ist? Die politischen Probleme werden nicht gelöst sein, und die fortgesetzte Stagnation wird erneut jene Außenseiter auf den Plan rufen, die von Politik reden können, ohne Teil des Betriebs zu sein. In der Aufmerksamkeitsökonomie sind dies - wie der 45. US-Präsident - vorwiegend Persönlichkeiten aus dem Unterhaltungsbetrieb.

Neuordnung als Unterhaltungsdemokratie

Von Ex-Sportlern wie NFL-Quarterback Peyton Manning über den Musiker Kid Rock bis hin zu Investoren-TV-Persönlichkeit Mark Cuban oder Facebook-Chef Mark Zuckerberg werden derzeit vielen Prominenten politische Ambitionen nachgesagt. Verzweifelte texanische Demokraten wollen Eva Longoria und Tommy Lee Jones von politischen Kandidaturen überzeugen, um im konservativen Bundesstaat mit zwei Schauspiel-Stars wettbewerbsfähig zu werden.

Bereits im Jahr 2003 prognostizierte der amerikanische Manager Michael Wolf in seinem Buch "The Entertainment Economy", dass sich künftig jede Firma nach den Regeln der Unterhaltungsindustrie ausrichten muss, um Aufmerksamkeit für die eigenen Produkte zu erhalten. Der Siegeszug von Internet und sozialen Netzwerken bestätigte ihn später.

Doch so sehr sich Unternehmen und Berufspolitiker bemühen, die Vertreter der prominenten Klasse haben stets einen Startvorteil. Womöglich also findet in der amerikanischen Demokratie deshalb gerade eine Neuordnung statt, die der Kultur des Landes völlig entspricht. Vielleicht werden einmal die Wähler abstimmen dürfen, ob sie diese Staatsform Unterhaltungsdemokratie oder lieber gleich Promitokratie ("Celebritocracy") nennen wollen.

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