"James Bond: Spectre" im Kino:Bond leidet an der Welt

In "Spectre" tritt James Bond zwar gegen eine fiese Superschurken-Organisation an. Seine wichtigste Mission aber lautet: Vergangenheitsbewältigung.

Von Susan Vahabzadeh

Nirgendwo haben die Sechzigerjahre länger gedauert als in den James-Bond-Filmen. Die Zukunft war vielversprechend im alten Agentenkosmos, die Welt strebte auf die Lösung aller offenen Fragen zu, und der Geheimdienst Ihrer Majestät räumte dem Fortschritt diskret die Stolpersteine aus dem Weg.

Als das neue Jahrtausend dämmerte, gab es lediglich ein paar oberflächliche Renovierungen der Reihe, wie neue Möbel in einem alten Haus. Inzwischen ist aber endgültig klar: Nicht einmal für 007 bleibt die Zeit stehen. Jetzt ist der Superagent in der Gegenwart angekommen, und wir scheinen in sehr merkwürdigen Zeiten zu leben, denn sie gefallen ihm kein bisschen mehr. Vielleicht, weil dies keine Epoche der schnellen Lösungen ist.

Über den Dächern von Mexiko City

Der neue Film "Spectre" fängt an wie seine Vorgänger auch: spektakulär choreografiert, also sehr vertraut. Bond (Daniel Craig) ist unterwegs in Mexiko City. Während der großen, bunten Festtagsparade zum Tag der Toten geht er in ein schickes Hotel, steigt durchs Fenster hintenrum wieder hinaus und über die Dächer bis zu einem Haus, in dem finstere Gestalten sich beraten.

Deren Machenschaften bereitet er gewaltsam ein plötzliches Ende und stört durch die daraus resultierende Verfolgungsjagd, die mit einer schwindelerregenden Hubschraubersequenz endet, auch das Feiertagsgewusel der Mexikaner.

James Bond: Spectre; Daniel Craig

Hubschrauber sind in "Spectre" besonders gefährdete Vehikel. James Bond (Daniel Craig) demoliert sie sowohl in Mexiko als auch in den Alpen.

(Foto: Sony)

Das alles wirkt ein bisschen, als habe man den achten Bondfilm "Leben und sterben lassen" mit der Istanbul-Sequenz des letzten und dreiundzwanzigsten Bondfilms "Skyfall" vermengt. Aber diese Retrospektive passt gut zu "Spectre", in dem es, wie der Titel vorgibt, um Gespenster geht, Phantome der Vergangenheit.

Die Rationalisierung der Doppelnull

Als Bond nach London zurückkehrt, um sich den Rüffel für die nichtgenehmigte Sprengung diverser mexikanischer Gebäudeblocks abzuholen, lauert im Büro seines Chefs M (Ralph Fiennes) zunächst aber die pure Gegenwart. Und zwar in Gestalt eines Oberschicht-Schnösels (Andrew Scott), der aussieht, als sei er gerade erst aus einer sehr teuren Privatschule gestolpert.

Fusionen stehen an, Rationalisierung, Modernisierung. Die Geheimdienste MI5 und MI6 sollen verschmolzen werden, und als eine Konsequenz daraus soll das Doppelnull-Programm eingestellt werden. Was Bond aktuell aber egal sein kann, weil er wegen des Chaos in Mexiko ohnehin suspendiert wird. Der junge Streber, den Bond C tauft, will aber noch mehr als nur die Doppelnull-Agenten loswerden. Er will M entmachten, und ein bisschen auch die britische Regierung. Regierungen werden seiner Meinung nach überbewertet und sind zur Förderung der Wirtschaft ungeeignet.

Die Geister der Vergangenheit

Diese kruden Zukunftspläne werden in "Spectre" nun mit Bonds Vergangenheit gemixt. Schon in "Skyfall" war seine Kindheit verhandelt worden, Bond als Privatmensch. Dabei galt jahrzehntelang, dass Bond und M und Q und Moneypenny maximal ein neues Gesicht durch einen neuen Darsteller verpasst bekamen, ansonsten aber gleich blieben und kaum ein Privatleben hatten. Jetzt aber gibt es plötzlich jede Menge alte Geister. Ms Vorgängerin ruft per Videobotschaft aus dem Grab, gibt einen wichtigen Hinweis.

Vom Glauben abgekommen

Bond wirkt mitgenommen, lässt sich sogar endlich mal mit einer Frau seiner eigenen Altersklasse ein (Monica Bellucci). Einst feierte er mit all seinen Gadgets und der Liebe zum Luxus, den hochgerüsteten, seetüchtigen Flugautos, in denen er von einem wunderbaren Ort zum nächsten schwebte, den Glauben an die Zukunft und den Kapitalismus. Jetzt aber macht er sich Sorgen darum, was aus dieser kaputten Welt nur werden soll.

Diese wertkonservative Note ist im Bond-Universum eine Neuerung, und vielleicht ist dieses Rezept auch das richtige für die Zukunft. Wer will schon den x-fachen Neuaufguss des Ur-Bonds sehen? James Bond ist das größte aller Kino-Franchise-Unternehmen und vermag längst auch ein neues, junges Publikum zu binden, dem es egal ist, wie oberflächlich, misogyn und weltfremd es früher war. Damals, als er orientierungslos auf der Suche nach neuen Gegnern war, für immer im Kalten Krieg gefangen.

Bond muss seine diversen Traumata in den Griff bekommen

Wie der Vorgängerfilm "Skyfall" wurde auch "Spectre" wieder vom Briten Sam Mendes inszeniert. Es sind die dunklen Seiten, die ihn interessieren, sagt Mendes, der 1999 einen Oscar für "American Beauty" bekommen hat. Fürs aktuell vierköpfige Bond-Autorenteam hat er nun auch den britischen Dramatiker Jez Butterworth rekrutiert, der dieses Jahr "Black Mass" geschrieben hat, den düsteren Gangsterfilm mit Johnny Depp.

Der Humor, die Selbstironie, die Bond einmal ausgezeichnet haben, sind auf der Strecke geblieben in den letzten Filmen. Craig ist ein ernster Bond, einer, der seine eigenen Traumata in den Griff bekommen muss, während er die Welt rettet. Früher, sagt Mendes, waren finstere Filme unverkäuflich, heute aber kann sich sogar 007 eine Therapie statt eines Wodka Martini leisten.

Marcel Proust lässt grüßen

Bond ist in "Spectre" also suspendiert, seine Dienstherren haben ihm einen Überwachungschip in die Blutbahn geschleust. Was dann wesentlich mehr Zusammenarbeit mit seinen Sidekicks Q und Moneypenny erfordert als üblich. Sie alle haben viel zu tun, ihn zu unterstützen, als er auf eigene Faust die Mexikospur weiterverfolgt. Es geht nach Österreich, Italien und Marokko. Eine geheimnisvolle Schurkenorganisation unter Vorsitz eines gewissen Franz Oberhauser (Christoph Waltz) lauert ihm auf.

Kontakt zu dieser krakenhaften Vereinigung stellt das nächste Bond-Girl her, Madeleine Swann (Léa Seydoux), die eigentlich mehr ein Mündel ist: Bond soll sie beschützen, das verspricht er ihrem Vater, bevor der sich umbringt, und sie lässt sich dann sehr widerwillig von ihm retten. Swann - da lässt Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ganz herzlich grüßen. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach dem Bösewicht, dabei werden die düsteren Familiengeheimnisse aller Beteiligten abgearbeitet.

In den Bildern, den Räumen bricht immer wieder Retro-Charme ein: Bonds Wohnung ist in einem uralten Haus, schmiedeeisern eingezäunt; ein abgewracktes Hotelzimmer in Tanger steht voller abgenutzter maurischer Intarsien; ein Zug, der durch die Wüste fährt, sieht aus wie der Erste-Klasse-Wagen des Orientexpress von 1928. Das ist alles sehr schön, aber eben so, als sei alles Schöne, Warme, Betörende ein Teil der Vergangenheit.

"Ihr mit euren Drohnen!"

Das Heute ist kalt und unwirtlich. Der Geheimdienst Ihrer Majestät sehnt sich nach moralischeren Zeiten, innerhalb des moralischen Rahmens eines Geheimdienstes: Ihr mit euren Drohnen, schleudert M einmal dem schnöseligen C entgegen! Man muss dem, den man umbringt, in die Augen sehen - und dann entscheiden, ob man es tut oder nicht.

Einen Bond zu drehen, sagt Sam Mendes, das sei, als manage man ein Football-Team: Alle Fans der Welt beäugen misstrauisch deine Arbeit. Daniel Craig hat Gerüchte befeuert, dass er 007 nicht noch einmal spielen wird, obwohl er eigentlich weiterhin unter Vertrag steht. Wenn er tatsächlich geht, müsste sich das Riesenunternehmen Bond beim nächsten Dreh schon wieder neu erfinden.

Das wäre, wo er doch jetzt einmal gekostet hat von der süßen Schwere des Weltschmerzes, gar nicht so leicht. Aber die Dienstherren - nicht die im Film, sondern die realen - werden wie immer einiges dransetzen, um noch einmal von vorn anzufangen. Irgendeine Form von Zukunft wird es schon geben, solange das Böse in der Welt ist. "Spectre" war zwar teurer als alle seine Vorgänger, aber er schickt sich auch jetzt schon an, noch profitabler zu werden als alle anderen. Die Reihe ist viel zu wertvoll, um sie aufzugeben. In diesem Sinne ist der Kapitalismus also immer noch schön.

Spectre, USA/GB 2015 - Regie: Sam Mendes. Drehbuch: John Logan, Neal Purvis, Robert Wade, Jez Butterworth. Kamera: Mit: Daniel Craig, Christoph Waltz, Léa Seydoux, Ralph Fiennes, Ben Wishaw, Naomie Harris, Monica Bellucci. Sony, 148 Minuten.

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