Interview: Catherine Millet:Vom Glück, Französin zu sein

"Das sexuelle Leben der Catherine M." war ein Skandalroman, er hat Catherine Millet weltberühmt gemacht: ein Gespräch über weibliche Körperlichkeiten als literarisches Thema und überflüssige Kämpfe.

Katharina Riehl

Der Typ, der in ein Macbook summen kann, das dann die dazu passende Hollywood-Begleitung komponiert, hat gerade die Bühne verlassen. Der Vortragsraum der Digital Life Design (DLD) Conference, einer Veranstaltung des Verlagshauses Burda, leuchtet in Weiß mit Quietscheorangepink. Frauen sollen über sich, das Leben und das Internet sprechen. Maria Furtwängler (ja praktisch die Hausherrin) kommt nach vorne - im Schlepptau mit zwei ähnlich gut und sommerlich-feminin gekleideten Blondinen. Sie kündigt den nächsten Gast an: Catherine Millet, französische Intellektuelle und Autorin des Skandalbuches Das sexuelle Leben der Catherine M., in dem sie sehr offen über sehr viel Sex geschrieben hat. Bei Burda soll sie über Eifersucht sprechen, ihr zweites Buch trägt diesen Titel. Auf die Bühne kommt eine kleine, unscheinbare Frau im braungeblümten, unscheinbaren Kleid. Wie ein Vamp sieht sie nicht aus. Catherine Millet nimmt Platz zwischen Christine Eichel vom Focus und einer Dolmetscherin.

DLDwomen Conference 2010

"Ich glaube, der Feminismus meiner Generation hat sich überlebt": Catherine Millet zu Gast bei Burda im Deutschen Museum in München. 

(Foto: getty)

Die Französin spricht über ihre Erfahrungen als Skandalautorin und erklärt, dass Frauen auf dem Feld der Sexualität noch viel lernen müssen. Sie warnt vor einem aufkommenden Puritanismus. Und dann ist es auch schon wieder vorbei.

Ein paar Minuten später, Catherine Millet hat sich eine Flasche Wasser mit Strohhalm geben lassen. Sie sitzt auf einer Bank in einer Halle mit ausgestellten Flugzeugen - Burdas digitale Frauen tagen schließlich auf dem Gelände des Deutschen Museums. Jetzt hat sie Zeit für ein paar Fragen.

sueddeutsche.de: Vorhin auf der Bühne haben Sie gesagt, Sie seien froh gewesen über Ihren Status als Intellektuelle, als Sie das erste Buch herausbrachten - weil die Menschen Sie ernst nehmen mussten. Kann also nicht jede Frau so offen über Sex schreiben?

Catherine Millet: Auf diese Frage gibt es zwei Antworten. Es gibt viele Menschen, die diese Art von Erfahrung gemacht haben - und die darüber hätten schreiben können. Andererseits muss man, um ein solches Buch veröffentlichen zu können, auch das richtige Umfeld haben. In meinem Umfeld was das leichter, bei einer universitären Karriere wäre das sicher schwieriger.

sueddeutsche.de: Auch in Deutschland gab es in den vergangenen Jahren Bücher, die es sich zum Vorsatz gemacht haben, offen und detailliert über weibliche Körperlichkeiten zu schreiben. Die Schriftstellerin Charlotte Roche wurde aber beispielsweise für ihre Feuchtgebiete sehr stark angegriffen.

Millet: Das war bei mir anders. Ich hatte sofort eine riesige Akzeptanz für das Buch. Ich hätte nie gedacht, dass es ein so großer Erfolg werden würde.

sueddeutsche.de: Warum war das so?

Millet: Ich glaube, die Franzosen sind einfach toleranter in sexuellen Fragen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was man in Europa über die Franzosen so denkt.

"Nicht alle Frauen sind Opfer"

sueddeutsche.de: Aber Sie hatten ja nicht nur in Frankreich Erfolg, das Buch ist in viele Sprachen übersetzt worden.

Millet: Aber das liegt auch an Frankreich: Im Vergleich zu anderen Ländern erscheinen die Franzosen oft als Vorbild. Das Buch war auch deswegen ein Erfolg, weil es eine Französin war, die dieses Buch geschrieben hat.

sueddeutsche.de: Weil Franzosen so etwas dürfen?

Millet: Überall wo ich auf der Welt hinkam haben sie gesagt: Ja, klar, dass Sie so etwas schreiben können, Sie sind ja Französin.

Eine französische Radiojournalistin hat sich mit auf die Parkbank in der Flugzeughalle gesetzt. Sie hat ein iPhone in der Hand, immer bereit, es Catherine Millet unter die Nase zu halten.

sueddeutsche.de: In Ihrem neuen Buch Eifersucht schreiben Sie von einer ganz anderen Erfahrung: Die Frau, die ihr ausuferndes Sexleben beschrieben hatte, entdeckt eine Affäre ihres Mannes und leidet darunter. Wie haben die Menschen darauf reagiert, dass Catherine M. plötzlich Emotionen zeigt?

Millet: Sie haben gesagt: Die ist ja doch normal.

sueddeutsche.de: Und Sie haben nie Häme gespürt? Von Leuten, die Ihnen nie glauben wollten, dass Ihr Lebenskonzept so funktionieren kann?

Millet: Nicht sehr viel. Genaugenommen habe ich für das zweite Buch eine sehr viel bessere Presse bekommen als für das erste. Bei Das sexuelle Leben der Catherine M. haben mir viele Menschen vorgeworfen, ich hätte das nur wegen des Geldes geschrieben.

sueddeutsche.de: Kaum zeigen Sie sich in einem Buch emotional und verletzlich, schreiben die Rezensenten, das sei das "ehrlichere Buch". Erfüllen Sie jetzt wieder das Rollenbild?

Millet: Nein, beide Bücher sind ehrlich. Ich glaube, ich habe nicht deshalb bessere Kritiken bekommen, sondern weil es das analytischere Buch ist. Und ich glaube, es ist auch besser geschrieben.

sueddeutsche.de: Sie stehen für das Bild der selbstbewussten und klugen Frau, die sich im Leben alles nimmt, was sie will. Gerade auch in sexueller Hinsicht. In der Populärkultur verbinden viele dieses Frauenbild mit der Serie Sex and the City. Haben Sie den neuen Film schon gesehen?

Millet: Oh, da kenne ich mich gar nicht aus. Ich habe das nie gesehen.

Catherine Millet lacht, die Dame vom Radio spricht auf sie ein: Unbedingt solle sie sich das mal anschauen, vor allem die Serie. Macht sie, sagt sie.

sueddeutsche.de: Aber gerade dieses Frauenbild aus Sex and the City, oder aus Ihren Büchern, wird auch viel kritisiert. Es heißt dann, Frauen, die glauben, beim Sex ihre eigenen Regeln zu machen, merken nicht, dass sie doch eigentlich immer nur Werkzeuge der Männer sind.

Millet: Ich glaube, wir sollten nicht immer voraussetzen, dass jede Frau ein Opfer ist. Jede Frau kann sich verteidigen, wenn sie sich angegriffen fühlt. Ich distanziere mich von dieser feministischen Sicht, dass Frauen immer Opfer der Männer sind. In Frankreich gibt es einen Neofeminismus, der sich gegen eine solche Sicht einsetzt: einen Feminismus pro Sex.

sueddeutsche.de: Den gibt es in Deutschland auch. Damit können Sie sich besser identifizieren?

Millet: Ich fühle mich diesen Neofeministinnen, die ja zum großen Teil viel jünger sind als ich, viel näher als den Feministinnen meiner Generation.

sueddeutsche.de: Sie glauben also, dass sich der Feminismus Ihrer Generation überlebt hat?

Millet: Ich glaube, das passt nicht mehr zu den jungen Frauen.

sueddeutsche.de: Aber ist das nicht eine naive Sicht, dass wir den Feminismus nicht mehr brauchen?

Millet: Dazu muss ich jetzt sehr generell werden. Ich glaube, dass Frauen eines wirklich besser können als Männer: Dinge zu pervertieren und Menschen zu manipulieren.

sueddeutsche.de: Also kein Kampf mehr nötig?

Millet: Nein, ich glaube das ist überholt.

Eine Kollegin von Arte ist vor der Bank aufgetaucht. Sie will mit Madame Millet über Schönheitsideale sprechen. Und schon ist sie zwischen den Flugzeugen verschwunden.

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