Im Kino: Womb:Geklonte Gefühle

Ein Hauch von Horror: Als ein viel zu schnelles Auto ihre große Liebe Thomas aus dem Leben reißt, holt Rebecca ihn zurück - mit Hilfe der Replikationstechnik. Als ihr eigenes Kind.

Anke Sterneborg

Es ist ein Bild der Idylle, Mutter und Sohn tollen am Strand herum. "Trink, mein Schätzchen. Es gibt nur uns", sagt die Mutter. Und plötzlich klingt dieser Satz wie eine Drohung, ein Hauch von Horror liegt in der Luft, man denkt an Joan Crawford als "Mommie Dearest". Der ungarische Autor, Regisseur, Sounddesigner und Komponist Benedek Fliegauf will ein Märchen erzählen. Statt im dunklen deutschen Wald spielt es unter dem weiten Himmel der Nordseeküste. Ohne dass Gefahr von außen droht, hat die Einsamkeit etwas Gespenstisches, sie ist unterschwellig mit Verboten und Heimlichkeiten aufgeladen.

Womb

Rebecca (Eva Green) ist Mathematikerin, ihr Freund Thomas Romantiker und Idealist. Sie knüpfen an den Zauber der Kindheit an, bis ihn ein viel zu schnelles Auto aus dem Leben reißt.

(Foto: Camino)

"Womb" ist eine Geschichte von Liebe und Trauer, sie beginnt in den Ferien, da lernen sich die zwölfjährige Rebecca und der zehnjährige Thomas kennen. Gemeinsam erforschen sie die Welt und entdecken einander. Zwölf Jahre später, die Geschehnisse spielen nun in der nahen Zukunft, kehrt Rebecca (Eva Green) aus Tokio zurück. Sie ist inzwischen Mathematikerin, er ist Romantiker und Idealist. Sie knüpfen an den Zauber der Kindheit an, bis ihn ein viel zu schnelles Auto aus dem Leben reißt.

Wie viele Trauernde wird Rebecca in den Sog des Jenseits gezogen. Statt jedoch ins Übersinnliche zu flüchten, wählt sie die Wissenschaft, statt des Todes das Leben. Das Klonen ist längst eine gängige Option. So entschließt sie sich, Thomas wieder in ihr Leben zu holen - als ihr eigenes Kind. Und da wird klar, warum auch Rebeccas Geschichte in der Kindheit beginnen musste, mit all ihren verwirrenden Sensationen zwischen Unschuld und erotischem Erwachen. Denn sofort ist diese Spannung wieder da, beim gemeinsamen Bad in der Wanne, beim verspielten Raufen im Sand. Die liebenden Blicke der Mutter auf ihr Kind, sie sind immer zugleich die Blicke einer Frau auf ihren Geliebten.

Das generelle Ressentiment gegen die Replikation von Menschen bekommt da eine ganz neue Dimensionen. Als der Junge von Klassenkameraden gemobbt wird, weil Klonkinder die Aussätzigen der Zukunft sind, zieht sich Rebecca mit ihm in die Einsamkeit zurück, in ein Stelzenhaus am Strand - an einen entrückten Ort, der einer riesigen Lebensluftblase gleicht, in der sie sich auch keine Gedanken ums Geldverdienen machen muss.

Souverän hält Benedek Fliegauf Science-Fiction, Märchen und Liebesmelodram in der Schwebe. Er sagt, dass diese Geschichte mit der Sehnsucht begann, die Frauen, die er in seinem Leben geliebt hat, auch als Kinder erleben zu dürfen. Neugier und Obsession gehen dabei fließend ineinander über. Der ganze Komplex von Ethik und Moral, der zur Klonforschung gehört und der auch das Kino umtreibt, ist für ihn eher zweitrangig. Stattdessen entfesselt er eine Ambivalenz der Gefühle und Stimmungen: Seine verhangenen Nordseelandschaften mit den zerzausten Schilfgräsern und verwehten Sanddünen sind immer ein wenig zu unwirtlich, zu windig, zu kühl und zu grau, als dass man sich hier wohlfühlen könnte.

Der Geliebte, das Kind

Ein bisschen erinnert dieser unbehauste, hermetisch entrückte Ort an die Insel in Roman Polanskis "Ghostwriter", die nicht nur Zufluchtsstätte, sondern auch Gefängnis war. Auch die Zeit läuft hier in einem anderen Takt. Es ist, als ob die emotionalen Schockwellen Löcher in Wahrnehmung und Erinnerung reißen, die zu Leerstellen im Fluss der Erzählung werden.

Kunstvoll aber nicht überambitioniert arbeitet Fliegauf mit allen Mitteln des filmischen Erzählens, um diese eigentümlich beunruhigende Stimmung zu erzeugen. Dazu gehört das Spiel von Eva Green, das zwischen impulsiver Verwunderung und mühsamer Beherrschung oszilliert. Dazu gehört auch das Sounddesign, mit vielen weit entfernten, kaum hörbaren Tönen, die mal wie diffuse Kirchenchoräle klingen, mal wie Walgesänge oder Maschinendröhnen. Immer wieder hat man das Gefühl, als würde der ganze Film im Vakuum der Gefühle den Atem anhalten. Er kriecht unter die Haut wie ein Seewind, mit der verstörenden Intensität einer tiefen Liebe.

WOMB, D/F/Ungarn 2010 - Regie und Buch: Benedek Fliegauf. Kamera: Péter Szatmári. Schnitt: Xavier Box. Musik: Max Richter. Mit: Eva Green, Matt Smith, Leslie Manville.Camino, 107 Min.

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