"Das Erwachen der Macht":"Star Wars": Lichtschwertübergabe gelungen

Kann man den größten Mythos der Filmgeschichte zu neuem Leben erwecken? Dem siebten Teil der "Star Wars"-Saga gelingt es. Aber Achtung: Spoilergefahr!

Filmkritik von David Steinitz

Die Legende besagt, dass der "Star Wars"-Erfinder George Lucas stets eine Schere neben der Schreibmaschine liegen hatte, als er Ende der Siebziger das Drehbuch zu "Krieg der Sterne" verfasste. Damit schnippelte er sich dann manisch im Hippiehaar herum, wenn er mal wieder den Glauben an seine eigene Geschichte verloren hatte, von der er nicht wusste, ob sie irgendjemanden außer ihn interessieren würde.

Die Zweifel waren berechtigt, denn als er seinem Agenten ein erstes Exposé zukommen ließ, stand darin, dass "Star Wars" von Mace Wuindu handelt, dem verehrten Jedi-Bendu von Opuchie, der verwandt war mit Usby C. J. Thape, dem padawaanischen Schüler der berühmten Jedi."

Es sind schon Menschen für harmlosere Pamphlete weggesperrt worden, und auch wenn die Geschichte und die Namen noch sanft modifiziert wurden, war sich der Agent sicher, dass sein Mandant komplett verrückt geworden war.

Heute, nachdem sich "Star Wars" dann doch als recht kluger Einfall und Ersatzreligion für viele, viele, viele Menschen erwiesen hat, klingt das alles schwer neurotisch. Das wilde Haarschnippelbedürfnis ist im Kleinen aber trotzdem sehr gut nachvollziehbar, wenn man nun die große Frage beantworten darf, wie er denn nun ist, der heiß erwartete siebte "Star Wars"-Film "Das Erwachen der Macht".

Denn der Disney-Konzern, dem Lucas die Rechte an seiner Saga und anderen Erfindungen 2012 für über vier Milliarden Dollar verkaufte, versucht derzeit mit einem Werbe- und Merchandising-Angriff intergalaktischen Ausmaßes Sinn und Zweck der menschlichen Zivilisation mehr oder weniger auf dieses Kinoereignis zu reduzieren.

Natürlich ist "Das Erwachen der Macht" trotzdem kein überirdisches Ereignis, sondern: ein opulenter Blockbuster. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist ein sehr guter "Star Wars"-Film geworden, aufregender, selbstironischer und melancholischer als die letzten drei Teile, die George Lucas um die Jahrtausendwende noch in Eigenregie realisiert hat.

Der Regisseur J. J. Abrams hat für "Das Erwachen der Macht" genau die richtige Balance zwischen einer Verbeugung vor dem Mythos "Star Wars" und einer adäquaten Fortschreibung der Saga gefunden - ohne sich dabei in sakraler Selbstheiligsprechung zu verheddern, wie es Lucas zuletzt passiert war.

Der neue Film spielt 30 Jahre nach "Die Rückkehr der Jedi-Ritter", dem dritten Teil von Lucas' Urtrilogie aus dem Jahr 1983. In einer weit entfernten Galaxie sind die legendären Jedi-Ritter für eine neue Generation von Weltraumbewohnern zum Märchen geworden.

Die dunkle Seite der Macht aber, die einst durch Darth Vader und sein Imperium vertreten wurde, erstarkt wieder. Und zwar in Form der "First Order", der "Ersten Ordnung", die auf der Jagd nach dem verschwundenen Jedi Luke Skywalker ist - um ihn zu töten und den Jedi-Mythos endgültig zu zerstören.

Brutale Dramaturgie

"Das Erwachen der Macht": Der Bösewicht Kylo Ren (Adam Driver) kämpft als gelehriger Darth-Vader-Schüler gegen Finn und Rey (John Boyega, Daisy Ridley).

Der Bösewicht Kylo Ren (Adam Driver) kämpft als gelehriger Darth-Vader-Schüler gegen Finn und Rey (John Boyega, Daisy Ridley).

(Foto: Disney)

Als Gegenpol gibt es die Resistance unter Führung von Prinzessin Leia, die ebenfalls auf der Suche nach ihrem Bruder Luke ist, damit er ihr und ihren Gefährten im Kampf gegen das Böse beistehen kann.

Das im Netz heiß diskutierte Rätsel der letzten Wochen - wo steckt Luke Skywalker? - haben die Filmemacher also zur Haupthandlung gemacht und lösen das Geheimnis auch erst kurz vor Schluss.

Den ersten Hinweis auf Skywalkers Aufenthaltsort besitzt der kleine Roboter BB-8, der aussieht, als hätte man ihn aus anderthalb Christbaumkugeln zusammengeschraubt.

An dieses piepsende Kerlchen geraten die beiden neuen Helden: das Mädchen Rey (Daisy Ridley), die ein Streuner-Dasein auf einem kargen Wüstenplaneten fristet, und der abtrünnige Sturmtruppler Finn (John Boyega). Durch Zufall finden sie zueinander, werden auf Lukes Spur gelenkt - und bekommen bald Unterstützung von den "Star Wars"-Urgesteinen Han Solo (Harrison Ford) und Chewbacca.

Weitere Wendungen der Geschichte, von denen es wirklich ein paar kinnladenherunterklappende gibt, sollen natürlich nicht verraten werden. Außer vielleicht die Tatsache, dass Regisseur Abrams, Schüler der brutalen Dramaturgie des US-Serienfernsehens, die auch vor dem gnadenlosen Niedermetzeln von Hauptfiguren nicht zurückschreckt, diesen Teil seiner Berufserfahrung auch hier voll auslebt.

J. J. Abrams macht heute die eigentlichen Lucas/Spielberg-Filme

Natürlich unter Berücksichtigung der unerlässlichen Freud'schen Komponente im Sternenkriegskosmos, wo die gute und die dunkle Seite der Macht immer durch eine fiese ödipale Familienkonstruktion miteinander verbunden sein müssen.

Überhaupt, J. J. Abrams: Wenn George Lucas und Steven Spielberg zusammen ein Kind gezeugt hätten - vermutlich wäre er dabei herausgekommen. Der 49-Jährige ist durch seine TV-Serie "Lost" berühmt geworden und hat bereits "Star Trek" fürs Kino reanimiert. Vor allem aber ist er in ganz Hollywood der einzig legitime Nachfolger jenes verträumten Blockbuster-Kinos, mit dem die Altmeister Lucas und Spielberg in den Siebzigern die komplette amerikanische Filmindustrie umkrempelten.

"Krieg der Sterne" und "Der weiße Hai" oder gemeinsame Projekte wie "Indiana Jones" machten die US-Filmbranche erst zu dem mächtigen Industriezweig, der sie heute ist. Bevor "Star Wars" ins Kino kam, glaubte in Hollywood kaum einer, dass man mit Fortsetzungen und Spielzeugfiguren Geld verdienen könne.

Doch während die ehemaligen Visionäre Lucas und Spielberg das Träumen über die Jahre verlernt haben und Filme drehen, die vor allem von Studio-Jahresbilanzen und prophylaktischer Vermächtnisverwaltung geprägt sind, macht Abrams heute die eigentlichen Lucas/Spielberg-Filme und schwelgt dabei in wilder Fantasie.

Keusch trotz aller Opulenz

"Das Erwachen der Macht": Sturmtruppler in "Star Wars, Episode VII"

Sturmtruppler in "Star Wars, Episode VII"

(Foto: AP)

So eindrucksvoll wie mit "Das Erwachen der Macht" hat er diese These allerdings noch nie bekräftigt. Denn er verpasst Lucas' "Star Wars"-Geheimrezept von 1977 ein dringend notwendiges Update fürs 21. Jahrhundert.

"Krieg der Sterne" war so erfolgreich, weil es bis heute das perfekteste Kulturgeschichts-Mashup aller Zeiten ist. Lucas mixte klassische Elemente der Heldenreise (Odysseus), der Psychoanalyse (Archetypen wie Ödipus) und der mittelalterlichen Mythologie sowie des Westerns mit den Überwältigungsstrategien des amerikanischen Popcornkinos.

Die meisten anderen Filmemacher seiner Generation - Scorsese und Coppola zum Beispiel - wollten damals den Dreck der Straße zeigen, den Schweiß beim Sex und die ganze Verdorbenheit des Menschen. Sie bebilderten ihre Albträume in einem brutalen Körperflüssigkeiten-Kino, das "Star Wars" diametral entgegengesetzt war.

"Das Erwachen der Macht": Der Millennium Falke auf der Flucht vor den Jägern des Ersten Ordens.

Der Millennium Falke auf der Flucht vor den Jägern des Ersten Ordens.

(Foto: Disney)

Lucas schwebte eine familienfreundliche Weltraumoper vor, für die er und sein Komponist John Williams jenseits aller Rock-'n'-Roll-Gelüste der Kollegen eine Renaissance des symphonischen Soundtracks mit wagnerianischer Dekadenz einleiteten.

Damit trotz aller Opulenz die Geschichte keusch blieb, inszenierte Lucas sein Abenteuer als Anti-Körper-Kino, ließ Leia-Darstellerin Carrie Fisher die Brüste mit Klebeband fixieren, damit auch ja nichts Weibliches wippte. Und verkaufte den Zuschauern kurz vor Anbeginn des 21. Jahrhunderts tatsächlich auch noch eine Jungfrauengeburt: Lukes Vater Anakin Skywalker, der später zu Darth Vader wurde, ist ganz ohne verschwitzten Zeugungsakt in die Galaxie gefallen - was Lucas vermutlich auch ein paar Hardcore-Fans im Vatikan eingebracht hat.

Jedenfalls: In "Star Wars" war trotz eines mittelalterlichen Frauenbilds, eines besorgniserregenden Vaterkomplexes und einer wirklich erstaunlichen Angst vor Sex für jeden etwas dabei. Die zahlreichen kulturgeschichtlichen Bezüge werden bis heute rauf und runter diskutiert, zuletzt zum Beispiel in einer hübschen "Star Wars"-Ausgabe des Philosophie-Magazins ("War Heidegger ein Sith-Lord?").

Aufregender Showdown

Für die nunmehr dritte Generation an Zuschauern, die mit "Das Erwachen der Macht" ins "Star Wars"-Universum eingeführt wird, musste Abrams nun aber kräftig an der konservativen Schlagseite der Saga arbeiten. Da die Popkultur heute in immer mehr Sparten zerfällt und der kulturelle Mainstream tendenziell erodiert, müssen die letzten medialen Großereignisse wie "Star Wars" schon eine ordentliche Portion Zeitgeist atmen, um zu funktionieren.

Dazu gehört zunächst einmal, sich nicht von den unendlichen Möglichkeiten der digitalen Computeranimation verführen zu lassen - die Special-Effects-Orgien halten sich zum Glück in Grenzen. Auch eine zentrale Zutat des Films sind die Wiederbegegnungen der gealterten "Star Wars"-Veteranen, allen voran das Liebespaar Han Solo/Leia. Diese Treffen inszeniert Abrams melancholischer, komischer und vor allem menschlicher, als man es Lucas jemals zutrauen würde.

Vor allem aber bricht er die patriarchalen "Star Wars"-Strukturen auf, indem er seiner wunderbaren neuen Heldin Rey die zwei umwerfendsten Szenen dieses Films widmet. Ihr Duell mit dem Schurken Kylo Ren (Adam Driver), der wie eine Art Hamlet-Lehrling der verbeulten Darth-Vader-Totenkopf-Maske huldigt, ist ein aufregender Showdown im rieselnden Schnee eines finsteren Waldes. Vor allem aber darf sie später eine Lichtschwertübergabe tätigen, bei der auch renitente "Star Wars"-Hasser feuchte Augen bekommen könnten, wenn die Macht tatsächlich erwacht.

Star Wars: The Force Awakens, USA/GB 2015 - Regie: J. J. Abrams. Buch: Lawrence Kasdan, Michael Arndt, J. J. Abrams. Kamera: Daniel Mindel. Mit: Daisy Ridley, John Boyega, Adam Driver, Harrison Ford, Carrie Fisher, Mark Hamill. Disney, 135 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: