Im Kino: "Bad Boy Kummer":Warum darf ich kein Dichter sein?

Tom Kummer wurde durch seine gefälschten Interviews berühmt - als Poesie könnten sie vielleicht noch etwas wert sein: Im Kino-Porträt wird man Zeuge eines irrwitzigen Augenblicks.

Tobias Kniebe

Einmal, relativ am Ende des Films, sieht man Tom Kummer in seiner Wohnung in Los Angeles. Hinter ihm, auf einem Heizkörper an der Wand, thront ein wuchtiger Tierschädel, und Kummer hockt zusammen mit Miklós Gimes, dem Regisseur von "Bad Boy Kummer", vor einem Haufen alter Magazine. Er nimmt eines zur Hand, ein SZ-Magazin, das den Boxer Mike Tyson auf dem Cover zeigt, den verurteilten Vergewaltiger und Ohrabbeißer, die Bestie der Stunde. Kummer durchlebt, heftig gestikulierend, grimassierend, noch einmal das Interview mit ihm, das er 1998 veröffentlicht hat.

Themendienst Kino: Bad Boy Kummer

Sein Spiel brauchte die verbotene Lüge: Tom Kummer.

(Foto: dapd)

"Und dann frage ich ihn, auf was freut er sich an meisten, in Frankreich bei seinem ersten Auslandsbesuch? Und er sagt: auf eine Fischsuppe. Die Franzosen kochen phantastische Fischsuppen. Fischsuppe, das ist alles?, frag ich weiter. Und dann kommt der Satz von ihm: Ich kenne die Intelligenz meines Körpers. Er reagiert besonders angeregt auf Fischsuppe."

Soweit Kummer im Originalton. Er rezitiert weiter, Frage, Antwort, Frage, Antwort, es steigert sich, bis hin zu diesem denkwürdigen Tyson-Satz über seine Zeit im Gefängnis: "Kakerlaken liefern Proteine. Dabei wird die Beute, die man an einem Tag fangen kann, mit einem Stück Brot vermanscht und wie eine Riesenpille runtergeschluckt."

Man lauscht, man erinnert sich, und plötzlich ist auch das alte Lesegefühl von damals wieder da: Zeuge eines irrwitzigen Augenblicks zu sein, eines neuen Coups, der zunächst nur Unglauben auslöst - dann aber auch nach kollegialem Respekt verlangt.

Das ist die erste Ebene dieser Szene: Einer, der dem Irrsinn der modernen Celebrity-Kultur ins Auge geblickt hat, der diesen Wahnsinn aus dem Mund von Mike Tyson hervorlockte und aufzeichnen konnte, erinnert sich, und ist, beim Deklamieren der Sätze von damals, selbst wieder ganz hingerissen. Kummers Augen flackern.

Sprechblasen der Bedeutungslosigkeit

Die zweite Ebene ist, dass hier noch einmal eine Fiktion nachgespielt wird, die schließlich zusammenbrechen musste und großen Schaden im Journalismus angerichtet hat - insbesondere für das Magazin der Süddeutschen Zeitung. Letztlich ist nur eins relevant: Mike Tyson hat das alles nie gesagt - und Kummer hat ihn auch nie getroffen. Sowenig wie die meisten anderen Schauspieler, Stars, Selbstdarsteller, mit denen er in den Jahren 1995 bis 2000 aufsehenerregend gefälschte Interviews in Deutschland und der Schweiz publiziert hat. Damit steht Kummer in einer Reihe mit Namen wie Stephen Glass und Jayson Blair: als journalistischer Betrüger im großen Stil, der mit gezinkten Karten spielte - in einem Spiel, das am Ende davon lebt, dass alle mit den gleichen konventionellen Mitteln aus dem gleichen miesen Rahmenbedingungen etwas herausholen müssen.

Die dritte Ebene dieser Szene ist, dass man sie auch als Dichterlesung begreifen kann, eine Sichtweise, der nicht zuletzt Kummer selbst bis heute anhängt. Allen sei doch immer klar gewesen, sagt er in jedem zweiten Satz dieser Dokumentation, dass er gar kein wirklicher Journalist war, dass er niemanden interviewen wollte, sondern eben dichten. Was er, nebenbei gesagt, auch als den einzigen Weg gesehen habe, den endlosen Sprechblasen der Bedeutungslosigkeit, die ständig aus der Celebrity-Kultur aufsteigen, überhaupt noch etwas entgegenzusetzen.

Da wird es nun wirklich spannend - spannender jedenfalls als die seelensuchenden Fragen, die Gimes, einst Kummers Redakteur beim Magazin des Tagesanzeiger, stellt: Kann Kummer dazu stehen, was er damals angestellt hat? Hat er ein eher pathologisches Verhältnis zur Wahrheit? Ehrlich gesagt - das interessiert heute nicht mehr. Faszinierend aber ist, was passiert, wenn man zum Beispiel die Tyson-Sätze für einen Moment als Dichtung ernst nimmt - wie hier, als Gespräch des Autors mit sich selbst.

Das Ergebnis ist ernüchternd, denn sie funktionieren nicht. In ihrer Überzogenheit und Eindimensionalität wirken sie plötzlich hilflos, wie plattes Kabarett. In dem Moment, wo die echte Bestie Tyson aus der Gleichung verschwindet, und mit ihr das Gefühl, dass sie dem Fragesteller gleich ein Ohr abbeißen oder zumindest aufs Maul hauen könnte, bricht auch der ganze Rest zusammen. Die packende und im Grunde ungelöste Frage, warum das so ist, rührt an den Kern dessen, wie Journalismus überhaupt funktioniert.

Klar ist nur dies: Tom Kummer, so funkensprühend elektrisch die Kurzschlüsse in seinen Synapsen damals auch waren, ist nach seiner Enttarnung kein Dichter geworden, weil sein Spiel die verbotene Lüge braucht - nicht die erlaubte Lüge der Fiktion. Ohne sie ist er nichts, das weiß er oder spürt er instinktiv. Und nur so erklärt sich, was man in diesem Film sieht.

BAD BOY KUMMER, CH/D 2010 - Regie: Miklós Gimes. Kamera: Filip Zumbrunn. Schnitt: Barbara Landi. Ton: Kai Lüde. Verleih: W-Film, 92 Minuten.

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