Im Gespräch: Sophie Marceau:"Ich musste über Nacht erwachsen werden"

In der Rolle der Heranwachsenden verzauberte sie mit "La Boum" eine ganze Generation: Ein Gespräch mit Sophie Marceau über frühen Ruhm, Truck fahrende Männer und David Letterman.

Rebecca Casati

Sophie Marceau wurde am 17. November 1966 als Sophie Danièle Sylvie Maupu in Paris geboren. Der erste Teil von "La Boum" fand allein in Frankreich 4,5 Millionen Zuschauer. Für den zweiten Teil (1982) gewann Marceau einen César. Sie war seitdem in 33 Filmen zu sehen, einige davon auch international, so wie in "Braveheart" neben Mel Gibson (1995) oder in dem 21. James-Bond-Film "Die Welt ist nicht genug" (1999). Marceau lebt in Paris. Sie hat zwei Kinder, ist unverheiratet, aber mit dem Schauspieler Christopher Lambert liiert. Am 23. Dezember kommt ihr neuer Film "Vergissmichnicht" in die deutschen Kinos. Er handelt von einem Mädchen, das sich auf die Suche nach seinen verlorenen Kindheitsträumen begibt. Lesen Sie Auszüge aus dem Interview mit der SZ am Wochenende vom 11.12.2010.

Fototermin LOL - Laughing out Loud mit Sophie Marceau

"Ich hatte eine sehr kurze Jugend." Sophie Marceau beschreibt sie dennoch als glücklich.

(Foto: dpa)

Madame, wir sind im vornehmsten Viertel von Paris, nur ein paar Minuten entfernt liegt die Avenue Marceau. Stimmt es, dass Sie sich nach ihr benannt haben?

Ja, und ich war von der ersten Sekunde an heilfroh darüber.

Sie hatten die freie Wahl. Warum ausgerechnet eine Straße?

Warum nicht? Es gibt Tausende davon.

Eben das macht es doch verwechselbar.

Ich gebe zu, Sophie Champs-Élysées wäre absurd gewesen. Aber Sophie Murat, Sophie Luthes? Hübsch! Im Übrigen waren die Dinge an einem Punkt, wo es schnell gehen musste. Ich war zwölf, bald würde mein erster Film rauskommen und mir war vor allem wichtig, dass ich meine Initialen behalten konnte.

Ein Mädchenleben in den früheren Achtzigern: Wie waren Sie damals? Hörten Sie "Blondie"-Kassetten? Trugen Sie Moonboots, und hat man Ihnen den ganzen Tag erzählt, wie hübsch Sie sind?

Non, non, non. So war es gar nicht.

Wie war sie dann, Ihre Jugend, bevor Sie unsere prägten?

Ich war zwölf und hatte gerade angefangen zu rauchen, auszugehen und Jungs zu küssen. Ich hatte wenige Träume oder Ambitionen, dafür viele Freunde und viele Freiheiten. Eine sehr kurze, sehr glückliche Zeit: das war meine Jugend. Denn dann lief La Boum an. . .

. . . und Sie wurden über Nacht berühmt, als teenagersorgengeplagte "Vic". Kurze Zeit später himmelte Sie ganz Europa an.

Und glauben Sie mir, ich war in keinster Weise vorbereitet auf das, was da losging.

Was wir damals sahen und über Sie lasen, passte auf faszinierende Weise nicht zusammen: Sie waren zufällig entdeckt worden, irgendwo in der Sehnsuchts-Stadt Paris. Sie waren so hübsch wie eine Elfe, und Ihr Vater fuhr Lastwagen. Stimmte das so?

Wir gehörten zur Arbeiterklasse, wohnten im Vorort und wenn wir nach Paris wollten, mussten wir die Metro nehmen. Und ja, mein Vater war zeitweise Lastwagenfahrer. Dann auch wieder Bauarbeiter oder Barkeeper. Gelegenheitsjobber eben. In der Welt, aus der ich stamme, ging es nicht um Fortbildung oder Kunst. Die Kinder wurden nicht dazu erzogen, Ärzte oder Anwälte zu werden. In meiner Welt fuhren Männer Trucks. Und Frauen wurden Kellnerinnen.

War Ihre Mutter nicht Verkäuferin?

Doch, im Kaufhaus.

In einem berühmten?

In allen, die Sie kennen und die Sie als Paris-Tourist schon besucht haben; Printemps, Galeries Lafayette, Bon Marché, sie heuerte überall an. Mittwochnachmittags nahm sie mich manchmal mit in die Galeries Lafayette. Der Geruch, die große Treppe, die Weihnachtsdekoration, das war überwältigend für mich. Wenn ich heute hingehe, kommen immer noch Frauen auf mich zu und sagen: Hey - ich habe mal mit Ihrer Mutter zusammengearbeitet.

Haben Sie Ihre Herkunft je als Handicap empfunden?

Es war kein leichtes Leben, weil meine Eltern so arm waren. Und es war bildungsfern. Aber reiche Kinder sind auch nicht unbedingt glücklicher, wie ich beobachtet habe. Jeder hat seine eigenen Probleme damit, wo er herkommt. Und in gewisser Hinsicht hat meine soziale Klasse mir auch geholfen, denn wenn man nichts hat, hat man auch keine Angst, etwas zu verlieren.

Inwiefern hat das Berühmtwerden Ihr Leben in eine andere Richtung gelenkt?

Die Schule wurde über Nacht zum Spießrutenlauf. Dann zogen wir auch noch um, ich verlor meine Freunde aus dem Viertel. Und neue zu finden, als Sophie Marceau aus La Boum? Das war damals nicht leicht. Ich musste über Nacht erwachsen werden.

Wegen der Verantwortung, die so ein Erfolg mit sich bringt? Mussten Sie plötzlich Imageberater treffen? Vermögensverwalter beauftragen?

Wie kommen Sie denn darauf?

Weil bei einem Blockbuster wie La Boum große Summen hin- und herbewegt werden. Oder wurden Sie von solchen Aspekten abgeschirmt?

Viel simpler: Ich habe nicht wirklich etwas abbekommen von diesem Erfolg, außer der Berühmtheit. Was toll ist, wenn man, sagen wir: 18 ist und dringend Schauspielerin werden will. Ich aber war zu der Rolle gekommen, weil meine Mutter mich bei einer Modelagentur angemeldet hatte.

Och. So manche 13-Jährige hätte sich bestimmt trotzdem gefreut in Ihrer Situation, meinen Sie nicht?

Ich weiß nicht. Es war ehrlich gesagt ziemlich brutal. Ich musste neben der Schule plötzlich arbeiten, PR machen.

Letterman machte mich lächerlich

Sie meinen: Für Fotoaufnahmen geschminkt werden, während andere Dosen im Supermarkt sortierten?

Ich hatte kein Geld, wissen Sie, und niemanden, der mir half. Ich konnte nicht mehr unbehelligt Metro fahren, und für einen Führerschein war ich zu jung. Es war wie in der Falle sitzen, mit nichts. Und mit diesem Nichts musste ich nach der Schule so tun, als sei ich ein Star.

Was war denn mit Ihrer Gage?

Ich habe für La Boum nur sehr wenig Geld bekommen, so um die 2000 Euro. Und die waren auf einem Sperrkonto. Ich hatte keinen Agenten, keinen Anwalt. Ich hatte viele Leute um mich herum, aber ich bin nicht sicher, ob sie mich beschützen wollten. Meine Eltern waren mit ihrem eigenen Leben, mit Arbeit beschäftigt. Ich war allein.

Zur selben Zeit wollten Legionen von Teenagern Ihnen nahe sein. Oder so sein wie Sie. Was für eine groteske Situation.

Es war extrem. Ich musste zu PR-Terminen, konnte mir aber nicht mal ein neues Kleid kaufen. Heute den gelben oder den grünen Pullover? So weit reichte mein Spielraum. Und natürlich, wichtig: in der Metro immer den Kopf einziehen.

Sind Sie damals ausgebeutet worden?

So war wohl einfach die Zeit. Mittlerweile bekommen Kinder im Filmgeschäft das ganze Programm: Agent, Publizist, Anwalt, Limousine. Aber in Frankreich war man in solchen Dingen immer ein bisschen amateurhafter als in Hollywood. Wobei ich das Ganze dort wohl nicht überlebt hätte, die Versuchungen, die Kleider, die Privatjets, dieser Druck.

Ein Jahr später drehten Sie La Boum Teil 2, der wieder ein Erfolg wurde. Haben die Ihnen da ein bisschen mehr gezahlt?

Nein, es war wieder nur sehr wenig. Okay: Die Produzenten haben mich schon ausgebeutet.

Sie hatten sogar einen Vertrag für einen dritten Film unterschrieben. Aus dem Sie sich rauskauften. Hätten Sie sonst La Boum, Teil 3-11, drehen müssen?

Nein. Dieser Vertrag bezog sich nur auf einen Cameo-Auftritt. Dann aber bekam ich ein Angebot für eine Hauptrolle in einem sehr interessanten Projekt. Und die Macher wollten mich exklusiv. Ich wurde vertragsbrüchig. Und musste sehr viel Geld zahlen, das ich nicht hatte.

Eine Million Franc, richtig?

Genau. Ich war erst 16. Eigentlich hätten die das nicht von mir verlangen dürfen.

Woher nahmen Sie so viel Geld?

Der Produzent des neuen Films hat mir eine höhere Gage gegeben. Das war Liebe und Gewalt, mein erster Film mit Andrzej Zulawski . . .

. . . der dann Ihr Partner und später Vater eines Ihrer Kinder wurde.

Ja, wir blieben sehr lange zusammen. Wir lebten sehr weit ab von allem in Südfrankreich. Das Landleben. Der Friede. Das war wichtig für mich.

Zulawski ist ein polnischer Kunstfilm-Regisseur. 24 Jahre älter als Sie. Gab es damals viele, die gesagt haben: Kindchen, komm zurück nach Paris oder du wirst deine Karriere ruinieren?

Das habe ich sicher mehrere hundert Mal gehört. Aber ich fühlte mich gut mit meiner Entscheidung, so zu leben: abseits vom Trara, in Sicherheit. Und endlich in einer geistigen Welt.

Wie meinen Sie das?

Ich habe all das nachgeholt, was ich vorher versäumt hatte; Bücher lesen, Filme sehen, Museen besuchen. Ich habe mich selber gebildet, wo ich nur konnte.

Klingt auch nicht gerade nach den typischen Späßen einer 17-Jährigen.

So bin ich nun mal; ich isoliere mich von Trubel. Ich war mit 17 nicht scharf drauf, abends auszugehen, und es macht mir auch heute keinen Spaß. Ich habe damals viel über mich nachgedacht, darüber, wie ich jemand werden könnte. Schauspielerin zu sein ist ein Geschenk. Aber es kann auch vergiftet sein. Man muss genau überlegen, was man daraus macht.

Sie haben Kunstfilme gedreht. Aber auch Komödien. Mit "Braveheart" und "James Bond" wurden Sie in Amerika ein Star. Und in wenigen Tagen läuft Ihr Familienfilm "Vergissmichnicht" an.

Arthouse, Drama, Action, Korsett, Komödie, ich wollte alles durchprobieren. Nicht aus taktischen Überlegungen, sondern weil man so als Schauspielerin natürlich am meisten mitkriegt.

Wenn man Sie googelt, stößt man auch auf einen Auftritt in der Talkshow von David Letterman aus dem Jahr 1995.

Daran erinnere ich mich sehr genau.

Sie gehen sehr anmutig damit um, dass Letterman Sie die ganze Zeit absnobbt.

Vorher kamen zwei Typen aus seinem Team, sie waren sehr, sehr aufgeregt: Gleich werden Sie David treffen, er wird Sie dieses und jenes fragen, was werden Sie darauf sagen? Na, mal sehen, Leute, sagte ich. Und dachte noch: Wow, ihr Amerikaner wollt ja wirklich alles vorher eintüten. Dann in der Liveshow stellte Letterman mir komplett andere Fragen. Und machte sich dauernd mit seinem Bandleader über den Titel La Boum lustig. Okay, dachte ich. Diese Typen sind mächtig. Es ist ihre Show, ihre Muttersprache, ihr Set. Sie sind hier die großen Stars. Und trotzdem müssen sie dich lächerlich machen. Interessant, Jungs.

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