Holocaust-Überlebender Arno Lustiger gestorben:Erforscher des jüdischen Widerstandes

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Er war selbst in Auschwitz, doch er wollte die These widerlegen, dass sich die Juden von den Nazis wie Lämmer zur Schlachtbank führen ließen. Arno Lustiger fand spät zur Geschichtswissenschaft, dennoch machte er sich mit seiner Gesamtdarstellung des jüdischen Widerstands im Dritten Reich einen Namen. Nun ist er gestorben.

Arno Lustiger hat nie Abitur gemacht und nie eine Hochschule besucht. Dennoch wurde der frühere Textilhändler zu einer akademischen Instanz für die Geschichte der Juden während des Holocausts. Im Alter von 88 Jahren ist Lustiger jetzt in Frankfurt am Main gestorben.

Arno Lustiger wollte die These widerlegen, dass die Juden in der Nazi-Zeit willenlose Opfer waren. Nun ist er 88-jährig gestorben. (Foto: DPA)

Das eigene unfassbar schwere Schicksal hatte bei Lustiger den Drang zum Historiker geweckt. Sechs Konzentrationslager und zwei Todesmärsche hatte er überlebt.

Er empfand es als persönliches Anliegen, die These zu widerlegen, dass sich die Juden in der Nazi-Zeit wie die sprichwörtlichen "Lämmer zur Schlachtbank" führen ließen.

Erst nach einem Herzinfarkt in den 1980er Jahren fand der Autodidakt dann die Zeit für seine Recherchen. In vielen Büchern belegte Lustiger, dass in den von Nazi-Deutschland besetzten Gebieten der jüdische Widerstand stark war. "Es gab beispielsweise Tausende jüdische Partisanen im Osten", sagte er.

Er wollte aufzeigen, dass den Juden während der Nazi-Vernichtungspolitik auch von vielen Nichtjuden geholfen wurde. "Es ist viel zu wenig bekannt, dass es auch in Deutschland Tausende Menschen gegeben hat, die dafür ihr eigenes Leben riskiert haben." Noch weniger sei bekannt, dass auch in den besetzten Gebieten bis hin nach Tunesien die verfolgten Juden Unterstützung fanden.

In vielen Sprachen beheimatet

Der in vielen Ländern und Sprachen beheimatete Lustiger hatte den Ehrgeiz, die erste Gesamtdarstellung über die Rettung von Juden im europäischen Rahmen vorzulegen.

Arno Lustiger wurde am 7. Mai 1924 im oberschlesischen Bedzin als Sohn eines Unternehmers geboren. Nach dem deutschen Einmarsch in Polen wurde er verhaftet. Er überstand mehrere Jahre Haft und Zwangsarbeit in sechs KZs, darunter in den Außenlagern von Auschwitz und Buchenwald.

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Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Etwa 7000 Menschen befanden sich noch in dem Lager - für immer gezeichnet von den Gräueltaten der Nazis. Bilder von damals und heute.

Zweimal wurde er zu einem der sogenannten Todesmärsche gezwungen, die Tausende von KZ-Häftlingen nicht überlebten.

Nach dem Krieg blieb Lustiger, von dessen siebenköpfiger Familie fünf Mitglieder am Leben blieben, unfreiwillig in Frankfurt am Main hängen. Seiner kranken Schwester und Mutter war die Einreise in die USA verweigert worden.

In Frankfurt war er maßgeblich am Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde beteiligt, die einst nach Berlin die größte in Deutschland war. Nach mehr als 60 Jahren fühlte sich Lustiger in Frankfurt gut verwurzelt: "Die Schweizer Straße in (Frankfurt-) Sachsenhausen ist mein Schtetl."

Als "Außenseiter und Quereinsteiger" habe er es nicht leicht in der Wissenschaft gehabt, bekannte Lustiger. Vier Semester lehrte er am Frankfurter Fritz-Bauer-Institut zur Erforschung des Holocaust. Danach erhielt er vom Land Hessen den Titel des Professors.

Anders als der Vater kehrten die beiden Töchter Lustigers dem Nachkriegs-Deutschland den Rücken und gingen nach Israel und Frankreich. Dort lebte bis zu seinem Tod im August 2007 auch Arno Lustigers Cousin, Jean-Marie Lustiger.

Dieser war früh zum Katholizismus übergetreten und wurde als Kardinal und Erzbischof von Paris zum prominentesten Würdenträger der französischen Kirche.

Lustigers Tochter Gila trat in Frankreich als Schriftstellerin hervor. 2005 veröffentlichte sie den vielbeachteten Roman So sind wir, eine jüdische Familiensaga, in der sie auch ihrem Vater ein Denkmal setzt.

Arno Lustiger war ein neugieriger und offener Mensch, er war gerne unter Leuten. So hat er einst auch mit Oskar Schindler, dem Retter der "Schindler-Juden", ab und zu ein Bierchen getrunken. Schindler - verarmt und auf jüdische Hilfe angewiesen - lebte bis zu seinem Tod 1974 ebenfalls in Frankfurt. "Über die Nazi-Zeit wollte Schindler aber nicht reden", erzählte Lustiger.

© Süddeutsche.de/dpa/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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