Hollywood:Willst du mein Leitwolf sein?

Alpha

Coming of Stone Age: Jungs müssen lernen, Männer zu werden - und Wölfe zu dominieren.

(Foto: Sony Pictures)

"Alpha" handelt vom Erwachsenwerden in der Steinzeit, initiiert aber eher die Jungmänner der Gegenwart ins Patriarchat.

Von Philipp Bovermann

Als junger Mann, der sich selbst sensibel findet, aber keinen Drucker installieren kann, ohne dass es Verletzungen und bleibende Schäden an der Bausubstanz gibt, fragt man sich gelegentlich, warum Menschen wie man selbst nicht schon in grauer Vorzeit evolutionär aussortiert wurden. Der Film "Alpha" liefert eine Erklärung, wie wir soften Typen es geschafft haben könnten.

Keda ist ein junger Höhlenmensch im Jungpaläolithikum, während der letzten Eiszeit. Vor allem aber ist er einer von uns. Er hat Flaumbartwuchs, die erste Speerspitze hat er schon aus dem Fels geschlagen, er scheint bereit zu sein für die große Jagd. Aber ist er es wirklich? Einmal im Jahr müssen die Männer über viele Tage und Nächte losziehen. Unerklärlicherweise wohnen sie nicht dort, wo das Grillgut weidet, sondern irgendwo weit weg. Unterwegs durch atemberaubende Landschaften nähern sie sich den Bison-Herden.

Keda (Kodi Smit-McPee) soll zum Mann werden. Das Leben ist für die Starken, das trichtert ihm sein Vater ein, "man kriegt es nicht geschenkt". Als es dann hart auf hart kommt, ist Keda nicht hart genug. Ein heranstürmender Bison verwundet ihn. Sein Stamm muss ihn schwer verletzt zurücklassen, man hält ihn für tot. Doch natürlich überlebt er, gerade so mit gebrochenem Bein. Er schlabbert ein bisschen aus schmutzigen Pfützen, Blitze zucken vom Himmel, bei Nacht attackieren ihn Wölfe. Einen von ihnen verletzt er mit seinem Messer, bevor er auf einen Baum flüchten kann. Beide liegen sie geschwächt da: Der Mensch oben, das Raubtier unten.

Doch der Homo sapiens kommt schneller wieder zu Kräften, mit der Waffe in der Hand steht Keda nun über dem Wolf. Er werde "nicht mit dem Speer, sondern mit dem Herzen führen", hatte seine Mutter gesagt. Und so geschieht es: Er bringt den Tötungsakt nicht übers Herz, sondern rettet das Tier. In einer Höhle verborgen kommen sich die beiden näher. Erst zeigt der Wolf Zähne, aber dann, als das nicht fruchtet, verlagert er sich darauf, traurig zu gucken und Stöckchen zu holen. Allmählich gewinnt Keda an Selbstbewusstsein. Endlich gelingt ihm auch das Feuermachen mit dem Reibeholz.

Das erinnert an bekannte Muster aus Filmen über die Probleme junger Menschen an der Schwelle zum Erwachsenenalter. Zur Selbstfindung braucht es dort meist die Auseinandersetzung mit einem Liebesobjekt. "Alpha" führt das Genre auf seine archetypischen Urgründe zurück: Coming of Stone Age, wenn man so will. Mensch und Tier tollen bald gemeinsam über die urzeitliche Erde, müssen den Prüfungen des heraufziehenden Winters trotzen, kuscheln sich am nächtlichen Lager aneinander. Keda ist der Boss. Er verteidigt sein Stück Fleisch, aber er gibt auch was davon ab, fast so wie die Grillmeister der Gegenwart. Langsam wächst er in seine Führungsrolle rein. Ins Patriarchat. Sozialisation gelungen. Herzlichen Glückwunsch.

Das war dann wohl der tiefere Sinn der großen Reise und der Begegnung zwischen Mensch und Wolf. Der eine geht aus ihr als Mann hervor, der andere macht erste Schritte zur modernen, leckerlivertilgenden Pupsmaschine. In einer nächtlichen Szene, die noch vor dem Aufbruch zur Jagd spielt, wurde Keda von seinem Vater auf seinen rechtmäßigen Platz in der Schöpfung vorbereitet. König-der-Löwen-mäßig sitzen sie auf einem Felsen beieinander. Der Vater ist Anführer des Stammes und enthüllt dem Sohn, dass er eines Tages seinen Platz einnehmen soll, wenn er sich als stark genug erweist. Während in der Ferne die Wölfe heulen, gibt er ihm einen weisen Ratschlag, scheinbar direkt den Sternen und ihren ewigen Gesetzen abgelesen: Ein Stamm brauche Führung, um zu überleben. Genauso wie ein Wolfsrudel einen Alphawolf brauche.

Keda lauscht andächtig, dabei hat ihm sein Vater gerade Mumpitz erzählt: Wolfsrudel besitzen in freier Wildbahn gar keine "Alphawölfe" - diese Idee stammt aus irreführenden Beobachtungen in Gefangenschaft. Sie leben vielmehr in Familien zusammen. Die Eltern leiten die Kleinen an, bis diese alt genug sind, ihr eigenes Rudel zu gründen, aber es gibt keine Rangkämpfe. Deshalb verschwindet seit einiger Zeit auch die "Alpha"-Bezeichnung aus der wissenschaftlichen Diskussion, einfach weil sich nichts Sinnvolles damit bezeichnen lässt. Das sei keine Frage von semantischer oder politischer Korrektheit, schrieb der renommierte Wolfs-Forscher L. David Mech 2008 in "Whatever Happened to the Term Alpha Wolf?". Es gehe ihm allein um biologische Richtigkeit. Um die schert sich "Alpha" indessen wenig, und natürlich muss ein Steinzeit-Film das auch nicht. Wenn aber gegenüber einem tendenziell jüngeren Massenpublikum, das die Produzenten hier offenbar anvisiert haben, Sozialnormen als angebliche Naturtatsachen verkauft werden, lohnt sich der Blick in die Forschungsliteratur halt doch.

Früher endeten solche "Initiationsreisen", wie Keda sie macht, oft mit der rituellen Tötung eines Tieres. Erst wenn Blut fließt, wird der Mann zum Mann. Er wird zum Raubtier in einer auf Gewalt und Unterdrückung gegründeten Gesellschaft. Der junge Speerträger Keda aber macht das Tier, anstatt ihm das Leben zu nehmen, zu seinem devoten Partner. Stellenweise sieht es aus wie eine Liebesbeziehung, in der natürlich er die Regeln vorgibt. Es steckt viel echte Archaik in dieser Pseudo-Vorzeit, ebenso wie in klassischen "Coming of Age"-Geschichten, nur fällt einem das sonst nicht so auf: Ein junger Mensch muss sich ins Leben einordnen. Dafür bringt er zunächst ein Liebesobjekt unter seine Kontrolle, ordnet es in sein Leben ein.

Unter umgekehrten Vorzeichen hat Nicolette Krebitz diese Geschichte in "Wild" (2016) erzählt. Dort trifft eine moderne, junge Frau aus Halle einen Wolf - und entfernt sich dadurch aus der sie umgebenden, machohaften Gesellschaft. Ihre Wohnung wird zur Höhle, in der sie mit dem Wolf lebt. Sie verwildert, wird zu etwas, wovor Männer Angst haben. Damals war ein echter Wolf am Set, man sieht das auch. In "Alpha" ist es ein Tschechischer Wolfshund namens "Chuck". Das sagt eigentlich schon alles.

Alpha, US 2018 - Regie: Albert Hughes. Buch: Daniele Sebastian Wiedenhaupt. Kamera: Martin Gschlacht. Mit Kodio Smit-McPhee. Sony, 96 Min.

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