Großformat:Zum Reinsetzen

Der Designer Anton Lorenz schenkte dem menschlichen Körper einen Fernsehsessel zum Versinken. Aber warum setzte er dafür erst Testpersonen in eine Badewanne?

Von Laura Weißmüller

Gesunde Stühle sehen ja heute häufig aus wie eine Art Gerippe zum Sitzen. Ihre Form sieht aus, als sei sie bis auf die Knochen abgemagert und als bestünde ihre einzige Aufgabe darin, bloß nicht zu bequem zu sein, damit der Benutzer auf gar keinen Fall der Sackartigkeit des eigenen Körpers nachgibt.

Anton Lorenz verstand unter einem gesunden Stuhl noch etwas anderes. Eigentlich war der 1891 geborene Ungar Lehrer für Geschichte und Geografie in Budapest, doch nachdem er 1922 mit seiner Frau, einer Opernsängerin, nach Berlin übersiedelte, widmete er sich ganz der Frage nach dem gesunden Stuhl und besorgte sich Fachzeitschriften oder Artikel, um die Ergonomie des Sitzens zu ergründen. Lorenz' Forschungsdrang ging so weit, dass er zusammen mit dem Kaiser- Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie im Jahr 1938 Probanten in eine gläserne Badewanne setze, um zu untersuchen, wie sich ihr Körper im warmen Wasser entspannte und welche Haltung die Füße dabei annahmen.

"Anton Lorenz war auf der Suche nach der richtigen ergonomischen Form", sagt Susanne Graner, die Leiterin der Sammlung und des Archivs des Vitra Design Museums in Weil am Rhein. Graner hat den Nachlass von Lorenz durchgearbeitet, um die Ausstellung über ihn vorzubereiten, die ab dem 22. Februar im Vitra Schaudepot zu sehen sein wird. Bislang kannte die Designwelt, wenn überhaupt, Lorenz eher als Randfigur in der Geschichte der Freischwinger, jener Inkunabel der Moderne, die zum Inbegriff des visionären Geistes am Bauhaus geworden ist. Denn gerade diese Stühle, entworfen von Mart Stam, Marcel Breuer und Mies van der Rohe, schienen den Erfindungsgeist in seiner Reinform zu verkörpern: industriell hergestellt, aus Stahlrohr, das man bis dahin noch nicht in der Wohnwelt kannte, und in eine Form gebracht, die eher in der Zukunft als in der Gegenwart der Zwanzigerjahre angesiedelt zu sein schien.

Lorenz' Rolle bei dieser glanzvollen Designgeschichte schien bislang nicht gerade rühmlich, denn er galt als "Patenthai", der vor allem versuchte, die Entwürfe von den Designern gewinnbringend zu vermarkten und sich dabei weder scheute, vor Gericht zu ziehen, noch flugs die Seiten zu wechseln, wenn es ihm diente. Graner beschreibt Lorenz' Position hingegen etwas vorsichtiger: "Er hatte ein gutes Gespür für Entwürfe und verfolgte das dann konsequent." Von seiner Arbeit habe er gut leben können, aber eben auch dafür gesorgt, dass Mies van der Rohe oder Mart Stamm gut davon lebten.

Genauso konsequent wie bei den Freischwingern verfolgte Anton Lorenz die Idee seines Bewegungsstuhls. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg begann die Firma Thonet Lorenz' Entwurf zu produzieren. Mit Erfolg, wenn auch vor allem in Lazaretten und Sanatorien. 1939 kehrte Lorenz von einer Geschäftsreise in die USA nicht mehr zurück, im Gepäck hatte er sein Patent. In einem Land, in dem alles ein paar Nummern größer ist, wurde daraus schnell der gut gepolsterte und verstellbare Fernsehsessel. Gesundheit bedeutete nun, dass sich der Mann nach einem langen Arbeitstag vor dem Fernsehen erholte und dabei möglichst bequem die Beine hochlegte.

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