Grammy Awards in Los Angeles:Die haben die Posen voll

Kalkulierte Eskalation: Bei den Grammys treten eine hochschwangere Sängerin am Tag des Geburtstermins und der Klaus Kinski des Hip-Hop auf. Und dann enthüllt Paul McCartney seine neue Bromanze.

C. Kortmann

Als Kölsche Jung schiebt man in diesen Tagen alles auf den Karneval: Wenn sich etwa drei Rapper in schwarze Crooner-Smokings werfen und neben ihnen eine als Biene Maja verkleidete junge Frau, mit gepunktetem Kugelbauch und Riesensonnenbrille, über die Bühne hüpft und singt, dass sie auch "Swagga Like Us", also eine stolze Angeberin, sei.

Grammy Awards in Los Angeles: Beinahe eine entschuldigende Haltung: die britische Band Coldplay mit einem ihrer Grammys.

Beinahe eine entschuldigende Haltung: die britische Band Coldplay mit einem ihrer Grammys.

(Foto: Foto: AFP)

Doch bis nach Kalifornien reicht selbst der rheinische Frohsinn nicht, und so lässt sich nicht jede Seltsamkeit mit Verkleidungszwang und ritueller Trunksucht der fünften Jahreszeit erklären.

Dabei ist auch die Award Season der Unterhaltungsindustrie eine Karnevalsvariante, hier geht es nicht ums Kamelle-, sondern ums Trophäenfangen. Am Sonntagabend gab es die begehrten goldenen Grammy-Schalltrichter zum 51. Mal. Die Duette können bei den Grammys nicht jeck genug sein.

In den schwarzen Anzügen steckten also Lil Wayne sowie seine Rapper-Kollegen Kanye West, Jay-Z und T.I., und der Biene-Maja-Bauch der Sängerin M.I.A. war echt. Denn sie ist im neunten Monat schwanger, Entbindungstermin: gestern Abend. Zur Sicherheit stand ein Golfwagen neben der Bühne bereit, um M.I.A. schnell qua Liegendtransport aus dem Staples Center zu verfrachten. Man hatte die Britin bewusst hochschwanger nach Los Angeles bestellt, weil man hoffte, dass etwas Aufregendes passieren würde.

2008 waren die Einschaltquoten der Grammys nämlich schlecht wie selten, das sollte nicht wieder passieren. Schließlich sind die in 110 Kategorien verliehenen Preise nur das eine, das wichtigere andere ist die große Show für ein weltweites Publikum, mit der die Musikindustrie für sich trommelt: Seht her, vergesst das Internet mal für dreieinhalb Stunden, wir können Entertainment immer noch am besten!

Eine Grammy-Geburt erlebten wir am Sonntag zwar nicht, aber dafür einige hübsche Seelenwanderungen, an die wir so gerne glauben. Da stand etwa Justin Timberlake und erzählte von seinen Kindheitserinnerungen an den großen Sänger Al Green, von dem er alles über Soul gelernt habe.

Er sei in Greens Nachbarschaft in Memphis aufgewachsen und habe ihn immer treffen wollen. Heute Abend sei der Zeitpunkt endlich gekommen. Dann sang er zusammen mit Al Green dessen Song "Let's Stay Together" und sie duellierten sich in den höchsten Lagen. Al lachte vor Freude unter der schwarzen Sonnenbrille, weil sein Schüler damals wirklich gut aufgepasst hat: Soul to Soul.

Es sind solche Momente, in denen die Fackel künstlerischer Meisterschaft so pathetisch wie unpeinlich weitergereicht wird, die die Grammy-Shows sehenswert machen. Dass es solcher Momente nicht viele gibt, liegt in der Natur der Sache, denn auch wenn im Pop oft Größe behauptet wird, so ist sie hier in Wahrheit nicht häufiger zu finden als anderswo.

Coldplays knuffig-flauschiges Geschmuse

Unbedingt berichtet werden muss vom Aufflammen der Bromanze, der Männerfreundschaft zwischen Paul McCartney und dem Foo Fighter Dave Grohl. Die beiden hatten schon ihre gemeinsame Probe in eine wilde Jam-Session verwandelt und Grohl vergeblich versucht, Sir Paul zu einem Geheimkonzert zu überreden. Bei den Grammys spielten Grohl und McCartney das Beatles-Stück "I Saw Her Standing There", und der ehemalige Nirvana-Schlagzeuger zog mit derart stürmischer Leidenschaft über den Song hinweg, als sei Ringo schon immer der Name eines Orkans gewesens.

McCartney hatte aber nicht nur Grund zur Freude. Er musste mitansehen, wie die Band Coldplay eine ausgeleiert-verwaschene Nicistoff-Version seiner "Sergeant Peppers"-Uniformen auftrug. Coldplays "Viva La Vida" wurde als Song des Jahres prämiert, der Rockalbum-Grammy war ihnen dann fast unangenehm, weil sie ihr knuffig-flauschiges Geschmuse selbst niemals als Rock bezeichnen würden.

Im Kontrast zu den Leichtgewichten war es vor allem die gesetzte, weniger ekstatische Popmusik, die triumphierte. Zu den größten Gewinnern wurden Alison Krauss und Led-Zeppelin-Sänger Robert Plant mit ihrem Folkrock-Album "Raising Sand".

Man muss nicht konservativ sein, um diese edel produzierte Americana-Neuinterpration sehr gelungen zu finden, es schadet aber nicht. So gab es Grammys für das beste Duett, die Aufnahme des Jahres und den wichtigsten Preis für das Album des Jahres. Auch live überzeugten sie, vor allem, als ihr Produzent T-Bone Burnett im schwarzen Dreiteiler zur Gitarre griff.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Radiohead mit einer Marschkapelle paarte und Lil Wayne ganz normal blieb.

Die haben die Posen voll

Als weitere Duett-Schrulle paarte sich die Band Radiohead mit einer Marschkapelle. Zunächst fürchtete man, der schmächtige Sänger Thom Yorke könne sich zwischen den mächtigen Fellen verlieren wie ein Platzanweiser bei einem Stadthallenauftritt der japanischen Yamato-Trommler.

Doch dann fügten sich beim Song "15 Step" der elektrisch-leidende Sound der Band und die Polyrhythmen der Perkussionsmannschaft zu einer Nummer, die ausreizte, was einer Award-Show an Avantgarde zumutbar ist.

Den perfekten Popsong gab es auch zu hören: Mit wunderbar zart verrauchtem Timbre sang Estelle vom "American Boy" und Kanye West spielte ihr Gegenüber in diesem Dialog des Verlangens. Obwohl der Song jeglichen Coldplay-Kram weit überragt, gewann er nur in der Nebenkategorie "Best Rap/Sung Collaboration". So zeigte sich wieder mal, dass Hip-Hop-Künstler zwar gerne für Grammys nominiert werden, aber selten in den Hauptkategorien gewinnen.

Aber wer genau warum auf der Bühne steht, ist im Grunde egal. Zu eng sollte man das bei Award Shows nicht sehen. In der Rap-Kategorie jedenfalls nahm Lil Wayne den Preis fürs beste Album mit nach Hause. Geht klar, schließlich bezeichnet er sich als größten lebenden Rapper.

"He's a character", sagen sie auf Englisch über jemanden, der so kurzweilig unberechenbar ist wie Lil Wayne. Mit seiner zierlichen Statur, dem oft entblößten Oberkörper und seinen langen Dreadlocks erinnert Lil Wayne an einen Klaus Kinski des Hip-Hop. So wie M.I.A. am liebsten auf der Bühne niederkommen sollte, hatten sich die Grammy-Organisatoren von Lil Wayne eine Menge Trouble erhofft.

Da wird es aber ganz schwierig für einen Rockstar, wenn von ihm im Voraus erwartet wird, über die Stränge zu schlagen. Das Unerwartete zu tun, kann für einen gecasteten agent provocateur nur heißen, einfach mal ganz normal zu sein, sich also gewissermaßen ein Vorbild an Chris Martin und seinen blassen Coldplay-Jungs zu nehmen. Und so benahm sich Lil Wayne dann auch als unauffälliger Siegertyp. Im Karneval kommt man eben mit den verrücktesten Verkleidungen durch.

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