Foster, Gibson und Kaurismäki in Cannes:Sind so kleine Biber

Mel Gibson hat alles getan, um das Image des "Sexiest Man Alive" zu zerstören. Warum also sollte er nicht einen saufenden, depressiven Familienvater spielen, der mit einem Biber spricht? Jodie Fosters neuer Film in Cannes.

Susan Vahabzadeh

Man vergisst's manchmal fast im Kino, aber in Cannes geht es während des Festivals nur für einen kleinen Teil der Anwesenden um Filme, der Rest ist voll anderweitig konzentriert.

64th Cannes Film Festival - The Beaver

Spielzeugfabrikant Walter Black (Mel Gibson) ist entweder voll wie eine Strandhaubitze oder  leergebrannt. Damit treibt er seine Familie dermaßen in den Wahnsinn, dass ihn seine Frau (Jodie Foster) vor die Tür setzt - im Film "Der Biber". 

(Foto: dpa)

Zum traditionellen Drumherum gehört die Chopard-Party, also lungerten vor dem Eingang des Hotel Martinez noch mitten in der Nacht Schaulustige herum - die dann, mit ein wenig Geduld, auch Jane Fonda, Jude Law und Uma Thurman beobachten durften, und Naomi Campbell, die mit eisiger Schaut-mich-bloß-nicht-an-Miene auf den Eingang zustolzierte.

Drinnen geht es eher gediegen zu: Aufgeräumte Menschen in sehr schönen Kleidern sehen sehr gesittet einer Darbietung von Tänzerinnen des Pariser Nachtclubs Crazy Horse zu, und wenn die mit dem fast unbedeckten Hintern wackeln, johlen ein paar junge Damen.

Die Partybilder werden im Kopf dann doch wieder ganz automatisch vom Kino überlagert, von Szenen aus Bertrand Bonellos "L'Apollonide" - da geht es um ein Bordell in Paris zur Jahrhundertwende, das vor dem Ruin steht, weil die Epoche der Edelbordelle zu Ende geht; und obwohl sich Bonello viel Mühe gibt, nicht zu verschweigen, wie ausgeliefert die Frauen in diesem Etablissement sind - einer von ihnen schneidet ein Freier ein ewiges Lächeln ins Gesicht, eine andere rafft die Syphilis dahin - romantisiert er die frivole Eleganz dann doch.

Was vielleicht so französisch ist wie das Achselzucken, mit dem einem gerade erklärt wird, die Weibergeschichten des via Vergewaltigungsvorwurf geschassten Präsidentschaftskandidaturanwärters DSK seien doch nun wirklich nicht der Rede wert. Vielleicht ist es einfach so, dass eine viel freiere Gesellschaft, in der Stripperinnen als respektable Unterhaltung gelten und junge Damen johlen, keine Verwendung mehr hat für Bordelle mit Wohnzimmer-Charakter, in denen Männer herumhängen, die nicht nach Hause wollen.

Die männliche Midlife-Crisis muss sich heute andere Ventile suchen. Eine der bizarrsten Lösungen offeriert Jodie Fosters neueste Regiearbeit "Der Biber" (ab Donnerstag im Kino), des Hauptdarstellers Mel Gibson wegen eine Weile im Giftschrank zwischengelagert und nun dem verständnisvollen Cannes-Publikum außer Konkurrenz vorgesetzt. Der Spielzeugfabrikant Walter Black (Gibson) ist meistens voll wie eine Strandhaubitze und ansonsten leergebrannt. Er treibt seine Familie mit einer autistischen Depression dermaßen in den Wahnsinn, dass ihn seine Frau (Foster) mit seinen Siebensachen vor die Tür setzt.

Nun versucht er sich in einem Hotelzimmer umzubringen und kommt mit einer Biber-Handpuppe aus den Siebensachen wieder zu sich - wenn man das so nennen kann: Fortan kommuniziert Walter mit dem Biber, und der Biber ist sein Fürsprecher, der an seiner Stelle mit der Gattin, den Kindern und den Angestellten kommuniziert.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Jodie Foster humorlos ist und Aki Kaurismäki nicht.

Selbst die Nutten sorgen füreinander

Der Biber gibt allen, was sie wollen - und treibt sie letztlich doch genauso zum Wahnsinn wie die Depression. Es geht um einen Läuterungsprozess, Walter muss sich selbst ungeheuer wehtun, um wieder fühlen zu können. Das ist, obwohl sehr konventionell gemacht, ziemlich strange, weil Foster die Geschichte nicht etwa als Komödie, sondern als akribisch ernsthaftes Familiendrama erzählt.

Aber was Mel Gibson da abliefert, mit dem absoluten Willen zur Selbstentblößung, muss einen von den Socken hauen. Walter ist so ziemlich die einzige vorstellbare Rolle, mit der der aus eigener Kraft in Ungnade gefallene Mel Gibson sich wieder in die Öffentlichkeit wagen konnte. Er kriecht sozusagen auf der Leinwand zu Kreuze.

Man konnte seiner Selbstdemontage schon im Kino zuschauen, bevor er sich dann mit häuslichen Skandalen und antisemitischen Bemerkungen unmöglich machte: Das zerstörte Gesicht in "The Man Without a Face", seiner ersten Regie, die Szene, wenn er sich eine Damenstrumpfhose anzieht in "Was Frauen wollen", das Stützkorsett in "Million Dollar Hotel" - in seinen Rollen hat Gibson alles getan, um das Image des Sexiest Man Alive zu zerstören. Warum also sollte er nicht in einer Filmrolle um Vergebung bitten?

Vielleicht ist das der schlechte Scherz des Schicksals, den dieser Mann nicht aushält - dass er nur noch als Figur, in der Wahrnehmung anderer existiert und es den echten, privaten Mel Gibson nicht mehr gibt.

Man hat bei Fosters Inszenierung aber den Verdacht, dass sie überhaupt keinen Sinn für Humor hat, obwohl vieles grotesk wirkt. Das ist sozusagen das Gegenstück von Aki Kaurismäki, der Komik inszenieren kann, wo eigentlich keine ist.

Schuhputzer mit Künstlervergangenheit

Ein Polizist, der sich von einem geschäftstüchtigen Zeugen eine Ananas aufschwatzen lässt, das ist auf dem Papier noch kein Gag, in einem Film von Kaurismäki aber schon. Er hat "Le Havre", der im Wettbewerb lief, in Frankreich gedreht, aber auch französische Hafenstädte können aussehen wie Helsinki. Ein Schuhputzer mit Künstlervergangenheit lässt sein Leben von seiner Frau regeln - André Wilms und Kati Outinen aus dem Kaurismäki-Ensemble -, und als diese ins Krankenhaus kommt, nimmt er einen kleinen Jungen mit nach Hause, einen illegalen Immigranten, der der Polizei entwischt ist. Eine traumhafte, rührend-komische Vision von holder Eintracht wird daraus.

Der Junge muss zu seiner Mutter nach England geschafft werden, und alle halten zusammen, sogar der Kommissar (Jean-Pierre Daroussin) - mit dem selben Fürsorgereflex, der Cécile de France in "Le gamin au vélo" von den Brüdern Dardenne ein Kind aufnehmen ließ.

Fürsorglichkeit ist der rote Faden dieses Wettbewerbs: Tilda Swinton als Mutter in Lynne Ramsays "We Need to Talk about Kevin" glaubt den Scherbenhaufen verdient zu haben, vor dem sie endet, schuldig zu sein an den Taten ihres Sohnes; der strenge Vater Brad Pitt in Terrence Malicks "The Tree of Life" lebt und zetert letztlich doch nur für seine Kinder, ein wunderschöner Moment, wenn er zärtlich den Fuß seines neugeborenen ersten Sohnes betrachtet; selbst die Nutten in "L'Apollonide" sorgen füreinander.

So viele Filme scheint es im Moment im Weltkino zu geben, deren Schöpfer die Schnauze voll haben von der immergleichen Leier, der Mensch sei halt von Natur aus von Ehrgeiz, Gier und Gewalt bestimmt.

Man kann Malick Banalität vorwerfen, wenn es in seinem Film am Ende heißt, dass man Glück nur in der Liebe findet. Vielleicht ist diese schlichte Erkenntnis aber Altersweisheit, und alles andere ist einfach nur dumm und degeneriert.

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