Filmemacher Nagisa Oshima gestorben:Liebe als Anarchie

Regisseur Nagisa Oshima gestorben

Nagisa Oshima beim Internationalen Filmfest in München im Jahr 1992. Der für Themen wie Sex, Verbrechen und Gewalt bekannte japanische Regisseur ist tot.

(Foto: dpa)

Er war ein politischer Rebell, in dessen Auflehnung immer auch der Kampf um die Freiheit des Körpers gemischt war. Sein unerhörtes Meisterstück "Im Reich der Sinne" über eine radikale Liebe machte ihn schlagartig weltweit berühmt. Nun ist Nagisa Oshima, Japans großer anarchistischer Filmemacher, gestorben.

Von Fritz Göttler

Sein letzter großer Film, 1989, handelte vom Charme der europäischen Bourgeoisie. Charlotte Rampling als Diplomatengattin in Paris, die eine aufrichtige Liebe entwickelt zu einem Schimpansen: "Max, mon amour". Keine Klamotte, sondern eine schöne love story. Die Diskretion war dabei großenteils Jean-Claude Carrière zu verdanken, dem Drehbuch-Koautor, der schon an den letzten Filmen Buñuels mitgearbeitet hatte.

Es war natürlich ein weiter Weg zu Max, von den wilden, bilderstürmischen Anfängen Nagisa Oshimas in den späten Fünfzigern und in den Sechzigern und von jenem unerhörten Meisterstück, mit dem er dann blitzartig in der ganzen Welt berühmt wurde und berüchtigt, 1976, "Ai no corrida", über eine radikale, das heißt kastrative Liebe: "Im Reich der Sinne".

Oshima hatte Jura studiert und das Studium bald sein lassen, ging zum Studio Shochiku, arbeitete dort als Regieassistent, unter anderem bei Masaki Kobayashi, machte dann seine ersten eigenen Filme, radikal, schnell, erfolgreich. Eine japanische Neue Welle, später klassifizierte man ihn gern als japanischen Godard.

Das Land war in Aufruhr damals, eine Tendenz weg von der Demokratie, zurück zum Imperialismus. Demonstrationen, gegen Wiederbewaffnung und Restaurationspolitik, und gegen die USA, die Japan dies aufoktroyieren wollten. In der kommunistischen Partei gab es Flügelkämpfe, die Studenten trudelten zwischen Rebellion und Zynismus. All das, diese ganze Obszönität der Politik steckt in den frühen Oshima-Filmen, heftiger, unvermittelter, roher als in denen seiner Freunde und Kollegen, Imamura oder Wakamatsu.

Als es Schwierigkeiten gab mit der Shochiku, gründete Oshima seine eigene Produktionsfirma. Sein Output war gewaltig, dem im Hollywood-B-System vergleichbar oder bei Roger Corman. In die politische Rebellion war untrennbar immer der Kampf um die Freiheit des Körpers gemischt, die Spiele des Begehrens, des Sex, in Filmen wie "Nackte Jugend" oder "Das Grab der Sonne", "Nacht und Nebel über Japan" oder "Tod durch Erhängen" oder "Tagebuch eines Diebes aus Shinjuku".

Definitiv in Schräglage

Die Anarchie damals durchdrang nicht nur die Geschichten dieser Filme, sie rumorte vor allem in der Art, wie sie gemacht wurden, ungestüm, ungeniert, improvisiert, sich Schlagzeilen borgend und Versatzstücke aus dem Arsenal des Theaters. Bankette werden zu Tribunalen und zu Performances von Maskenspielen, Demos zu Ritualen des Straßentheaters. Und das neue Cinema Scope, das Mitte der Fünfziger Hollywoods Massenproduktion retten sollte, machte die Konfusion komplett, brachte die Dinge definitiv in Schräglage.

Die schönste, die radikalste Anarchie in diesen Filmen war aber die der Liebe - all diese Momente einer verlorenen Jugend, beklemmend in ihrer Hoffnungslosigkeit, wie es sie seit den rebels without a cause um Nicholas Ray und Elia Kazan nicht mehr gegeben hatte.

In Europa nahm man diese Filme plötzlich wahr wie ein Korrelativ zum Mai '68. "Bewegung auf neue Formen hin, in der der lineare Bezug von Realität und Formen aufgehoben ist", schrieb Frieda Grafe 1971 in der Filmkritik. "Der zunächst so solide scheinende Vorwurf der Geschichte explodiert nach allen Seiten . . . Allein die Gedanken und erinnernd auch die Augen zu richten auf alle Formen von Komplementarität, die der Film aufweist!"

Allemal komisch

Komplementarität, Gleichzeitigkeit, Vielfalt der Perspektiven - man kommt auf keinen festen Grund mit diesen Inszenierungen. Auch mit der boshaft auf Skandal angelegten um das "Reich der Sinne" nicht. Der Film musste unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem kleinen Studio in Japan gedreht werden, das Material wurde in Frankreich entwickelt.

Wie der Film dann auf dem Forum der Berlinale 1975 programmiert wurde und die Kopie von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurde, wie Forumsleiter Ulrich Gregor eine Ersatzkopie beschafft und der Film doch gezeigt wurde - das klingt heute wie eine Groteske der Filmgeschichte. Das darf man nicht vergessen - komisch sind diese Filme allemal.

Am Dienstag ist Nagisa Oshima im Alter von achtzig Jahren gestorben.

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