Fall Gurlitt:Perfekt verwaltete Schuld

Der Weg scheint frei zu sein für die zügige Restitution der bei Cornelius Gurlitt gefundenen Raubkunst. Doch die Taskforce verliert sich zusehens in Bürokratie.

Von Jörg Häntzschel und Ira Mazzoni

David Toren hat viel verloren, doch seinen Humor besitzt er noch. Auf die Frage, ob denn nun er oder sein Bruder Max Liebermanns "Zwei Reiter" bekommen würde, ein Bild seines Großonkels, das in Gurlitts Wohnung in Schwabing gefunden wurde, antwortete er vor einigen Wochen: "Wir teilen es uns. Jeder bekommt ein Pferd."

Erstaunlich, dass dem 88-jährigen New Yorker Anwalt, dessen Eltern in Auschwitz ermordet wurden, noch nach Scherzen zumute ist. Ja, er war glücklich, als er das Gemälde, das in der Wohnung seines Großonkels David Friedmann in Breslau hing, vorigen November im Fernsehen erkannte. Und er freut sich, es vielleicht eines Tages zurückzubekommen. Andererseits kann er kaum fassen, welche gefühllose und unwürdige Behandlung er sich auf dem Weg zu dieser Rückgabe von den Deutschen gefallen lassen muss. Das Traurige ist: Wahrscheinlich wird sich durch das am Montag von Gurlitt unterzeichnete Abkommen wenig daran ändern. Und das, obwohl er weitreichende Zugeständnisse gemacht hat.

Die Augsburger Staatsanwaltschaft, die eineinhalb Jahre das Gemälde unter Verschluss hielt, hatte es nicht für nötig befunden hatte, Toren von dem Fund zu unterrichten. Mit der bevorstehenden Einstellung des Steuerverfahrens zieht sich die Staatsanwaltschaft Augsburg zurück. Gurlitt wiederum wird einen oder zwei eigene Provenienzforscher in die Taskforce schicken:

Nach einem halben Jahr Hickhack zwischen lauter überforderten Parteien könnte man nun offen über die ersten Rückgaben sprechen. Doch so wird es nicht kommen. Gegründet wurde die Taskforce, als klar wurde, dass sich die Augsburger Staatsanwaltschaft mit ihrem angeblichen Steuervergehen verrannt und die politische Dimension des Falles nicht verstanden hatte. Es entstand der Eindruck, die deutschen Behörden seien nicht daran interessiert, den Erben der jüdischen Vorbesitzer, die teils seit Jahrzehnten nach ihren Bildern fahnden, zur Seite zu stehen.

Der Name dieses neuen Versöhnungsgremiums war unglücklich gewählt. Er erinnerte fatal an die "Reichsleiter Rosenberg Taskforce", so die englische Bezeichnung für den berüchtigten "Einsatzstab" der Nazi-Kunsträuber. Doch die Absicht war gut. Das neue, mit internationalen Wissenschaftlern besetzte Komitee sollte die einschlägigen Fälle zügig und professionell aufarbeiten. Sobald Gurlitt dazu bereit sei, würde man dann die Bilder zurückgeben. Doch nun, da dieser Moment gekommen ist, ist von der Erwartung an die Taskforce nichts geblieben.

"Sie leben in einem Elfenbeinturm"

Toren ließ seine Anwälte einen hervorragend dokumentierten Restitutionsantrag an die Taskforce-Leiterin Ingeborg Berggreen-Merkel schicken. Zurück kam nur die Information, es gebe zwei weitere Anspruchsteller. Mehr nicht. Wo das Problem liege, welche Dokumente fehlten, weiß er nicht. Was er weiß, ist, dass Gurlitts Geschäftsbücher weitere Belege enthalten. Doch er darf sie nicht sehen. "Sie leben in einem Elfenbeinturm", sagt er über die Taskforce. Das größere Problem ist: Sie machen die "Anspruchsteller" zu Bittstellern. Sie quälen die Erben, weil sie ihr Wissen nicht teilen. Wollen sie die Bilder überhaupt zurückgeben, fragen sich manche.

Toren liebt München und kam, weil er früher als Anwalt für MBB und den Kamerahersteller Arri hier arbeitete, oft in die Stadt. Deshalb weiß er, wie es in Deutschland zugeht: "Ihr seid so langsam. Alles dauert so lange." Nun hat er den Spieß umgedreht und vor einem Washingtoner Gericht, das solche Fälle zulässt, Deutschland und Bayern verklagt.

Statt Schaden gutzumachen, richtet man neuen an

Martha Hinrichsen geht es nicht anders. Die Enkelin von Henri Hinrichsen, dem Gründer des bis heute florierenden Musikverlags C. F. Peters, ist seit 20 Jahren auf der Suche nach 36 Gemälden und Zeichnungen ihres Großvaters. Sie weiß, dass Spitzwegs Zeichnung "Die Klavierspielerin" in Schwabing gefunden wurde, weil die Staatsanwaltschaft das Bild auf lostart.de eingestellt hat. Ob andere Werke aus Hinrichsens Sammlung dabei sind, sagt ihr niemand.

Dass die Taskforce nichts unternimmt, um den Schaden gutzumachen, den die Staatsanwaltschaft angerichtet hat, schockiert sie. "Warum haben sie nicht 50 Provenienzforscher angestellt, um die Bilder zu identifizieren und Deutschland von diesem Makel zu befreien?", fragt sie. "Natürlich wäre ich glücklich, den Spitzweg in meiner Hand zu halten. Aber eigentlich geht es doch um meinen Großvater. Deutschland versteht nicht, dass hinter all diesen Bildern Menschen stehen."

Der Eindruck ist überall derselbe: Statt Schaden gutzumachen, richtet man neuen an. Nur eben nicht mehr mit dem Hinweis auf Rechtslage und Ermittlungen, sondern mit dem auf die komplizierte Materie. Leicht hat es die Taskforce nicht. Sie navigiert unter Zeitdruck in einem Minenfeld aus moralischer Verantwortung, Persönlichkeitsrechten und der oft katastrophalen Beweislage und ist dabei für Millionenwerte verantwortlich. Doch es häufen sich die Berichte, dass die Taskforce bisher "kaum über das Drucken der Visitenkarten hinausgekommen" sei, wie ein Insider es beschreibt. Im Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte, der wichtigsten Bibliothek in Deutschland für Provenienzforschung, tauchen erst jetzt Taskforce-Rechercheure auf, um in Katalogen zu wühlen, die Journalisten schon vor Monaten gesichtet haben.

Wie so oft in Deutschland hofft man, auch hier ein Problem mit einem aufgeblähten Verwaltungsapparat zu lösen. Das jedenfalls legt das Papier "Erläuterung von Struktur und Arbeitsweise der Taskforce" nahe, das Berggreen-Merkel am 3. April verfasste. Auf vier Seiten beschreibt sie dort minutiös, welcher Spezialist wann welches Bild sehen darf, wer wem Bericht erstattet, was wie auf welcher Checkliste vermerkt wird. Nur vom Zweck der Übung ist nirgends die Rede: der schnellstmöglichen Rückgabe der Raubkunst. Statt einer überschaubaren Gruppe von Holocaust-Opfern, die eine kleine Zahl von Bildern vermissen, als Service-Einrichtung zu dienen, versteht sich die Taskforce als höchstes Gericht über 1000 Bilder. Sobald die letztgültige, unanfechtbare Wahrheit gefunden ist, werden die Betroffenen angeschrieben.

Empörung überall

Auch Sabine Rudolph, die Anwältin der Erben des Dresdener Expressionismus-Sammlers Fritz Salo Glaser, könnte mit einem Blick in Gurlitts Geschäftsbücher wohl die Ansprüche ihrer Mandanten klar belegen. Doch die Taskforce verweigert die Einsicht. Sie verrät auch nicht, ob in Schwabing Briefe zwischen Hildebrand Gurlitt und Glaser gefunden wurden. Stattdessen fordert sie die Anspruchsteller auf, ihrerseits alle Rechercheunterlagen zur Verfügung zu stellen. "Zehn Leitz-Ordner einfach so nach Berlin? Da wäre es wohl sinnvoller, die Provenienzforscher der Taskforce würden sagen, wonach sie suchen."

Christopher Marinello, der Anwalt der Erben des Kunsthändlers Paul Rosenberg, ist nicht weniger empört. Er klagt über den "enttäuschenden und unprofessionellen Mangel an Transparenz" - eine "Beleidigung der Holocaust-Opfer". Neuestes Beispiel: Gemeinsam mit Gurlitts Anwälten hatte er schon die Rückgabe der "Sitzenden Frau" von Matisse ausgehandelt, ein Gemälde, das bisher zweifelsfrei aus der Sammlung von Paul Rosenberg zu stammen schien. Erst am Freitag erfuhren beide Seiten, dass sich bei der Taskforce schon im Februar ein zweiter Anspruchsteller gemeldet habe. Zwei Monate lang blieb die Information dort unter Verschluss.

Auch der deutschen Öffentlichkeit gegenüber fühlt sich Berggreen-Merkel offenbar nicht zu Auskünften verpflichtet. Am vergangenen Mittwoch bat die SZ ihren Sprecher um ein Interview. Seitdem wurde die Anfrage täglich wiederholt. Trotz Zusagen blieben die schriftlich eingereichten Fragen unbeantwortet.

Toren, so berichtete August Matteis, einer seiner Anwälte, kürzlich, wurde schon vor Monaten eine Prüfung seines Anspruchs zugesagt. "Was ist seitdem passiert? Nichts. Uns läuft die Zeit davon." Wie recht er hatte. Vergangene Woche starb David Torens Bruder im Alter von 93 Jahren.

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