Die drei Fragezeichen:Drei Detektive fürs Leben

Die drei Fragezeichen: Gerade erschienen: das 189. Hörspiel der Drei Fragezeichen.

Gerade erschienen: das 189. Hörspiel der Drei Fragezeichen.

(Foto: PR; pixabay.com (CC0 1.0); Bearbeitung SZ)

16,5 Millionen verkaufte Bücher, 45 Millionen Tonträger - und seit 38 Jahren dieselben Sprecher: Warum ist die Begeisterung um "Die Drei ???" in Deutschland so ungebrochen?

Von Thomas Hummel

Hey, da verpasst doch gerade der Profi seinen Einsatz. Stille auf der Bühne, ein paar Sekunden lang. 700 Zuschauer blicken auf den Herrn mit Glatze und Brille. Mindestens 700 von ihnen wissen, dass er an der Reihe ist, sie kennen das Stück auswendig. Justus Jonas, du bist dran! Doch der fummelt am Computer herum auf der Suche nach dem nächsten Musik-Einspieler. Ah, jetzt merkt er's. Der erste Detektiv spricht.

Es geht um den Fluch des Rubins, den fünften Fall von Die drei ???. Die Detektive und ein Junge namens August August sind auf der Suche nach einem Edelstein - sie müssen auf dem Weg zu ihm Rätsel lösen sowie einen Mann mit schwarzem Bart, einen zwielichtigen Anwalt und Mister Rhandur vom Tempel der Gerechtigkeit in Indien abschütteln. Ein Klassiker. Aufgeführt in einem sogenannten Mitmach-Hörspiel im Münchner Backstage-Club.

Der Geräuschemacher Jörg Klinkenberg ist da. Er ahmt mit Schuhen Schritte nach, manchmal rennend, manchmal schlurfend. Er hat einen Fahrradlenker dabei mit Klingel, eine knarzende Tür, Blätter zum Rascheln und noch einiges mehr. Fünf Frauen und sieben Männer aus dem Publikum übernehmen die Rollen von Peter Shaw, Bob Andrews und den anderen Personen im Stück. Doch wenn Justus Jonas spricht, schließen hier und da ein paar Zuschauer die Augen, um ihren ganz eigenen Justus Jonas vor sich zu sehen. Den aus ihrer Kindheit, wenn sie eine Kassette an verregneten Herbsttagen einlegten. Den seine Kollegen einen genialen "Pummel" nennen ob seiner Körperfülle. Öffnen sie die Augen wieder, sehen sie den durchaus schlanken Oliver Rohrbeck, Anfang Fünfzig, mit T-Shirt und schwarzer Hose. Den Mann mit der Original-Stimme des jugendlichen Justus'.

Diese Stimme des oberschlauen Detektivs aus dem amerikanischen Ort Rocky Beach ist eine deutsche Hörspiel-Legende. Mehr als 38 Jahre nach der ersten Aufnahme ist sie immer noch präsent. 700 Menschen sind ins Backstage zu einer Veranstaltung von Oliver Rohrbeck und seiner Agentur Lauscherlounge gekommen, um ein 1979 produziertes Hörspiel auf der Bühne zu sehen. Und der Abend war bereits Monate vorher ausverkauft.

"Wenn es Rocky Beach wirklich gäbe ..."

Die drei ??? sind eine der bekanntesten Marken der Jugendliteratur: 16,5 Millionen Bücher und sagenhafte 45 Millionen Tonträger haben sie bislang verkauft. Allein im Jahr 2017 entstehen sechs neue Bücher, fünf Hörspiele werden vertont. Fast alle Geschichten spielen in dem kalifornischen Fantasie-Ort Rocky Beach, in fast allen geht es um Mysteriöses oder Übersinnliches. Oliver Rohrbeck schmunzelt und sagt: "Wenn es Rocky Beach wirklich gäbe, dann müsste da an jeder Ecke und auf jedem Hügel die schlossähnliche Villa einer Opernsängerin stehen, wo sich Lautsprecher in Wänden verstecken und Geheimgänge warten."

Es ist eine Welt, die einen offenbar nicht mehr loslässt. Im Münchner Backstage sind die meisten Zuschauer zwischen 30 und 50 Jahre alt. Es herrscht Klassentreffen-Atmosphäre. Als Rohrbeck das Publikum fragt, wer beim Mitmach-Hörspiel dabei sein will, gehen Dutzende Finger hoch. Für Peter Shaw und seine bekannt helle Stimme sucht er eine Frau aus, sie heißt Jana. Ein Mann mit Drei-Fragezeichen-T-Shirt und Baseball-Kappe darf den Bob sprechen. Am meisten Applaus bekommt ein gewisser Florian, der den Inder Mr. Rhandur herrlich gemein vertont.

Matthias Bogucki hätte bestimmt jede Rolle auswendig mitsprechen können. Der 36-Jährige aus Ludwigsburg ist seit 1999 aktives Mitglied beim Fan-Portal Rocky-Beach.com. Man bräuchte Tage, um alle Informationen zu lesen, die sich hier auf Dutzenden Unterseiten sammeln. Es ist das umfangreichste Archiv der Serie, sogar die Verlage sollen hin und wieder darauf zugreifen. Wie wird man zu einem solchen Drei-Fragezeichen-Fan?

Die drei Fragezeichen stehen mitten im Zeitgeist

"Anfangs sorgte der Name Alfred Hitchcock (der Regisseur stellte sich zu Beginn als Herausgeber und Schirmherr zur Verfügung, Anm.d.Red.) dafür, dass man das unbedingt lesen oder hören wollte", erinnert sich Bogucki. Ihn faszinierten die dunklen Cover der Künstlerin Aiga Rasch, mit der er später sogar befreundet war. Außerdem habe es der Serie gut getan, dass inzwischen mehrere Autoren die Bücher schreiben, das führe zu einer Vielfalt in den Geschichten. Und natürlich die drei Sprecher in den Hörspielen, seit 38 Jahren unverändert: Rohrbeck spricht Justus, Jens Wawrczek spricht Peter, Andreas Fröhlich spricht Bob. "Das prägt einen", erzählt Bogucki.

Die drei Fragezeichen aus Kalifornien mit ihren eindrücklichen Stimmen sind für Fans eine Konstante im Leben. Seit der Kindheit gehören sie dazu, sie verändern sich nicht, sind was zum Festhalten. Die drei Fragezeichen geben Sicherheit in unsicheren Zeiten und stehen damit mitten im Zeitgeist.

Auf dem Höhepunkt in den 2000er Jahren hatte Rocky-Beach.com Tausende Leser auf der Seite. Die Macher organisierten Fantreffen und erkannten, dass sie nicht die einzigen waren, die gerne laut im Park Fragezeichen-Kassetten hörten. Wegen Pöbeleien in der Community und vor allem wegen des hohen Arbeitsaufwands beließen sie Rocky-Beach.com technisch auf dem Stand der 1990er. Fans wanderten auf andere Plattformen ab, viele zu Facebook.

Erfolgsgeheimnis: möglichst wenig ändern

Die Seite ist nun selbst eine Art Museum. Sie folgt damit dem Interesse von Matthias Bogucki. Kürzlich hat er nach 15 Jahren Suche zehn Bücher aus der pakistanischen Ausgabe der drei Fragezeichen gefunden und gekauft. "Das sind Publikationen aus den Siebzigerjahren mit unglaublich schlechtem Papier", erzählt Bogucki. Mehr als 1000 Bücher bringt er inzwischen in einem gemieteten Regal eines Antiquariats unter. Bogucki ist ein Fragezeichen-Sammler.

Die aktuellen Entwicklungen dagegen schrecken ihn ab, er spricht von "kommerzieller Ausschlachtung". Brettspiele oder Aufkleber, das ginge ja noch. "Aber jetzt gibt es alles! Zahnbürsten mit dem Drei-Fragezeichen-Logo, Duschgel, Toaster. Einiges ist Made in China, billiges Zeug", klagt Bogucki. Damit könne er nichts anfangen. Wenn zu viel Globalisierung und Kommerz einzieht, dann zieht sich der Fan zurück. Der Ausverkauf seiner Helden, seiner Ideale darf nicht zu weit gehen.

Während Sony Music die Hörspiele vertreibt, liegen die Markenrechte an den drei Fragezeichen beim Kosmos-Verlag. Für den ist die Reihe einer der größten Devisenbringer. Um die Zielgruppe zu erweitern, gibt es inzwischen Die drei ??? Kids für das jüngere Publikum sowie die Mädchen-Version mit Die drei !!!. Wichtigstes Ziel aber bleibt, die drei Fragezeichen am Leben zu halten. Das Erfolgsgeheimnis erscheint dabei fast zu einfach: Die Autoren sollen möglichst wenig verändern. Warum auch, wenn es seit mehr als 50 Jahren (das erste Buch erschien 1964 in Amerika) funktioniert? "Man braucht einen spannenden Fall mit Grusel-Faktor", erklärt Redakteurin Annemarie Chiappetta.

Peter hat Angst, Bob findet Erklärungen in seinem Archiv, Justus löst Rätsel. Es geht um Freundschaft. Um Gut gegen Böse. Dazu spielt alles im exotischen Kalifornien, in der "Zentrale" auf dem Schrottplatz. Man kennt sich, man mag sich. Man bleibt einander treu. Wer abends eine Geschichte anhört, den begleiten gute Freunde in den Schlaf. Der Zuhörer kann sich wohlig ins Kopfkissen kuscheln, sich ein wenig gruseln lassen, aber auch nicht allzu schlimm. Blöde Überraschungen bleiben aus, die Welt ist in Ordnung.

Das Ende? Kann noch dauern.

Außen vor bleiben Sex, Morde, Drogen. "Die Eltern können sich darauf verlassen, dass sie ihre Kinder mit den Geschichten alleine lassen können", sagt Chiappetta. Vermeiden wolle man außerdem, zu trendig zu werden. Whatsapp oder Modebegriffe aus der Jugendsprache bleiben draußen. Handys und Internet kommen zwar vor, doch eher nebenbei. Und manchmal gibt es einfach kein Netz. Die drei Fragezeichen nehmen für sich eine gewisse Zeitlosigkeit in Anspruch.

Zeitlos wie die Stimme von Justus Jonas. Den Hörspielen scheint es nichts anzuhaben, dass inzwischen Anfang 50-jährige Männer die jugendlichen Detektive vertonen. "Die Rollen für Synchronsprecher werden nicht nach der Stimme besetzt, sondern wie man schauspielern kann", erklärt Oliver Rohrbeck. "Ich muss die Haltung eines 18-Jährigen annehmen. Dann verstellt sich die Stimme von alleine." Dass er selbst nach 38 Jahren ein bisschen Justus Jonas geworden ist, verneint er nachdrücklich. "Wir sind schon sehr unterschiedlich. Justus würde nicht mit mir zu einem Konzert der ukrainischen Punkrock-Band Gogol Bordello gehen und ich würde sicherlich nicht alles mitmachen wollen, was er so treibt. Das kann ich gut trennen."

Wie lange das noch so weitergeht mit den drei Fragezeichen? Im Kosmos-Verlag will man von einem Ende nichts wissen. Auch Oliver Rohrbeck lädt die Zuschauer in München zur "Record Release Party" der 190. Folge ("Die Kammer der Rätsel") nach Heidelberg ein und spricht die Hoffnung aus, Folge 200 möge wieder eine längere Spezial-Ausgabe sein.

Nur eines darf nicht passieren: Sollte einer der drei Sprecher von Justus, Peter und Bob nicht mehr können oder nicht mehr mögen, "dann würden wir alle aufhören", sagt Rohrbeck. "Dafür geht das nun zu lange und wir verstehen uns zu gut, als dass man hier jemanden austauschen kann." Der weibliche Peter und der Bob mit der Baseball-Kappe bleiben ein Fall für das Mitmach-Hörspiel.

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