Deutsche Literatur:Im Sattel des Selbstgesprächs

Etwas redselsig, aber ziemlich unterhaltsam: Philipp Schenkes Roman über Karl May will seinen Helden nicht lächerlich machen, sondern dieser komischen, tragischen, großen Figur beikommen.

Von Harald Eggebrecht

Karl May zum Helden eines Romans zu machen, liegt nahe. Ob in seiner Biografie oder als Literat, in seiner kriminellen Karriere oder als psychoanalytisch hochinteressanter Fall des sich selbst erschaffenden Genies nebst brutalem Absturz in jene Niederungen, in denen sich das "hässliche Haupt der Wahrscheinlichkeit" (Alfred Hitchcock) erhebt - der sächsische Fantast lieferte eine solche Menge an Stoff in alle Richtungen, dass er nicht nur als beliebtes Objekt für interdisziplinäre geisteswissenschaftliche Forschung fortlebt, sondern auch als vielschichtiges Romansubjekt. So haben etwa Erich Loest oder Otto Kreiner den Schöpfer von Winnetou und Hadschi Halef Omar, von Trapper Geierschnabel und Lord Lindsay et cetera pp. erzählerisch zu packen versucht. Ihnen folgt nun Philipp Schwenke, Jahrgang 1978, mit seinem dickleibigen Karl-May-Roman "Das Flimmern über der Wüste".

Gleich im Voraus: Das Ding ist ziemlich unterhaltsam geraten, wenn auch manchmal allzu redselig und in die eigenen Einfälle verständlich stolz verliebt. In jedem Falle aber will Schwenke seinen Helden nicht lächerlich machen, er will vielmehr der enormen so komischen wie tragischen, so dreist behaupteten wie wahr- und wahnhaft verstiegenen Größe dieses immer seltsamen Mannes beikommen. Und das ohne die Methode: Stets Bein vor Bein macht deutsch und schwer.

Schwenke nimmt die anderthalbjährige Orientreise Mays von 1899/ 1900 zur Grundlage seines Romans und parallel dazu die Phase im Leben Mays, in der das Verhältnis zu seiner Frau Emma in eine unheilbare Krise gerät und die ersten Presseanwürfe erscheinen, er sei ein Schwindler und Hochstapler. Diese Reise in den Orient und weiter bis ins Indonesische hinein war die einzige, die in eine der Regionen führte, die May in seinen "Reiseerzählungen" so farbenreich und abenteuersüchtig mit allen Mitteln auskundschaftete, die Lexika, Reisebeschreibungen, geografische Berichte und zu guter Letzt seine eigene Kreativität hergaben.

Schwenke erzählt mit Humor, Verve und Zuneigung von seinem so fehlerhaften Helden

Doch die Begegnung mit der Wirklichkeit verändert Karl May vollkommen, bis zum Zusammenbruch. Danach wird er ein anderer sein, der seine Heldengestalten und ihre Erlebnisse und Taten nun als groß angelegte Gleichnisse verstanden wissen will. Trotz aller Veränderung agiert auch hier die Maysche Fantasie: er erschafft sich noch einmal neu, erkennt seine verzwickte, so genial erfundene wie an sich irre werdende Geschichte als große "symbolic action" der "Menschheitsseele" und schreibt ein Spätwerk, das viele für zahnlose, den religiös gefärbten Kitsch nicht scheuende Liebespredigten halten, in dem aber Arno Schmidt und Hans Wollschläger das "eigentliche Werk" sahen, darin ganz Karl Mays Absicht folgend.

Schwenke erzählt mit Humor, Verve und voller Zuneigung für seinen so fehlerhaften Helden Karl, der auf der Reise nicht den unbesiegbaren Kara ben Nemsi spielen kann, obwohl er die Camouflage bis nach Sumatra durchzuhalten versucht. Schwenkes Version dieser das gesamte Leben umstürzenden Ausfahrt in die Realität wird zur launigen, am Ende aber die bittere Medizin der Selbsterkenntnis verabreichende Tour an die Grenzen des bisherigen Ichs. Ihr folgt der Zerfall von Mays Ehe mit der oberflächlichen, unreflektierten Emma zugunsten der ihn eher anbetenden Klara, verwitweten Plöhn. Deren Gatte, Richard Plöhn, erscheint in diesem Roman als der gute und gütige Freund, der May die große Beichte abnimmt und ihn zugleich ermuntert, diese auch vor seinen Lesern abzugeben. Während die kläglichen Abenteuer im Orient Schwenke in vielem durchaus geist- und abwechslungsreich gelingen, zieht sich seine Darstellung der Ehekrise und ihres finsteren Ausgangs deutlich bemühter dahin. Sei's drum.

Ganz sicher wird dies nicht der letzte Versuch sein, das "Leben und Streben" - so der Titel von Mays autobiografischer, raffiniert sich scheinbar selbst reflektierender und erklärender Beichte - dieses insgesamt doch einzigartigen Schriftstellers zu erzählen und ihm so nahe zu kommen, dass er vielleicht zu begreifen wäre. Denn das merkt man Schwenkes Buch erfreulich an: dass er seinen Karl nicht falsch demaskieren und verraten, sondern in seinem Roman auch der ureigenen Faszination am Schöpfer Old Shatterhands auf die Spur kommen möchte. Wie so viele Leser und Analytiker kommt letztlich auch Schwenke nicht aus dem ungläubigen Staunen heraus über diesen sich an sich selbst berauschenden Fantasten.

So ist sein Buch weniger ein biografischer Roman geworden als vielmehr eine ausgedehnte Übung im Fährtenlesen. Das geht am besten, wenn man selbst mit einem solchen Wundermann ins Freie und Ungewisse zieht. Am Ende hat es etwas Heimelig-Trauriges, den alten Karl May zu sehen, verstrickt in seine zahlreichen Ehr- und Urheberrechtsprozesse, begleitet von der lammfrommen Klara, die lange nach dem Tod des "Edelmenschen" dann einen "Führer" anhimmeln wird. Doch das ist eine andere Geschichte.

Philipp Schwenke: Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste. Ein Karl-May-Roman. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2018. 608 Seiten, 23 Euro.

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