Deutsche Erstaufführung:Liebe und Leiden

Deutsche Erstaufführung: Vertracktes Beziehungsspiel in einer digitalen Welt: Stefan Blum, Karera Fujita und Philipp Nicklaus (von links) in "Simon".

Vertracktes Beziehungsspiel in einer digitalen Welt: Stefan Blum, Karera Fujita und Philipp Nicklaus (von links) in "Simon".

(Foto: Cordula Treml)

Christopher Grøndahls Hightech-Kammeroper "Simon" an der Schauburg

Von Paul Schäufele

Was Christopher Grøndahls "Simon" in der Vertonung von Gerhard Stäbler so sehenswert macht, ist nicht das etwas pädagogisch pflichtgemäß aufgegriffene Thema Neue Medien. Brisanz entwickelt die Kammeroper, deren deutschsprachige Erstaufführung Sebastian Bauer in der Schauburg inszeniert hat, durch den einfühlsamen Blick auf überzeitliche Themen: sich als Außenseiter einen Platz in der Welt zu finden, die Brüchigkeit von Freundschaften und die Abgründe, die sich auftun, wenn Freundschaft und Liebe sich einander annähern.

So spielen sich die Annäherungs- und Distanzierungsversuche zwischen Simon und Mia denn auch unter zwei Neonröhren ab. Das intrikate Beziehungsfindungsspiel steht unter den Zeichen von "Liebe" und "Leiden". Dabei wirken die beiden Figuren zunächst weder zum einen noch zum anderen bereit. Simon, nach einem Autounfall nicht in der Lage, einen Raum zu verlassen, der ihn von der Außenwelt trennt, aber auch vor ihr beschützt, nimmt das Weltgeschehen durch eine Hightech-Brille wahr, die andere für ihn tragen. Zufälligerweise kommt diese Rolle Mia zu, der Neuen in der Stadt. Die Welt aus ihrer Sicht - dem Publikum mitgeteilt über Videoprojektionen - bestimmen jetzt Simons Perspektive. Es kommt zur Konfrontation zweier Temperamente: Mias Risikosympathie, die Flucht nach vorne, trifft auf Simons Introvertiertheit, das mangelnde Vertrauen in seinen Körper, sein Auftreten, seine Wirkung auf andere. Und hier verläuft die Konfliktlinie, die das Stück jungen Zuschauerinnen und Zuschauern (vor allem für sie ist es ja gedacht) wichtig machen könnte. Auch in der digitalen Welt gibt es die Realität des Körpers. Wo ein medialer Avatar die reale Person zu ersetzen beginnt, wird es gefährlich. Hier bedarf es radikaler Gegenmaßnahmen. Mia erkennt das und will dem neuen Freund helfen. Reibungslos kann das nicht ablaufen.

Das klingt alles etwas konstruiert, in seiner Abstraktheit wenig zugänglich. Und abstrakt ist es auch, gefährlich nahe an der Grenze zu verstiegener Spintisiererei. Dass die Fabel vom Einbruch der Realität in den digitalen Kokon es schafft, im Zuschauer dennoch Involviertheit zu erzeugen, liegt vor allem am engagierten Agieren der beiden Sänger. Philipp Nicklaus gibt Simon als Jugendlichen, gezeichnet von der Isolation, ohne ins dumpf Eigenbrötlerische abzufallen, Karera Fujitas Mia bildet den temperamentvollen Gegenpart dazu. Gerhard Stäblers frei atonale Vertonung des Textes ermöglicht eine fein zwischen Erregtheit und Coolness changierende Deklamation, kommentiert durch komplexe Schlagwerkklänge und Melodiepartikel der Geige. Diese bisweilen gestisch unterstützende, bisweilen analytisch verfremdende Musik spannt eine weitere Ebene auf und schafft zusätzliche Distanz zum Jugenddrama. Was gerade ein jüngeres Publikum von diesem Abend mitnehmen kann, ist deshalb nicht nur ein Gedanke aus der Coming-of-Age-Sektion, sondern auch ein Beispiel für die Gestaltungsspielräume Neuer Musik.

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