Design:Rache in Form, Rausch und Farbe

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Mitten im Bauhaus-Jubiläumsjahr feiert das Marta in Herford mit der Ausstellung "Rebellische Pracht" das quietschbunte Anti-Design der Postmoderne.

Von Till Briegleb

Wenn aktuell deutschlandweit und gelegentlich kulturbesoffen das Bauhaus glorifiziert wird, dann verschweigen die Veranstalter dabei nicht nur gerne, dass die Großfürsten der Moderne alle und teilweise intensiv mit den Nazis kollaboriert haben, dass Mies van der Rohe sich 1934 zu "des Führers Gefolgschaft" bekannt hat, Gropius gerne NS-Aufträge gehabt hätte, dass Le Corbusier für die Vichy-Regierung arbeitete und Philip Johnson eine faschistische Partei nach dem Vorbild der NSDAP in den USA gründen wollte. Sie verschweigen auch, dass die sogenannte Bauhaus-Ästhetik in mindestens zwei Nachkriegsjahrzehnten als der Inbegriff des schlechten Geschmacks und der Spießigkeit galt, wenn nicht sogar als Ausdruck eines tyrannischen Ordnungsgeistes, dessen "demokratische" Förderer in den Ämtern in großer Zahl aus Albert Speers NS-Architektenstamm auf die BRD gekommen waren.

Es waren die Siebziger- und Achtzigerjahre, als das Unbehagen am Rigorismus der Moderne sich unter den Designern und Konsumenten massiv zu regen begann. Das insbesondere in Deutschland mit dem Lineal eingeprügelte Dogma des Funktionalismus, nach dem schön nur ist was rational begründet werden kann, empfanden freie Geister bereits in den späten Sechzigern als Tyrannis. Die allpräsente Nachkriegsmoderne hatte Güter, Städte, Infrastruktur und Verwaltungsvorgänge zu diesem Zeitpunkt einer Normierungsbürokratie der funktionalen Nüchternheit unterworfen. Da konnte die Gegenreaktion nur ein dionysischer Rachefeldzug in Form, Rausch und Farbe sein.

Die Schau beschreibt einen Kulturkampf, der sich von starren Dogmen befreien wollte

Wenn im Museum Marta in Herford mit der Ausstellung "Rebellische Pracht - Design-Punk statt Bauhaus" dieser ästhetischen Gegenrevolte gedacht wird, dann geht es den Kuratoren nicht nur darum, skurrile Designerstücke der italienischen Gruppe "Memphis", von Ettore Sottsass, Matteo Thun oder Philippe Starck zu zeigen (was natürlich umfangreich geschieht). Diese Huldigung der Postmoderne in Tischzeug, Möbeln und Krawatten will einen Kulturkampf beschreiben, der nach Befreiung von aggressiven Dogmen strebte, nach einer Erweiterung des Lebens ins Pralle, Lustvolle und Unkontrollierte. Oder wie Mae West hier fröhlich zitiert wird: "Zu viel von einer guten Sache kann wunderbar sein."

Der Kern dieser Schau wurde aus dem Archivbestand des niedersächsischen Leuchtenherstellers "Anthologie Quartett" bestritten, der selbst Anfang der Achtziger damit begann, ästhetisch frech zu werden, internationale Kontakte zu Gleichgesinnten zu knüpfen und dabei eine umfangreiche Sammlung an aufmüpfigen Prototypen und Sonderstücken aufzubauen. Erweitert um zahlreiche Leihgaben finden sich in Herford versammelt überkandidelte Gebrauchsobjekte bis hin zur totalen Funktionslosigkeit. Stühle aus einem Dutzend unterschiedlicher Elemente verschraubt, Kaffeekannen wie aus dem Zufallsgenerator, Deckenfluter als schwarze Schrumpfhochhäuser und Vasen, die wie auslaufende Larven in Kreischfarben aussehen. Lauter Mischwesen aus Bauklötzchen- und LSD-Fantasie treffen sich bei dieser Ausstellung zum Hexeneinmaleins auf dem Design-Blocksberg.

Längst ist das Geschmackspendel wieder zurückgeschwungen in die sogenannte Zweite Moderne von heute, wo Bauhaus-Stil neu erweckt wird und wieder als edle und distinguierte Norm gilt (wenn auch Bewegungen wie das Dutch Design weiter die Fahne von Humor, Verrücktheit und Individualität hoch halten). Die farbigen Objektcollagen speziell der Achtzigerjahre wirken deswegen jetzt nicht mehr ganz so begehrenswert. Aber der Aufstand der Objekte trägt doch ganz klar noch die Energie eines Zeitenbruchs in sich, der sich ähnlich wie im parallel sich entladenden Punk in der Musik zum schlechten Geschmack als neue Ästhetik bekannte. Und als Ideologiekritik.

Gesellschaftlichen Gewissheiten begegnete man mit Ironie, der deutschen Effizienz mit Partylaune, der Uniformität mit Selbstdarstellung. Diese Antihaltung belebte eine Tradition neu, die auszusterben drohte: die Handwerkskunst. Denn anders als die Ausstattungen aus den Markenhäusern mussten die schlangenfömigen Löffel und blütenartigen Gläser mit kleinen Manufakturen entwickelt werden - weswegen sie Luxus waren, ganz anders als Punk.

Aber die Rebellion der Postmoderne hatte ja gerade die Egalität als Feind. Man wollte sich möglichst sinnlich absetzen von der Konformität der Masse, ohne sie dabei völlig vor den Kopf zu stoßen. Deswegen war ihr Schutzheiliger auch nicht Johnny Rotten mit den zerrissenen Schottenhosen, sondern Elvis im Glitzeroverall, geboren in Memphis. Anti-Spießer waren sie trotzdem alle zu dieser Zeit, die Künstler und Kreativen. Und von dieser "rebellischen Pracht" zehrte der Zeitgeist einer Epoche, die mit der Wiedervereinigung zu Ende ging. Da bekam der Begriff "Freiheit" einen ganz anderen Klang. Er hieß jetzt "Konsumfreiheit". Und das rebellische Design dazu gibt es bei Zara und H&M. Zeit für neuen Design-Punk?

Rebellische Pracht. Design-Punk statt Bauhaus. Marta Herford. Bis 1. September. Infos unter www.marta-herford.de.

© SZ vom 26.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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