Computerspiele:Gnade bringt keinen Punktgewinn

Ego-Shooter war gestern: Das Videospiel "Manhunt" fordert den ganzen Sadisten. Es gilt als brutalstes Spiel aller Zeiten.

Von Tobias Moorstedt

Die entscheidende Frage findet sich auf Seite zwei: "Wie viel hältst du aus?" fragt Mr. Nasty im Katalog der Firma Valiant Video Enterprises. "Was darf es sein? Fetisch oder Hardcore?"

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(Foto: Foto: Rockstar Games)

Im Sortiment der Firma bleibt freilich gar keine Wahl. Mr. Nasty garantiert schließlich mit seinem guten Namen "für beste Gewaltaction" und verspricht "Schleuderpreise für alle Dominations- und Erniedrigungsvideos".

Erst auf den zweiten Blick erweist sich der Versandkatalog für Folterfilme als Anleitung für das Videospiel "Manhunt", das seit einiger Zeit auf dem Markt ist. Das reichhaltige Angebot an Snuff-Filmen und der agile Verkäufer Mr. Nasty sind zum Glück Fiktion, die Frage aber, was man denn so aushalte, macht trotzdem Sinn.

In "Manhunt" schlüpft man in die Rolle des verurteilten Mörder James Earl Cash. Um der Giftspritze zu entkommen, muss Cash für einen Snuff-Film-Produzenten namens Starkweather Menschen töten.

Eine Videokamera folgt der Blutspur des Spielers, die Levels heißen Szenen, und Starkweather gibt über Kopfhörer Regieanweisungen. "Ich werde es dir noch einmal erklären", sagt die böse Stimme im Ohr etwa, "geh los und bring jemand um." Töten oder getötet werden, das ist nichts Neues im Videospielkosmos.

Wie man töten muss, ist allerdings neu. James Earl Cashs Waffen sind Plastiktüte, Glasscherbe und ein Stück Draht. In "Manhunt" wird das offene Gefecht vermieden, der Spieler schleicht sich auf Zehenspitzen an. Mit einem Brecheisen, Hammer oder einer Kettensäge in den Händen. Nach dem "Mord", wie das Erfolgserlebnis im Spiel lapidar heißt, kann man dann auch den Kopf des Opfers mitnehmen. Die Fachpresse ist sich einig: "Manhunt" ist das brutalste Spiel aller Zeiten.

In Neuseeland wurde es bereits verboten. In Deutschland kommt das Spiel gar nicht erst auf den Markt. Eine deutsche Version gibt es trotzdem.

"Bestellt das Spiel im Internet", raten die Videospielmagazine ihren Lesern. Längst gehört "Manhunt" zu den meistimportierten Spielen. Ende April kommt das Spiel auch für Xbox und PC auf den Markt. Wegen des großen Erfolges.

Die verantwortliche Firma Rockstar ist keine Shareware-Klitsche, sondern hat in Videospielkreisen spätestens seit dem legendären "Grand Theft Auto", in dem man zum Mafiaboss aufsteigen konnte, einen besonderen Ruf.

"Kommentare zur Filmgewalt"

"Die Verbrechensrate blüht, die biochemische Abhängigkeit der Menschen hat Hochkonjunktur, und für dich geht der Spaß erst richtig los", hieß es damals in der Spielanleitung. GTA war ironisch und medienkompetent. Pop eben.

Und niemand widersprach Rockstar-Chef Dan Houser, als er in einem Interview sagte: "Unsere Spiele sind eher Kommentare zur Filmgewalt als Gewaltspiele." Auf "Manhunt" trifft das nicht mehr zu.

Die Menschenjagd ist ein Spiel für Gewaltvoyeure - und keine Metaebene nirgends. Bei "Manhunt" wird Bildschirmgewalt zum Spielprinzip erhoben, und so wird das Spiel zwar als "Mediensatire" verkauft und verhandelt, ist aber kein Kommentar auf die darwinistische Medienwirklichkeit oder die Themen Splatter und Porno, sondern das jüngste Produkt für einen Markt, der nach immer stärkeren Reizen giert.

Das Interessante an "Manhunt" ist deshalb auch nicht das Spiel selbst, sondern der Diskurs darüber. Die deutschen Videospielmagazine berichteten auf Doppelseiten über ein Spiel, das es offiziell gar nicht gibt.

Ein paar relativierende Worte über die exzessive Gewalt, ein paar Komplimente für das Gameplay - fertig ist das Missverständnis. Nachgedacht wird nicht, stattdessen freut man sich über die Evolution des Equipements: "Schlagen wir uns zu Beginn noch mit Plastiktüten durch, stehen später schlagkräftigere Waffen wie Hackbeil und Sichel zur Verfügung."

Die Wertung in der Zeitschrift Gamezone: 7,8 Punkte - ziemlich gut.

Alice im Horrorland

"Folge dem Karnickel", flüstert Starkweather gegen Ende des Spiels. Der Spieler läuft einem fetten, unrasierten Nager hinterher und landet nicht im Wunder-, sondern im Horrorland.

Mit den verlassenen Stadtlandschaften, den verwesenden Körpern und der fehlenden Sonne wirkt "Manhunt" auf den ersten Blick wie eine interaktive Version von aktuellen Horror-Filmen wie "28 Days Later" oder dem Remake von "Dawn of the Dead", über die Diedrich Diedrichsen schrieb: "Diese Filme propagieren die gute Intensität des kriegerischen Lebens", den geilen Kick in einem Marktsystem zu überleben, in dem alle Konkurrenten sind.

Doch in "Manhunt" geht es um mehr als das pure Überleben. "Du tötest, um zu unterhalten", sagt Starkweather, "also lass dir ein bisschen Zeit und spiel für die Kamera." "Das böse Wort heißt Snuff", erklärt die Zeitschrift Spex.

Explodierende Körper

Wie Nicholas Cage in "8 mm" heuchelt die Szene ein wenig Abscheu vor der Spielvorlage, warnt "empfindliche Gemüter" vor der "exzessiven Gewalt", und kann sich doch nicht satt sehen an den explodierenden Körpern, "die den erwarteten Kick garantieren", wie das Magazin Videogames schreibt.

"Manhunt" bietet diese Ansichten aus der Ich-Perspektive. Die Subjektivierung des Blicks gab es zwar auch bereits im Filmklassiker "Halloween", das Videospiel hat aber hardwarebedingt weit mehr Möglichkeiten.

Selten zuvor wurde der Konsument so vollständig in die verseuchten Badlands des Horror-Genres integriert. "Um dieses Spiel zu gewinnen, muss man die Gewalt genießen", so lautete die Begründung für das Verbot in Neuseeland.

Der Mund unter der Plastiktüte

Eigentlich muss man die Gewalt nicht nur genießen, sondern kreativ und maximal grausam anwenden - das gibt mehr Punkte. Der Spieler kann die Kamera frei bewegen und sich besonders gute Szenen noch einmal in Zeitlupe und im Close-Up anschauen. Er selbst wird zum Regisseur des fiktiven Snuff-Films.

Auch darin und nicht nur durch die exzessive Visualisierung unterscheidet sich "Manhunt" von anderen killographischen Spielen, wie Ego-Shooter und Kampfspiele in den USA genannt werden. Der US-Medienpädagoge Gerard Jones schreibt in seinem Buch "Killing Monsters": "Diese Spiele wären wohl nicht halb so erfolgreich, würden sie nicht zunehmend soziale Aktivität und Wettkampfcharakter entwickeln."

Pixelwesen mit Angst vor dem Tod

Im Wettkampf zählen Taktik und Mannschaftsaufstellung und nicht die blutigen Details. Bei "Manhunt" aber sind die Details die Hauptsache. Der Mund unter der Plastiktüte, wie er nach Luft schnappt.

Die Pixeltoten, die sich nicht wie gewohnt auflösen, sondern verbleiben, als Festmahl für die virtuellen Aasgeier und Ratten. Aller Puffer entkleidet, richtet sich die Gewalt nicht gegen Aliens, Zombies oder Soldaten, sondern gegen Menschen, komplett mit Demutsgesten und Angst vor dem Tod. Gnade gibt keine Punkte. Der Daumen zeigt verkrampft nach unten.

"Sagt mir nicht, wo meine Grenzen sind", antwortet ein Spieler in einem Internetforum schon mal allen potentiellen Kritikern. Es ist ein freies - ein virtuelles Land. "Ich glaube nicht, dass es Ethik noch gibt, wenn man es mit Fiktion zu tun hat", sagte William Friedkin, der Regisseur von "Der Exorzist", vor Jahren mal in einem Interview.

Eine Diskussion über die Grenzen der Gewalt würde der Videospielszene allerdings nur gut tun. Bis dahin überdeckt der Faktor Spielspaß alle aufkommenden Bedenken.

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