Christian Wulff in der Kredit- und Medienaffäre:Ich bekenne ein bisschen

Buße zeigt die Grenzen staatlicher Gewalt und derer, die sie ausüben. Christian Wulff bittet aber nicht um Entschuldigung - er entschuldigt sich selber. Der Bundespräsident könnte, in einem zweiten Anlauf, endlich die ganze Wahrheit sagen. Es würde ihm ein bisschen helfen, aber Ruhe brächte ihm letztlich nur: der Rücktritt.

Matthias Drobinski

Im Büßerhemd stand König Heinrich IV. da, "barfuß und nüchtern, vom Morgen bis zum Abend", drei Tage lang, ehe am 28. Januar 1077 Papst Gregor VII. den Bann über den König aufhob. Die Szene hat Lampert von Hersfeld beschrieben, ein Parteigänger des Papstes, der die Demütigung des Herrschers möglichst drastisch zu schildern wünschte, und wie viel echte Reue auf der einen und tiefe Vergebung auf der anderen Seite bei diesem streng reglementierten Ritual vorhanden war, mag dahingestellt bleiben. Immerhin: Sie funktionierte, die politische Kommunikation über den Bußakt und die Vergebung. Bei Christian Wulff, dem deutschen Bundespräsidenten, funktioniert sie nicht.

Wulff bleibt unter Druck

Schon gut, ich entschuldige mich für das, was ihr über mich herausbekommen habt. In der Kredit- und Medienaffäre wird aus der Buße, bei der ein Sünder sich seiner Macht und seines Stolzes entledigte, die Wulff'sche Selbstentlastung.

(Foto: dpa)

Sie funktioniert nicht, weil zur Jahreswende 2011/12 aus der Buße, bei der ein Sünder sich seiner Macht und seines Stolzes entledigte, die Wulff'sche Selbstentlastung geworden ist: Schon gut, ich entschuldige mich für das, was ihr über mich herausbekommen habt. Und weil andererseits an die Stelle der Vergebung das Gnadenlose getreten ist: Wir suchen weiter und wir werden finden. Das ist schlecht für die öffentliche Kultur eines Landes, die auch davon lebt, dass ihre zivilreligiösen Mechanismen von Buße und Vergebung, von Bekenntnis, Reue, Umkehr und Neuanfang funktionieren.

Die Bundesrepublik hat in ihrer Geschichte, die auf den Ermordeten der Nazizeit gründet, den zivilreligiösen Bußakt ins Repertoire des richtigen politischen Verhaltens integriert. Bundeskanzler Willy Brandt kniete 1970 vor dem Denkmal für die Toten des Warschauer Ghettos; Bundespräsident Richard von Weizsäcker sprach 1985 von der Verantwortung der Deutschen, sein Nachfolger Johannes Rau bat im Jahr 2000 vor der Knesset, dem israelischen Parlament, um Vergebung "für das, was Deutsche getan haben, um unserer Kinder und Kindeskinder willen". Die Vergebungsbitte ist aber keine deutsche Sonderform des politischen Verhaltens; Bill Clinton bat in Afrika um Vergebung für die Versklavung von Millionen Menschen, Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 in einem religiösen und doch politischen Bußakt für die Scheiterhaufen, die seine Kirche im Lauf der Jahrhunderte errichtet hatte.

Büßen als Akt der Menschenwürde

Der Philosoph Hermann Lübbe hat 2001, zehn Jahre also bevor Wulffs Eigenheimfinanzierung zum Gegenstand der Debatte wurde, die Gefahr benannt, dass solche zivilreligiösen Bußrituale verflachen, mechanistisch werden, inflationieren. Zunächst aber sind solche Bußakte Akte der Menschenwürde. Sie geben den Opfern und ihren Nachkommen Achtung zurück. Sie dienen der Vergewisserung, dass staatliches Handeln nicht moralfrei ist. Sie zeigen die Grenzen staatlicher Gewalt und derer, die sie ausüben. Und sie wirken. Es mag kitschig wirken, wenn ein deutscher Bundeskanzler und ein französischer Präsident an den Gräbern von Verdun Händchen halten. Es ist aber besser, als Tote aufzurechnen.

So kann man verstehen, dass der Bußakt des Christian Wulff ohne Absolution bleibt. Es hat sich der Anlass banalisiert; es geht ums Eigenheim, um Zinsen und darum, wer in welchem Zusammenhang welche Wahrheit gesagt, gebogen oder verschwiegen hat. Das Confiteor, das Bekenntnis des Schuldigen, kommt nicht aus tiefstem Herzen, sondern scheibchenweise, auf Vorhalten der zahlreichen Beichtväter sozusagen. Der Adressat seiner Reue verschwimmt: Sind es die niedersächsischen Landtagsabgeordneten, die Kunden der baden-württembergischen Landesbank, die Journalisten, alle Bundesbürger?

Vor allem aber fällt auf: Der Reuige bittet nicht um Entschuldigung, er entschuldigt sich selber, versucht es jedenfalls. Christian Wulff begibt sich nicht in die Hände anderer, einer Macht außerhalb seiner selbst, im Gegenteil: Er möchte mit aller Kraft Herr des Verfahrens bleiben, die Fäden wieder in die Hand bekommen. Das ist vielleicht das Grundmissverständnis dieser gescheiterten Kommunikation mittels der politischen Beichte, dass sie den Kern der religiösen Beichte weder versteht noch achtet.

Ruhe brächte ihm letztlich nur: der Rücktritt

Es hapert also an Reue und Umkehr - es hapert aber auf der anderen Seite auch an Vergebung und der Bereitschaft zum Neuanfang. Heinrich IV. konnte sich in der politischen Tradition des Mittelalters nach drei Tagen im Büßerhemd der Absolution des Papstes sicher sein - Christian Wulff könnte, nach dem Bekenntnis seiner Verfehlungen, eine ganze Woche barfuß und im härenen Gewand durch Berlin laufen, ohne dass ihm die Vergebung sicher wäre. Ja, es ist ziemlich viel passiert, was Zweifel an der Tiefe der präsidentialen Reue weckt. Aber was müsste geschehen, damit dieses tragikomische Stück um (legale, wenn auch eigentümliche) Kredite, Politikerfreunde, Anrufe bei Journalisten endet?

Wulff könnte, in einem zweiten Anlauf, endlich die ganze Wahrheit sagen. Er könnte hoch und heilig versprechen, nichts mehr zu tun, was den Anschein erweckt, er sei kein unabhängiger Bundespräsident. Es würde ihm ein bisschen helfen, aber Ruhe brächte ihm letztlich nur: der Rücktritt. Margot Käßmann, die hannoversche Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende, hat das gespürt, nachdem ihre Alkoholfahrt öffentlich geworden war, sie trat nach einem emotionalen Schuldbekenntnis zurück, und das Publikum verzieh, obwohl sie doch, anders als Wulff, ein Gesetz gebrochen hatte.

Aber kann das die Lösung sein: die gnadenlose Jagd bis zur Erschöpfung des Gejagten, weil man ihm ohnehin nichts mehr glaubt? Es wäre kein Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche der politischen Kultur im Land. Es würde dem allgemeinen Selbstentschuldungsbedürfnis, was die eigenen Schwächen angeht, Auftrieb geben - und der Gnadenlosigkeit, wenn es um die Verfehlungen der anderen geht. Wer fürchtet, keine Gnade zu finden, leugnet, was er leugnen kann. Wer glaubt, nur Leugner vor sich zu haben, kann keine Gnade gewähren. Und beide Haltungen sind geprägt von der Überzeugung, selber allmächtig und fehlerlos zu sein. Menschen, Gesellschaften, politische Systeme sind aber fehlbar und fehlerhaft, zum Glück. Umso mehr aber brauchen sie funktionierende Rituale des Bekennens, Umkehrens und Verzeihens.

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