Bildband:Eingekapselt

The Tale of Tomorrow
(Foto: Aus dem besprochenen Band)

Die Zukunft ist in der Vergangenheit: die utopische Architektur der Sechziger und Siebziger.

Von Laura Weissmüller

Wer glaubt, die Zukunft beginnt erst morgen, sollte sich noch heute den prächtigen Bildband "The Tale of Tomorrow. Utopian Architecture in the Modernist Realm" besorgen. Denn der macht klar: Die Zukunft, zumindest die architektonische, ist in der Vergangenheit zu finden. Und war mal verdammt viel aufregender, sinnlicher, ja auch visionärer als all die Betonquadrate und Rasterriegel, die uns in den nächsten Jahren in den Städten begrüßen werden.

Zum Beispiel der Kapselturm, erbaut 1972 in Tokio und entworfen von dem japanischen Architekten Kisho Kurokawa (unser Bild, ). Wie Bienenwaben kleben hier die vier mal zweieinhalb Meter großen Kapseln übereinander. In jeder befindet sich eine Miniwohnung, deren Innenraum aussieht, als würde vor dem bullaugenrunden Fenster keine Megacity liegen, sondern die Weiten des Weltalls. Fast so hoch hinaus strebten mit ihren Ideen auch die Metabolisten, zu denen sich Kurokawa zählte. Die Gruppe um den Architekten Kenzo Tange wollte mit ihren Entwürfen nichts weniger als die Welt retten. Vor Katastrophen wie Erdbeben, Tsunamis, aber auch vor der Überbevölkerung und der daraus resultierenden Platznot.

Die Welt retten, das wollte vermutlich auch Bruce Goff. Doch dem 1904 in Kansas geborenen Architekten, Künstler und Komponisten ging es vermutlich eher um den Kampf gegen Langweile. Jedes seiner Häuser sollte so einzigartig sein wie deren Besitzer. Und das waren sie. Das runde Jacob Harder House zum Beispiel trug grüne Schuppen innen wie außen, eine Art Riesenschildkröte zum Wohnen. Und das Bavinger House von 1955, das sich kühn wie eine Spirale nach oben windet, ließe jeden Bond-Bösewicht erblassen - vorausgesetzt, er sympathisiert mit der Natur, das Ganze sieht aus wie der Villentraum eines Öko-Aktivisten.

Es gibt etwas, das all die Kirchen, Türme, Kongresshallen, Flughäfen, Konzerthäuser und Landhäuser verbindet - ganz egal ob diese von Baumeistern wie Le Corbusier oder Herb Green und Zvi Hecker entworfen wurden. Was sie prägt ist ihre echte Leidenschaft für Neues. Nicht um damit Werbung machen zu können und die Bauzäune vollzupflastern mit leeren Versprechungen wie "grenzenloses Wohnen", "Living Bauhaus", "digital Baroque" oder wie die sinnentleerten Sprüche, die versuchen, seelenlose Massenware als Boten einer besseren Zukunft zu verkaufen, gerade sonst so heißen. Sondern weil diese Architekten für das Morgen brannten, weil sie wirklich wissen wollten, wie es sich darin wohnen, arbeiten, leben wird. Das Interesse daran ließ sie kühne Formen entwerfen, ließ sie Material ausprobieren, das sich wenig später als unbrauchbar herausstellte. Doch der Versuch war es wert. Denn was wäre eine Zukunft ohne den Glauben an ein besseres Morgen?

The Tale of Tomorrow. Utopian Architecture in the Modernist Realm. Herausgegeben von Robert Klanten und Sofia Borges. Gestalten Verlag, Berlin 2016. 400 Seiten, 49,90 Euro.

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