Big Data als Werbetechnik:Der Mensch als Mikroziel

Digitale Medien errechnen minutiöse Informationsmuster ihrer Nutzer. Das verringert die Streuverluste der Werbung, gilt aber als ethisch zweifelhaft.

Von Johannes Boie

Wenn an einer Bushaltestelle Menschen auf den Bus warten, interessiert sich in aller Regel nur ein Bruchteil der Wartenden für die Werbung, die an der Haltestelle plakatiert ist. Alle anderen tragen zu einem Phänomen bei, das in der Werbeindustrie als "Streuverlust" bezeichnet wird. Schon immer ist es das Ziel der Werbenden, diesen Verlust klein zu halten. Heute ist es mithilfe von Technik möglich, ihn nahezu zu eliminieren.

Neue Möglichkeiten werfen dabei neue Fragen auf, vor allem ethische. Es geht einerseits um Daten, die zum Beispiel Facebook über Nutzer sammelt, andererseits um die Frage, ob der Einsatz der Technik, die vor allem von Facebook vorangetrieben wird, Werbetreibenden die Möglichkeit gibt, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern.

Die Rede ist vom "Targeting". Die Technik funktioniert so: Derjenige, der Werbung treiben möchte, sammelt möglichst viele Daten über Menschen, die er zu seiner Zielgruppe rechnet. Je mehr er weiß, umso präziser kann er entscheiden, ob eine Person in die Zielgruppe fällt, eben um Streuverluste zu vermeiden. Gleichzeitig wird es heute aber auch dank präziser Datensätze möglich, Werbebotschaften auf ihre Empfänger zuzuschneiden. Geschieht das so genau, dass kleine Gruppen entstehen, die zielgerichtet erreicht werden, spricht man vom "Mikro-Targeting", einer Technik. Facebook bringt die Idee auf ein neues Level, weil dort Botschaften selbst auf einzelne Menschen zugeschnitten werden können.

Spezialisierte Firmen wie auch Facebook selbst nutzen Modelle aus der Psychologie, um Menschen auf Basis der Daten zu charakterisieren. Zum Beispiel das Big-Five-Modell, bei dem die Persönlichkeit von Menschen in einzelnen Kategorien festgelegt wird. Facebook stellt Werbetreibenden zu diesem Zweck mindestens 98 detaillierte Informationen über Nutzer zur Verfügung, darunter Obskures wie die Antwort auf die Frage, wie lange ein Mensch sein Haus bereits bewohnt, aber auch, in welchen Läden er einkauft oder wie oft er verreist. Die Werbetreibenden können dann beim Schalten der Anzeige genau festlegen, auf wessen Bildschirm sie erscheinen soll. Viele der Daten sind abgeleitete Informationen. Das bedeutet, dass sie nicht von dem Nutzer selbst freigegeben wurden, sondern von Facebook anhand des Verhaltens des Nutzers errechnet wurden.

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