Berlinale-Eröffnung:Alle wollen die Nacht

65. Berlinale - Eröffnung

Zur 65. Berlinale zeigt Juliette Binoche ihren neuen Film "Nobody wants the night".

(Foto: Tim Brakemeier/dpa)

Und wo sind jetzt die starken Frauen? Der Eröffnungsfilm "Nobody wants the night" mit Juliette Binoche sorgt auf der Berlinale für eher verhaltene Freude. Die Eröffnungszeremonie immerhin rettet ein Helene-Fischer-Imitat - und die Party kann beginnen.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Zwei liebeskranke Damen reisen einem größenwahnsinnigen Mann hinterher, und es ist nicht mal klar, ob sie ihn jemals wieder zu Gesicht bekommen werden. Dabei erleiden sie schlimmste Höllenqualen, denn ihre Reise führt durchs ewige Eis der Arktis. Mit allem, was der Nordpol zu bieten hat: lebensgefährliche Lawinen, verfrorene Fingerchen, heftiger Hunger - und immer wieder dieser schlimme Schnee. Elend, Angst und Seelenpein, bis hin zum Tod geht das im Berlinale-Eröffnungsfilm "Nobody wants the night" mit Juliette Binoche in der Hauptrolle. Und warum der ganze Terz? Weil der Herr, um den es geht, natürlich ein echter Mordskerl ist.

Robert Peary, der wirklich gelebt hat, war ein US-Polarforscher, der als erster Mensch im Jahre 1909 den Nordpol betreten haben will. Dass das wohl nicht ganz stimmt, zeigt der Film erst ganz zum Schluss. Der große Entdecker ist im Film kein einziges Mal zu sehen. Umso mehr dafür das Schmachten der beiden Frauen, die er zurückgelassen hat: seine langjährige Ehefrau, mit der er eine 16-jährige Tochter hat, und eine junge Inuit-Frau, die nun auch schwanger ist. Beide warten im komplett vereisten Norden auf die Rückkehr des Herrn - und müssen sich dabei gegenseitig stützen.

Berlin bleiben nur die Coolness und der Mut

Das wäre alles gut und schön, mit Schneefilmen hat vor allem Frau Binoche schon einige Erfahrung. Das Problem ist nur: Es ist der aktuelle Berlinale-Eröffnungsfilm. Die Berlinale will das politischste unter den großen Filmfestivals weltweit sein. Cannes hat die Stars, Venedig das Wetter, Berlin bleiben nur die Coolness und der Mut. Jetzt schreiben wir allerdings das Jahr 2015, nicht 1951, das Geburtsjahr der Berlinale. Damals hätte man sich das mit dem Schmachten der Frauen, deren einziger Lebenssinn ein Mann ist, noch unbedingt vorstellen können - aber heute? Muss es denn zum Auftakt immer Nostalgie sein, selbst zum 65. Geburtstag?

Dass eine Regisseurin das Schnee-Drama fabriziert hat, macht es auch nicht besser: Isabel Coixet, Spanierin und schon zum sechsten Mal auf der Berlinale, verbreitet zwar in Berlin extrem gute Laune ("Beim nächsten Mal werden sie mich als Kartenabreißerin engagieren"), winkt beim Thema Gender aber gleich ab: langweilig. Bei der zweiten Nachfrage sagt sie, sie sei auch für die Besserbezahlung von Frauen, ansonsten sei das Thema Frauen und Männer doch eher durch. Beim dritten Nachfrage-Versuch der Journalisten scherzt sie: "Vielleicht habe ich einen Schwanz." Der Spruch hat zwar Lady Gaga auch schon zu ungeahnter Aufmerksamkeit verholfen. Bei der Rezeption des Filmes hilft er aber nur bedingt weiter.

Kann Sadomaso dem Frauenbild helfen?

Entsprechend verhalten sind die Reaktionen auf den Eröffnungsfilm beim anschließenden Empfang. Die grazile Schauspielerin Marie Bäumer etwa, so wie Binoche ganz in Weiß erschienen, sagt: "Ich hätte gerne mehr Direktheit im Spiel gehabt - und weniger Musik. Die Kamera fand ich aber großartig." Auf die Frage, ob sie den Film für zeitgemäß hält, antwortet sie mit Bestimmtheit: "Nein."

Wie gut, dass Anke Engelke zur Eröffnungsgala genau jenen Witz aufs Parkett legte, von dem Barbara Schöneberger manchmal einen Tick zu viel hat, und der den meisten anderen Moderatoren ganz abgeht: Im Schneeflocken-nicht-unähnlichen Dress erzählt sie jedem, der es nicht wissen will, sie sei Helene Fischer, flirtet ostentativ mit James Franco und entlockt dem 75-jährigen Ex-Model Veruschka Gräfin von Lehndorf im Publikum einen kruden Gedankengang mit Vögeln. Das hat alles genau jene Leichtigkeit, die Berlin gerne hätte - und die Berlinale auch.

Starke Frauen in extremen Situationen?

Ob sich dieser Charme auf das größte Publikumsfestival der Welt übertragen kann, bleibt abzuwarten. Ein nächster heiß gehandelter Wettbewerbsfilm - mit Nicole Kidman und Robert Pattinson - handelt leider schon wieder von einer Reisenden zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Werner Herzogs "Queen of the desert" erzählt die Geschichte der Historikerin Gertrude Bell.

Ob das sehnsüchtig erwartete Soft-Sadomaso-Drama "50 Shades of Grey" am Mittwoch mehr zur Erhellung der Rolle der Frau in diesen Tagen beitragen kann, bleibt ebenfalls abzuwarten. Immerhin lautet diesmal das Motto laut Berlinale-Direktor Dieter Kosslick: "Starke Frauen in extremen Situationen." Am Ende wird sich zeigen, ob dies mehr als ein Lippenbekenntnis ist. Die Jury jedenfalls ist wieder unter Vorsitz eines Mannes: Darren Aronofsky.

Der Stimmung an diesem Eröffnungsabend taten jedoch weder das noch echte oder filmische Eiseskälte Abbruch: In der "Bären-Lounge" im Berlinale-Palast tummelten sich in der Nacht noch Juliette Binoche, die sich mit Innenminister Thomas de Maizière ganz reizend über dunkle Mächte unterhielt, ließ sich Audrey Tatou feen- und zauberhaft an der Champagnerbar vereinnahmen, langweilte sich Toni Garrn langbeinig auf der Couch, blinzelte EU-Digital-Kommissar Günther Oettinger spitzbübisch in die Menge, während James Franco klein und brav am Tisch hockte.

Mal sehen, ob von den noch ausstehenden Stars (Kidman und Pattinson, Ryan Reynolds, Léa Seydoux, die Charlottes Gainsbourgh und Rampling, Cate Blanchett oder Christian Bale) jemand Lust auf Berlinale-Crashing á la Shia LaBeouf haben wird - bisher waren alle noch ganz handzahm. Auch auf der anschließenden Party im Hotel Stue mit Florian David Fitz, Wotan Wilke Möring, Iris Berben und Udo Kier. Jetzt gehen sie sowieso erst richtig los, die Eröffnungspartys. Es wird das ganze Wochenende lang ganz im Gegensatz zum Eröffnungsfilm heißen: Alle wollen die Nacht.

Und wenn am Freitag um fünf Uhr morgens noch lautstark Robbie Williams' "Angels" aus dem Promi-Restaurant Borchardt über den Gendarmenmarkt klingt, dann wissen die Berliner: Ihre Stadt ist jetzt für geschlagene zehn Tage wieder in der Hand der Filmverrückten.

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