Auf Prominentenjagd in Cannes:Balzen und Plustern

Der verlockende Herr Pitt, die säuerliche Frau Dunaway und der weise Mister Allen: Unser Autor hat entdeckt, dass Cannes ein Zoo ist - mit schönen Schwänen, irren Paradiesvögeln und gefährlichen Katzen.

Tobias Kniebe

Roman Polanski hat es einmal sehr schön gesagt: "Natürlich ist Cannes ein Zoo - aber wir alle lieben nun mal exotische Tiere." Wie recht er hat. Denn was, bitteschön, ist denn Lady Gaga auf der Fernsehshowbühne der 64. Filmfestspiele am Strand - wenn nicht ein prächtiger, schwarzweißroter Paradiesvogel, dessen durchdringend schräge Stimme durch den ganzen Tiergarten hallt?

Und dieses Fabelwesen, halb Schwan im schneeweißen Anzug, halb Leopard mit gefleckter Sonnenbrille - ist das nicht Brad Pitt auf seiner Pressekonferenz für den Film "Tree of Life"?

Michel Piccoli wiederum, der große Franzose, der einen zweifelnden Papst spielt - sieht er nicht längst aus wie ein weiser alter Uhu? Beim großen Abenddinner hockt er jedenfalls sehr ruhig auf seiner Stange - und doch steckt im Zucken seiner gefiederten Augenbrauen mehr Ausdruckskraft als im Balzen und Plustern all der Jungtiere um ihn herum.

Auch sonst ist bei diesem Dinner im neu errichteten Speisezelt neben dem Festivalpalais, das von Michelin-Rekordkoch Alain Ducasse betörend gut bekocht wird, animalisches Verhalten zu beobachten. Robert De Niro, dessen silbergraue Haarbüschel über den Ohren an einen Mähnenpavian erinnern, ist eindeutig der Patriarch im Gehege, das Alphamännchen am Tisch der Jury, an dem auch die leuchtende Uma Thurman ihren Platz gefunden hat. Mitjuror Jude Law, der neben De Niro sitzt, hängt geradezu an seinen Lippen und fixiert ihn mit hochkonzentriertem Blick - im Reich der Paviane, das weiß der Verhaltensforscher, eine ganz klare Unterwerfungsgeste.

Faye Dunaway wiederum ist die Ehre zuteil geworden, dass ihr Bild für das ganze Spektakel steht. Ihr träumerisches Porträt aus dem Jahr 1970 ziert das Plakat und auch die ganze Front des Festivalpalasts, in vielfacher Überlebensgröße. Sie ist eindeutig eine Tigerin, das zeigt sich bei diesem Dinner, auch wenn die Jahre zwischen diesem Foto und der Gegenwart natürlich ihre Spuren hinterlassen haben. Etwas desorientiert irrt sie zwischen den Tischen umher - aber wehe, man kommt ihr in die Quere.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie scharf die Krallen sein können - und was Woody Allen dazu sagt.

Bradwatching in Cannes

Wie scharf ihre Krallen sein können, dazu gibt es in Hollywood legendäre Geschichten - und das muss jetzt eine französische Journalistin erfahren, die sie irgendwas gefragt hat. Was, das hört man nicht, wohl aber Dunaways Antwort. "Das ist eine dumme und beleidigende Frage!" faucht sie. "Sie sollten sich schämen und den Mund halten." Anschließend macht sie die Frau, die hilflos grinsend immer nur "Okay, okay" stammelt, noch eine ganze Weile rund.

Johnny Depp taucht erst später auf, um den vierten Teil von "Piraten der Karibik" zu präsentieren - mit kleinem Schnauzer, großem grauem Hut mit Einschussloch vorn in der Mitte, lässigem Piratenhalstuch und den üblichen blaugetönten Brillengläsern posiert er auf der Kapitänsbrücke des Festivals, der Dachterrasse, hinter sich nur noch das Meer. Er bekennt, dass man bei Captain Sparrow keine weitere Charakterentwicklung erwarten dürfe: "Wenn es eine Figur gibt, die als menschliches Wesen schon vollständig realisiert ist, dann er."

An seiner Seite steht Penelope Cruz, die ebenfalls eine Piratin spielt und zum Fotocall dann auch recht sportlich in einem dunkelblauen Kleid auftaucht, das obenrum an ein Tanktop erinnert. Auch sie muss man wohl zur Familie der Großkatzen zählen, ebenso wie Antonio Banderas, der zwei Tage vorher für den Dreamworks Animationsfilm "Puss in Boots" als "Der gestiefelte Kater" in die Kameras gelächelt hat.

Das schafft Nachhaltigkeit in Sachen Publicity: Wer schon mal da ist, muss mehrfach ran - eigentlich ist er für den Wettbewerb angereist, wo "La piel que habito" läuft, den er endlich mal wieder mit seinem Mentor und Entdecker Pedro Almodovar gedreht hat.

Einer, der ebenfalls jede Minute ausnutzt, ist Woody Allen. Was dann doch erstaunlich ist, weil er schon am Eröffnungsabend des Festivals so zerbrechlich aussah mit seinem 75 Jahren - die Haut beinah durchscheinend, die Haare fast weiß. Über die roten Teppiche ging er langsam, gebeugt. Er wirkte noch kleiner, als man ihn ohnehin in Erinnerung hat, und stützte sich auf seine Frau Soon-Yi und seine wesentlich robustere Schwester Letty Aronson, eine New Yorker Matrone vom alten Schrot und Korn, die seit einigen Jahren auch seine Produzentin ist.

Auf der Livebühne der Fernsehsendung "Le Grand Journal", die immer am Strand aufgebaut ist, verlor er sogar kurz das Gleichgewicht und musste vom Moderator gestützt werden. Und doch: In den folgenden Tagen gibt er endlos viele Interviews, freundlich und scheinbar unermüdlich - und da kann man ihm dann am Ende auch die Frage stellen, ob er das den genauso sehe, dass Cannes im Prinzip ein Zoo sei.

Die Hoffnung ist natürlich, dass er sich herausgefordert fühlt und den Drang verspürt, Polanski aus dem Stand mit einem noch besseren Bonmot zu toppen. Das passiert aber nicht - er sagt einfach die Wahrheit. "Wenn Cannes ein Zoo ist, leben wir alle inzwischen in Käfigen", sagt er. "Man sperrt uns in Hotelzimmer, wo wir endlos über unsere Filme reden, und nur einmal lässt man uns raus auf den Roten Teppich. Das ist toll fürs Ego - aber leider ist es nach drei Minuten vorbei."

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