Architektur:Schnäppchenjagd am Bau

Independence Day: An diesem Donnerstag entscheidet der EuGH über die Honorargrenzen deutscher Architekten. Die Folgen für die Baukultur könnten fatal sein.

Von Gerhard Matzig

Es kann kein Zufall sein, dass die seit vier Jahren am Bau befürchtete bis ersehnte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Honorierung (auch) von Architektenleistungen just an diesem Donnerstag bekannt gegeben werden soll. Also am 4. Juli, Fourth of July. Das ist der aus der US-Geschichte bekannte "Independence Day", der dank Roland Emmerichs Popcornkino zur weltweit herumgereichten Chiffre einer teilweise kühn eroberten und teilweise von heroisch verstimmten Geigen drangsalierten Freiheit wurde.

Wenn nun also das Gericht im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Urteil über die Zulässigkeit und Konformität der Mindest- und Höchstsätze für Planleistungen in der deutschen Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) verkündet, dann stellt sich vor allem die Frage: Wer sind die tapferen Verteidiger der Unabhängigkeit? Und wer sind die bedrohlichen Aliens, die in Emmerichs Vorstellung an mutierte, ekelerregend schleimige Riesenwanderheuschrecken erinnern? Mutmaßlich wird das Gericht die deutschen Architektenkammern sowie die diversen Verbände der Architekten als Heuschreckenelend identifizieren. Und analog dazu die Eurokratie als Hort des Heldenmuts.

Experten befürchten schon lange, dass der über Jahrzehnte baukulturell erfolgreich beschrittene deutsche Sonderweg einer verbindlich geregelten Honorierung für planerische Leistungen durch den EuGH als angeblich europarechtswidrig beendet wird. Für diese Annahme spricht auch der Schlussantrag des Generalanwalts, dem das Gericht zumeist folgt. Demnach verstoße Deutschland gegen die europaweite Dienstleistungsrichtlinie, indem es Planungsleistungen den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI unterwirft. Ein solches verbindliches Preisrahmenrecht stehe dem Marktzutritt ausländischer Anbieter (also: Entwurfs- und Planproduzenten) sowie einem vom freien Preiswettbewerb befeuerten Wirtschaftswachstum im Weg. Zumindest in der Theorie.

Es ist eine Art Buchpreisbindung

Die deutsche Honorarkultur für Architekten und Ingenieure - eine Art Buchpreisbindung am Bau, ein Schutzgehege der Vergleichbarkeit, aber auch der Qualitätsstandards - ärgert Brüssel schon lange. Der Hinweis, dass die Mindestsätze auch kausal mit der Baukultur und insofern auch mit Verbraucherschutz einhergehen, trifft auf jene ansonsten tauben Ohren, in denen der Begriff "Wettbewerb" so dermaßen hysterisch vor sich hin klingelt, als habe es die vom neoliberalen Delirium verursachten Desaster der letzten Jahre und Jahrzehnte nie gegeben.

Außerdem ist es umgekehrt: "Der Erhalt des verbindlichen Preisrechts für Architekten- und Ingenieurleistungen in Deutschland ist die Voraussetzung für einen fairen Leistungswettbewerb. Architektenleistungen (...) dürfen nicht zu Dumpingpreisen angeboten werden." Das sagte die ehemalige Bauministerin Barbara Hendricks, bevor ihr Amt zum seltsamen Heimatministerium degenerierte. Ganz so, als hätten Dumpingpreise und die Discountpraxis der Billigkeit (nicht immer zu unterscheiden von der Schäbigkeit), die stets den Preis, doch selten den Wert in den Blick nimmt, nicht schon längst ein Defizit an architektonischer und stadträumlicher Heimat zu verantworten.

Wenn es stimmt, dass Architektur als "Produktionsversuch menschlicher Heimat" zu gelten hat (wie Ernst Bloch es formulierte), dann wäre ein Urteil gegen die Mindestsätze für planerische Umsicht als Voraussetzung solcher Produktion ein Fanal für die endgültige Aufgabe baukultureller Ambition. Das Recht Europas, das auf billigere Preise zielt, nimmt dann ein Planen und Bauen in Kauf, dessen Billigkeit mit Banalität und dessen Freiheit mit Formlosigkeit erkauft werden.

Als Europa die deutsche Honorarordnung und speziell die Idee einer nach Möglichkeit auskömmlichen und rechtssicheren Planungskultur unter Beschuss nahm, vor vier Jahren also, da jubelte vor allem die Immobilienbranche. Auf einem ihrer Portale heißt es auch heute: "Fällt das bestehende System der Mindesthonorare weg, können Bauherren mit Architekten und Ingenieuren die Preise frei verhandeln (...) Wie stark Bauherren von einem freien Aushandeln der Preise profitieren können, hängt allerdings sehr von Angebot und Nachfrage ab. Wer einen bestimmten und sehr nachgefragten Architekten beauftragen möchte, wird kaum die Honorare runterhandeln können (...) Stararchitekten können auch deutlich höhere Honorare durchsetzen. Unter Druck kommen werden allerdings Preise in Regionen mit relativ vielen Architekten im Verhältnis zur Auftragslage." Das Portal rät: "Bauherren sollten abwarten, wie die EU-Forderung in Deutschland ausgeht."

Was Europa fördert: das Elend der Stararchitektur und die Banalität des Alltags

Um gleich danach was zu tun? Um den Libeskinds und Gehrys dieser Welt, die sich nie mit der HOAI abmühen mussten, noch mehr Geld für ihre in aller Welt abgeworfene Label-Architektur rüberzuschieben? Während der normal, also im Vergleich schon jetzt eher unterdurchschnittlich verdienende Architekt der Kita dezent auf die Niedrigstsätze der Billigkonkurrenz hingewiesen wird? Genau das ist die Folge des europäischen Liberalisierungswahns am Bau, der unabhängig von der anstehenden EuGH-Entscheidung auch in Zukunft das Bauen "befreien" will: eine Dumpingsubkultur des Grauens einerseits und sogenannte Stararchitektur andererseits. So entsteht das genaue Gegenteil einer Baukultur, die überall jedermann betrifft.

Deutschland ist ein Land mit vergleichsweise vielen und vergleichsweise kleinen, regional tätigen Büros. Im Idealfall wird eine Alltagsarbeit so intensiv betreut wie eine vermeintliche Architekturikone. Das ist ein System jenseits der Stararchitektur, die für Qualität dort sorgen kann, wo sich die Höhe der Baukultur real statt medial entscheidet: im Alltag. Schon heute ist es so, dass kaum je ein Architekt ein Einfamilienhaus plant, weil der planerische Aufwand ökonomisch auch nach HOAI-Begriffen kaum darstellbar ist. Das Wenige im Preiswettbewerb ganz aufzugeben: Das zeugt mit Blick auf die uns umgebenden, zumeist schon jetzt eher mangelhaften Räume von suspekter Gleichgültigkeit.

In einer Welt, deren Räume immer schäbiger und banaler, weil billiger und planloser werden, ausgerechnet am Plan sparen zu wollen: Das kann eigentlich nur Heuschreckenhirnen einfallen. Das "Bestreben nach Glückseligkeit" ist in der Unabhängigkeitserklärung verbürgt. Zu diesem Glück gehört auch der Zusammenhang vom Erbautsein und dem Bauen. Dazu braucht man nicht billigere, sondern bessere Pläne.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: