Architektur:Die Freiheitsstatue Deutschlands

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Hamburg feiert mit der Elbphilharmonie seine neue Kathedrale der Musik. Viele Menschen sehen in ihr schon jetzt wesentlich mehr: ein neues Tor zu einer Welt, die gerade eine andere wird.

Kommentar von Andrian Kreye

Wahrzeichen kann man nicht einfach so bestellen. Das ist ähnlich wie bei Bestsellern, Hits und Blockbusterfilmen. Kultur bleibt unberechenbar. Zwischen Idee und Wirklichkeit vergehen oft Jahre, und man kann nie abschätzen, wie große und größere Öffentlichkeiten dann gerade so gelaunt sind, was ihnen nahe und was ihnen so gar nicht ans Herz geht.

Man kann es natürlich darauf anlegen. Hamburg hat das mit der Elbphilharmonie getan, die an diesem Mittwoch eröffnet wird. Das ist recht gut gelungen. Jedenfalls freuen sich weiteste Teile Deutschlands darüber, dass nun an der Elbe ein Prachtbau steht, der sich wunderbar mit Symbolik aufladen lässt. Dass die Bauphasen mal ähnlich verliefen wie am Berliner Flughafen, daran denkt man in der ganzen Glückseligkeit nicht, aber das wäre momentan auch wirklich der falsche Zeitpunkt. Weil so ein positives Signal für ein wenig Ewigkeit jetzt gerade mal wirklich sehr willkommen ist und deswegen unbezahlbar. Bei den ganzen Kathedralen, die in Europa bisher die Wahrzeichenszene dominierten, hat ja damals auch keiner gefragt, was das kostet.

Ein Tor zur Welt, das sich gerade umkehrt

Womit man schon bei der Symbolik wäre, die man jetzt von allen Seiten in die kristallinen Glaswellen einspeisen kann, die hoch über dem Hafen und der Stadt in diesen (hoffentlich) herrlich eisblauen Himmel ragen. Man kann das zunächst einmal städtebaulich und historisch betrachten. Immerhin steht die Elbphilharmonie an einem Tor zur Welt, das sich gerade umkehrt. Auf der Atlantikroute war Hamburg bisher der deutsche Beginn des Weges in die neue Welt, von der man gerade befürchtet, dass sie eine sehr unangenehme werden könnte. So viel also schon mal zum Befinden der größeren Öffentlichkeit.

Man konnte natürlich nicht ahnen, dass die Eröffnung der Elbphilharmonie in eine Zeit fällt, in der nach dem Gefühl sehr vieler Menschen auf diesem Planeten in der darauffolgenden Woche mit der Amtseinweihung von Donald Trump ein neues Zeitalter beginnt, dem bisher auch mit allerbestem Willen noch nichts Gutes abzugewinnen ist. Am anderen Ende der Atlantikroute muss das bisherige Wahrzeichen der freien Welt, die Freiheitsstatue, in diesen Tagen zum Beispiel vor allem als Vorlage für flaue Karikaturen herhalten, auf denen Donald Trump "Lady Liberty" rüde unter die Toga greift.

Dreht sich die Atlantikroute jetzt also erst einmal rum? Glaubt man den internationalen Meinungsforen, dann ist Deutschland gerade das eigentliche Zentrum der freien, liberalen, wenn nicht gar progressiven Welt. Das wäre allerdings ein arger Symbolstresstest für ein Gebäude, das doch nur das Stadtbild und -leben von Hamburg bestimmen will. Es ist in Deutschland außerhalb von Frankfurt ja auch gar nicht so schwer, eine deutliche Spur im Stadtbild zu hinterlassen, weil es keine Skylines gibt. Muss es also gleich der liberale Weltgeist sein?

Wie ein Surfer auf der Glaswelle gleitet man nun ins Land hinein

Es ist aber nun mal so, dass auf den Atlantikrouten nach Mitteleuropa zu Luft und Wasser die erste Stadt von Bedeutung Hamburg ist. Und die Geste, mit der das Architekturbüro Herzog & de Meuron das Gebäude ans Ufer gestellt haben, sieht von Land aus zwar sehr aufstrebend aus, so wie man das vom Optimismus einer Kaufmannsstadt erwartet. Vom Wasser aus gleitet man aber wie ein Surfer auf der Glaswelle ins Land hinein, das gerade für viele Menschen ein Sehnsuchtsort ist. Ganz große Willkommenskultur ist das, sehr jugendlich, hip und lebensfroh, mit dem Schub des ganzen Ozeans dahinter.

Die eigentliche Symbolkraft liegt aber nicht in der Skylinegeste. Sie wurzelt in der Entscheidung, nicht das einst geplante Bauträgerprojekt im Monsterformat am schönsten Eck der Stadt zu bauen, sondern ein Zentrum für Musik. Keine andere Kunst hat die Transzendenz der Kirchen so vollkommen in die säkulare Welt übernommen. Und mit dem Hamburger Michel wird der Bau ja auch eine Kirche als Wahrzeichen ablösen.

Im Nachkriegsdeutschland war Kultur noch so etwas wie die geistige Notwehr gegen eine finstere Vergangenheit und eine trübe Gegenwart. Das hat sich geändert. Heute ist sie eher die Vergewisserung, dass die Zeiten besser sind. Und das kathartische Gefühl des Erhebenden findet sich längst nicht mehr nur in Symphonien, sondern auch in der neuen Musik Wolfgang Rihms, in den Improvisationen des Jazzpianisten Brad Mehldau, in den Klangwalzen der Einstürzenden Neubauten und im Countryrock der Lam bchops, die allesamt in den ersten Wochen zu hören sein werden. Wenn die Elbphilharmonie also ein weit offenes Tor zu Mitteleuropa sein soll, dann ist das wirklich gelungen. Auch wenn jetzt erst einmal alles ausverkauft ist.

© SZ vom 11.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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