Jugendroman:Heldentour

Jugendroman: Antonia Michaelis: Tankstellenchips. Oetinger Verlag, Hamburg 2018. 360 Seiten, 18 Euro.

Antonia Michaelis: Tankstellenchips. Oetinger Verlag, Hamburg 2018. 360 Seiten, 18 Euro.

Ein junger iranischer Flüchtling auf Irrfahrt in Deutschland. Wie der reine Tor, begleitet von einem cleveren Jungen, erlebt er Land und Leute in Slapstick-Szenen nach dem Motto: Es ist immer besser, über die schlimmen Dinge zu lachen.

Von Roswitha Budeus-Budde

Bis jetzt kannte er Deutschland nur aus dem Flüchtlingsheim, der 18-jährige Shayan aus Iran, seiner Heimat, mit der er in seinen Erinnerungen noch so sehr verbunden ist. In seinen Träumen sitzen die Eltern und die Verwandtschaft in Teheran auf dem Sofa und erleben im Fernsehen den Film, den er gerade im Kopf dreht. Der Vater wird endlich stolz auf ihn sein und in ihm nicht mehr den Vagabunden und Herumtreiber sehen: "Den Typen, der Kameraeinstellungen erfindet, weil er gerne ein Held wäre." Und er wird eine wahre Heldentour erleben, nicht nur im Kopf - Antonia Michaelis schickt ihn in ihrem neuen Roman "Tankstellenchips" auf ein Roadmovie durch Deutschland, in ein ihm völlig rätselhaftes, unverständlich fremdes Land.

Sein Begleiter und Retter auf diesem Trip zu Pferd, Eisenbahn, mit Moped, Auto, Schiff und zu Fuß wird Davy, ein kleiner, pfiffiger Junge mit Lebenserfahrung, der ihm trotz seiner Sprachbehinderung oft aus brenzligen Situationen hilft. Wie gleich am Anfang der Geschichte, als beide zufällig Augenzeugen eines Verbrechens werden und Davy ihm deutlich macht, dass er fliehen muss, da er als Asylant sofort der Tat verdächtigt würde. Gejagt von der Polizei, den Verbrechern, und dem Jugendamt, verirrt sich Shayan alias Sean schon auf dem Weg nach Köln, wo er auf die Hilfe eines Anwalts vor der drohenden Ausweisung hofft.

Wird es eine tragische Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation junger Flüchtlinge? Die Autorin wählt einen anderen Weg der Kritik, bringt Ironie und Komik ins Spiel, und schickt den jungen Iraner nach dem Motto "Es ist immer besser, über die schlimmen Dinge zu lachen", als reinen Tor, ohne irgendwelche Sprachkenntnisse von einer Slapstick - Szene in die andere. Ob verfolgt von wilden Kuhherden oder alternativ lebenden Frauen, als Aushilfe in einem Szene-Café in Kreuzberg - bis die Espressomaschine explodiert - oder als Fremdenführer im Gewande König Ludwigs II. auf Schloss Hohenschwangau. Und dazu die seltsamen Begegnungen mit einer jungen Frau, die, nicht nur aus Liebe, immer wieder auftaucht und ihn auf seinem Trip begleitet. Szene auf Szene folgen in einem atemberaubenden Tempo.

Angetrieben durch die Lust der Autorin an der Provokation, mäandert die Handlung so durch Deutschlands bekannteste Touristenattraktionen, karikiert Land und Leute und droht manchmal bei diesem sprachlichen Parforceritt abzustürzen, wie der Held bei seinem ersten Paraglidingflug. Aber die Geschichte behält ihre Bodenhaftung, weil das Bedrohliche der Situation, als Flüchtling ohne Asyl abgeschoben zu werden - und in Teheran sofort ins Gefängnis zu kommen -, auch in den skurrilsten Szenen im Bewusstsein bleibt. Und so endet alles mit einem Happy End, das, aus Verzweiflung geboren, gar nicht schöner ausfallen kann. (ab 13 und junge Erwachsene)

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: