Ai Weiwei über China:Einer muss das letzte Wort haben

Seit er aus der Haft entlassen wurde, steht der chinesische Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei unter Beobachtung. Politisch äußern darf er sich nicht - was ihn nicht aber davon abhält: Er twittert, protestiert, spricht mit ausländischen Journalisten und verfasst ein Essay über den Moloch Peking. Denn er kann und will nicht tun, was ihm alle raten.

Kia Vahland

Der chinesische Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei steht unter Beobachtung, seit er am 22. Juni nach 81 Tagen aus seiner Sechs-Quadratmeter-Zelle entlassen wurde. Er darf vorerst ein Jahr lang nicht mit ausländischen Journalisten über seine Haft reden, darf sich nicht politisch äußern oder Peking verlassen. Und was tut er? Erst erzählt er der regierungstreuen Global Times, er werde "niemals aufhören, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen". Dann protestiert er via Twitter gegen die Misshandlung seiner Freunde und anderer politischer Gefangener. Und jetzt erscheint im Newsweek Magazine ein Essay von Ai Weiwei über den Moloch Peking, das Auseinanderdriften der chinesischen Gesellschaft und sein Gefühl der Verlassenheit während der von keinem Gericht genehmigten Untersuchungshaft.

Ai Weiwei

Ai Weiwei fotografiert auf einer Pressekonferenz in München die Fotografen (Archivbild von 2009): Nun hat er wieder ein Essay veröffentlicht - obwohl ihm das strikt untersagt wurde. 

(Foto: dpa)

Warum macht er das? Kann er nicht seine Klappe halten und tun, was alle ihm raten: "Versuche, das Land zu verlassen, oder warte, bis deine Gegner tot sind"? Das, meint Ai, wollten ihm jene Pekinger Passanten sagen, die ihm im Park nur kurz auf die Schulter klopfen und dann wortlos verschwinden.

Nun hat er tatsächlich eine Professur an der Berliner Universität der Künste zugesagt, die er aber ohne Reisepass nicht annehmen kann. Doch er dachte wohl nie daran, Atelier und Wohnsitz in Peking aufzugeben. Zu sehr braucht seine Kunst zweierlei: die Freiheit der Rede und die chinesische Kultur. Leider ist beides zugleich im heutigen China kaum zu haben, und so kommt es zum Konflikt.

Es ist ein Konflikt zwischen zwei gegensätzlichen Auffassungen vom Verhältnis des Individuums zur Masse. Kürzlich warf Chinas stellvertretende Außenministerin Fu Ying dem Spiegel und damit der westlichen Öffentlichkeit vor: "Für Sie existieren Menschenrechte nur im Zusammenhang mit Einzelpersonen, die staatszerrüttend wirken oder Gesetze brechen." Der Regierung des Landes ginge es aber um 1,3 Milliarden Bürger.

Ai Weiwei vertritt in seiner Kunst und seinen Schriften dagegen die altchinesische Idee einer Gemeinschaft vieler selbstgewisser Einzelner. Er kämpft vor allem für sein Recht auf Subjektivität, auf Ausdruck eigener Empfindungen und Gedanken. Mit diesem Selbstverständnis kann er nicht über Haftbedingungen schweigen, die darauf zielen, den Menschen zu einem dressierten Tier zu machen, das sich ohne Sondererlaubnis des Wärters nicht einmal am Kopf kratzen darf.

Von der "totalen Isolation" und der Angst des Ausgelieferten zu berichten, erst den Freunden, jetzt den Newsweek-Lesern, ist Ai offenbar weniger moralische Pflicht als innere Notwendigkeit. Wie nach einer Geiselhaft kann nur überleben, wer es schafft, sich selbst wieder zum Autor seines Lebens zu machen, was auch heißt: gegenüber den Peinigern das letzte Wort zu haben.

So gesehen handelt es sich bei Ais Newsweek-Essay nicht um eine Provokation und Machtdemonstration, sondern um einen Versuch der Selbstrettung. Seine Klage über Peking ist eine Klage gegen eine kalte Gesellschaft: In illegalen Provisorien ohne Strom hausten "Sklaven", die als Wanderarbeiter Brücken und Häuser bauen und denen, wenn sie im Krankenhaus ihre Rechnung nicht bezahlen könnten, die Nähte wieder aus den Wunden gerissen würden. Diese Menschen existierten nicht in der Wahrnehmung der anderen, die in Anzügen ihren Geschäften nachgingen und Ausländern stolz das Olympiastadion zeigten.

Ai, der einst selbst an den Stadionentwürfen von Herzog & de Meuron beteiligt war, identifiziert sich nun mit der großen Gruppe der Übersehenen. Die Stadt, einst Spielplatz seiner ästhetischen und urbanen Experimente, gerät dem Künstler jetzt zu einer besonders brutalen Variante von Kafkas Schloss: Die "mentale Struktur" Pekings ziele auf Ausschluss, Ignoranz und institutionelle Gewalt gegenüber denen, die nicht dazugehören sollen. Der einstige Utopist und erfolgreiche Architekt resümiert: "Leider muss ich sagen, ich habe keinen Lieblingsort in Peking. Es zieht mich nirgendwo hin in dieser Stadt. (...) Peking ist ein Alptraum. Ein nicht enden wollender Alptraum."

Hier ist sie wieder, die Einzelperson Ai Weiwei, die mit vollem Recht von sich auf andere schließt. Ein Individuum, das die Technokratie durch Empathie besiegen will. Ein Gefangener, auf den in Haft in 52 Verhören mehr als 30 Beamten angesetzt werden mussten, weil der Delinquent sich ständig mit ihnen verbündete und den meisten so sympathisch war, dass sie längst nicht so hart durchgriffen wie üblich. Möglicherweise hat Ais Dialogfähigkeit, von der auch seine Kunst lebt, ihn davor bewahrt, auf seiner Metallpritsche angekettet zu werden. Es heißt, sogar die (immer noch enorme) Strafzahlung wegen angeblicher Steuerhinterziehung sei gesenkt worden, weil Ai Mitleid mit seiner Mutter zu erregen vermochte, deren Haus man doch nicht pfänden könne.

Dieser Drang zum Gespräch und Selbstausdruck könnte ihm nun wieder gefährlich werden. Vielleicht setzt sich aber auch die Erkenntnis durch, dass man 1,3 Milliarden Menschen sowieso nicht dauerhaft am Reden hindern kann.

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