13. goEast-Festival in Wiesbaden:In gleicheren Welten

13. goEast-Festival in Wiesbaden: Europa wächst zusammen: Die Deutsche (Franziska Petri, rechts) und der Mazedonier (Dejan Lilic) in dem ansonsten sehr russischen Drama "Verrat".

Europa wächst zusammen: Die Deutsche (Franziska Petri, rechts) und der Mazedonier (Dejan Lilic) in dem ansonsten sehr russischen Drama "Verrat".

(Foto: Festival)

Der Osten ihres Kontinents ist vielen Westeuropäern noch immer fremd. Auf dem goEast-Filmfestival in Wiesbaden war allerdings zu spüren, dass sich die Gefühle und Wahrnehmungen der Menschen in Ost und West angleichen. Denn wenn eine deutsche Schauspielerin Moskau als wunderbaren Drehort entdeckt, dann kann der Osten gar nicht mehr so weit weg sein.

Von Paul Katzenberger, Wiesbaden

Wo hört der Westen auf, wo fängt der Osten an? Wer sollte eine Antwort auf die Frage geben können, wenn nicht eine Filmschau wie das goEast-Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden. Doch bei seiner 13. Ausgabe, die am Dienstagabend endete, verweigerte goEast eine genaue Verortung der Grenzen zwischen Ost und West, vielmehr zeigte das Festival auf, wie nah sich die Halbkontinente in thematischer wie auch in ganz persönlicher Hinsicht inzwischen gekommen sind.

Den alten, grauen und autokratischen Osten, der im Westen noch immer viel zu oft mit der ganzen Region des früheren Ostblocks gleichgesetzt wird, gibt es zwar noch. Allerdings ist er inzwischen für die allermeisten Menschen vor Ort kaum weniger exotisch als für die Westeuropäer.

Der tschechische Filmemacher Lukás Kokes war beispielsweise so sehr von einem Staat fasziniert, den es eigentlich gar nicht gibt, dass er beschloss, gemeinsam mit seiner Kollegin Klara Tasovská die Doku "Pevnost - Festung" über dieses Land "Transnistrische Moldauische Republik" zu drehen, das von der Weltgemeinschaft nicht als Staat anerkannt wird. Heraus kam dabei ein faszinierendes Dokument über eines der letzten Gebiete in Europa, in dem noch die politische Kultur der untergegangenen Sowjetunion herrscht.

Die Propaganda, die von der Regierung in Tiraspol über das staatliche Fernsehen verbreitet wird, wirkt in Kokes' Film wie Realsatire. "Ich konnte es selbst kaum glauben, doch es ist wirklich so", beteuerte der Filmemacher in Wiesbaden, und wirkte dabei sehr jung. So jung nämlich, dass er die staatliche Propaganda, die es in seinem Heimatland schon zu seinen Lebzeiten gab, ganz offensichtlich nicht mehr selbst bewusst miterlebt hat.

Und so stand Kokes exemplarisch für die zentrale Botschaft dieses Wiesbadener Festivals. Sie lautete zuallererst: Die Gefühle und Wahrnehmungen der Menschen in Ost- und Westeuropa gleichen sich an.

Russischer als manch echte Russin

Die deutsche Schauspielerin Franziska Petri verkörperte in dem russisschen Wettbewerbsfilm "Izmena - Verrat" von Kirill Serebrennikov beispielsweise überzeugend eine Ärztin, die von ihrem Ehemann betrogen wird und diesen ebenfalls betrügt.

13. goEast-Festival in Wiesbaden: Franziska Petri in Wiesbaden. Im Jahr 2007 war die Schauspielerin als Jurorin bei goEast auf Regisseur Kirill Serebrennikov aufmerksam geworden. Nun hat sich mit ihm zusammengearbeitet.

Franziska Petri in Wiesbaden. Im Jahr 2007 war die Schauspielerin als Jurorin bei goEast auf Regisseur Kirill Serebrennikov aufmerksam geworden. Nun hat sich mit ihm zusammengearbeitet.

(Foto: Paul Katzenberger)

Petri fügte sich dabei so mühelos in Serebrennikovs Sittengemälde des reicher - aber gleichzeitig eisiger - werdenden Russlands ein, dass sie den großen alten Menschheitsthemen Verrat, Sex und Schuld eine sehr russische Note gab.

Bei den Festivals in Tallinn und Abu Dhabi bekam sie für diese Leistung bereits Auszeichnungen. In Wiesbaden wurde der Film von der Jury unter dem ungarischen Regisseur Bence Fliegauf (Silberner Bär bei der Berlinale 2012) lobend erwähnt, obwohl die vielen unmotivierten Volten und Rankünen in "Verrat" teilweise zu wenig erklärt werden und damit bedeutungslos im Raum stehen bleiben.

Einen Film über die weibliche Homosexualität hatte die kroatische Regisseurin Dana Budisavljevic mitgebracht. Auch dieses Thema scheint in Ost und West derzeit länderübergreifend allgegenwärtig zu sein - im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale tauchte das Motiv gleich dreimal auf: in "Side Effects" von Steven Soderbergh (mit Rooney Mara und Catherine Zeta-Jones als Liebespaar), dem kanadischen Frauen-Drama "Vic+Flo haben einen Bären gesehen" von Denis Côté sowie in der französischen Historienverfilmung "Die Nonne" von Regisseur Guillaume Nicloux.

Öffentliche Aufarbeitung von Familienproblemen

In dessen Film erweiterte Isabelle Huppert durch die Darstellung einer lesbischen Kloster-Oberin im 18. Jahrhundert ihr Repertoire um eine prägnante Rolle, doch in der Doku "Nije ti zivot pjesma havaja - Family Meals" beweist Budisavljevic noch größeren persönlichen Mut. Denn in dem überaus engagierten und aufrichtigen Film behandelt sie ihre eigene Homosexualität, mit der sie sich als junge Frau von ihrer Familie zu wenig angenommen fühlte.

Die weibliche Perspektive

13. goEast-Festival in Wiesbaden: Gemeinsames Essen als Therapieform: Dana Budisavljevic (rechts) mit ihrem Vater.

Gemeinsames Essen als Therapieform: Dana Budisavljevic (rechts) mit ihrem Vater.

(Foto: Festival)

Wie sie gemeinsam mit Bruder, Mutter und Vater diesen schwierigen Teil ihrer Biographie vor der Kamera aufarbeitet, war einer jener Momente bei goEast 2013, die beim Zuschauer großen Respekt hervorrufen. Zu Recht hat der Film in Kroatien inzwischen so viel Aufmerksamkeit bekommen, dass sein Originaltitel "Das Leben ist kein hawaiianisches Lied" (was so viel heißt wie: "Das Leben ist kein Wunschkonzert") zum geflügelten Wort wurde.

Die Frauenrechte sind im deutschen Politikbetrieb gerade eines der am intensivsten diskutierten Themen, und insofern passte es ins Bild, dass auch der georgische Wettbewerbsbeitrag "Grzeli Nateli Dgeebi - In Bloom" aus weiblicher Perspektive erzählt wird. Das Drama des Regisseur-Duos Nana Ekvtimishvili und Simon Groß erzählt die Geschichte der beiden Teenagerinnen Eka (Lika Babluani) und Natia (Miriam Bokeria) in den chaotischen Zeiten der frühen Neunzigerjahre, als die Sowjetunion auseinanderbrach, und Georgien in den Abchasienkrieg verwickelt wurde.

Coming-of-Age-Geschichten, die sich vor einem außergewöhnlichen kulturellen und politischen Hintergrund abspielen, sind eines der am meisten bemühten Genres des Arthouse-Kinos, doch "In Bloom" setzt genug eigene Akzente, um sich abzuheben. Im Kern geht es in dem episodenhaft erzählten Film um ein wichtiges Thema: die männliche Gewalt im Alltag und auf der großen Bühne der Politik - auch das ein allernorts omnipräsentes Thema.

Für die Jury war die künstlerische Umsetzung so gut, dass sie "In Bloom" den Hauptpreis des Festivals, den mit 10.000 Euro dotierten Skoda-Filmpreis, zusprach. "Eine Coming-of-Age-Geschichte mit hervorragenden Gestaltungsmitteln und einer erstaunlichen Besetzung", begründete die Jury ihre Entscheidung.

Bei so viel gegenseitiger Anpassung der Stoffe zwischen Ost und West verwunderte es fast, dass Srdan Golubovic sein Drama "Krugovi - Kreise" vor dem Hintergrund des Jugoslawien-Krieges erzählt. Denn die folgenschwere Geschichte vom Tod des serbischen Soldaten Marko, der 1993 auf Heimaturlaub von seinen serbischen Kameraden zu Tode malträtiert wird, weil er sich vor einen bosnischen Kioskverkäufer stellt, bedürfte keines Krieges, um glaubwürdig zu sein.

Der Fall des Dominik Brunner, der im September 2009 an einer Münchner S-Bahn-Station von Jugendlichen zu Tode geprügelt wurde, belegt vielmehr, dass Zivilcourage auch mitten in der vermeintlich heilen westlichen Welt tödlich sein kann.

13. goEast-Festival in Wiesbaden: Zivilcourage kann tödlich enden: Szene aus Srdan Golubovics Film "Kreise".

Zivilcourage kann tödlich enden: Szene aus Srdan Golubovics Film "Kreise".

(Foto: Festival)

Plädoyer für die Aussöhnung

Markos gewaltsamer Tod ist für Golubovic der Ausgangs- und Endpunkt einer Geschichte, die viel weiter reicht als ein Kriegsdrama. Die in zwei Zeit- und drei Ortsebenen intelligent verschachtelte Trilogie um Schuld und Vergebung, Verantwortung und Gerechtigkeit ist vielmehr ein Plädoyer für die Aussöhnung mit den schlimmsten Dämonen der Vergangenheit.

"Ich wollte einen optimistischen Film machen", sagte Golubovic in Wiesbaden. Trotz der Schwere, die der großartigen - auf einer wahren Begebenheit beruhenden - Erzählung ebenfalls anhaftete, gestand man ihm gerne zu, dass ihm dies gelungen ist - der Preis der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Beste Regie (7500 Euro) war der Lohn.

Wie die kürzliche Diskussionen in Polen und Deutschland um den ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" demonstriert hat, teilen die Menschen im Osten und Westen Europas noch viele solcher Geister der Vergangenheit. Immerhin können sie sich an Orten wie Wiesbaden gemeinsam mit diesen auseinandersetzen.

Der Besuch des goEast-Festivals wurde teilweise vom Veranstalter unterstützt.

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