Magazin "dreizehn +13 Gedichte":Verse für alle

dreizehn plus 13 Gedichte

Beweis für die gegenwärtige Relevanz der Lyrik: das Magazin "dreizehn Gedichte".

(Foto: dreizehn+13)

Das Magazin "dreizehn +13 Gedichte" bringt die oft vernachlässigte Kunstform an den Kiosk.

Von Nils Minkmar

Viele Dinge, die einem in der Schule nahegebracht werden sollen, entfernen und entfremden uns stattdessen: Heute findet man in langen Wanderungen zu körperlich ertüchtigender, seelisch beruhigender Freude, aber die Wandertage mit der Klasse waren ein einziger Krampf. Heute widmen die Grünen ihren Wahlwerbespot einem Volkslied, aber in der Schule war deutsches Liedgut ein Fall, um konzentriert auf die Uhr zu schauen, damit der Grusel schneller ein Ende findet. Und genau so ist das mit der Lyrik, den Gedichten: Kaum lässt man die Schule hinter sich, werden die klassischen gelben Reclamhefte, die Lesebücher und Anthologien in Kisten verstaut, vergessen und irgendwann entsorgt.

Dass es dann alles wieder anders kommt, dass die Kultur wie ein Bumerang wirkt und irgendwann unerwartet zurückfliegt, darauf wettet nun eine neue Publikation, die in jedem gut sortierten Kiosk vorliegt. Der Hamburger Verleger Oliver Wurm, der schon mit einem Magazin zum Grundgesetz publizistische wie ökonomische Erfolge feiern konnte, setzt ganz auf deutsche Lyrik. Unter dem neusachlichen Titel "Dreizehn Gedichte" versammelt er 13 Klassiker und 13 Newcomer in einem Heft. Einen Anlass gibt es nicht, Wurm verweist eher auf eine gewisse Zeitstimmung, als er im Editorial Meghan und Harry, Gerhard Schröder und Amanda Gorman erwähnt, die alle zu einer gegenwärtigen Relevanz der Lyrik beitrügen. Dabei fällt die verblüffende Kompatibilität der Lyrik mit den digitalen Formaten in den sozialen Netzwerken auf. Mit wenigen Mitteln kann man die Interpretation selbst vornehmen, ohne sich im Deutschunterricht über Formen und Stile belehren lassen zu müssen. Und die 140-Zeichen-Beschränkung des ursprünglichen Twitterformats passt bestens zu den strengen Formen klassischer Verse.

Jeder findet mindestens eine bekannte Zeile und kann sie als Faden nutzen

Die Auswahl ist entschieden und populär zugleich, jede und jeder findet mindestens eine bekannte Zeile und kann sie als Faden nutzen, um sich zurechtzufinden. Die Genres sind gemischt. Von Goethe ist der "Zauberlehrling" dabei, von Schiller die "Hymne an die Freude" und von Hesse die "Stufen". Dahinter findet sich eine übersichtliche Interpretation und Einordnung, ganz unaufdringlich gehalten von Katharina Pütter. Und bei den dreizehn modernen Werken kann man sich dann völlig unbefangen inspirieren und überraschen lassen. So taugt das Heft zum idealen Begleiter für Bahnreisen in Streikzeiten oder für Reisen des Geistes aus der eigenen Küche, gleich morgens beim ersten Kaffee.

Magazin dreizehn +13

Rilkes "Herbsttag" im neuen Heft, mit übersichtlicher Interpretation dahinter.

(Foto: Dreizehn+13)

Damit verfolgt Wurm eine ähnliche Strategie wie der einstige Chefredakteur von Le Monde, Eric Fottorino, auf dem französischen Markt. In dessen Titeln Zadig und Légendes geht es um Zeitgeist, Geschichte und Kultur, um ein entsprechendes, durch ausgesuchte Illustrationen und Fotos gesteigertes ästhetisches Vergnügen. Man findet dort alles, aber nicht die in den anderen Magazinen üblichen ausgedruckten Internetberichte. Nun steht zu hoffen, dass die Dreizehn zur lyrischen Glückszahl für diese sympathische Unternehmung wird.

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