11. Biennale in Havanna:Ameisen wie wir

Die Öffnung Kubas ist seit 2011 ganz offiziell Parteilinie - und die dortigen Künstler nutzen die Freiheiten. Die 11. Biennale in Havanna zeigte den neuen Pluralismus und schickte sich an, die Individuen im Ameisenstaat zu entdecken.

Jonathan Fischer, Havanna

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Quelle: Jonathan Fischer

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Die Öffnung Kubas ist seit 2011 ganz offiziell Parteilinie - und die dortigen Künstler nutzen die Freiheiten. Die 11. Biennale in Havanna zeigte den neuen Pluralismus und schickte sich an, die Individuen im Ameisenstaat zu entdecken.

Als es Abend wurde auf dem Malecón, kamen wie immer die Liebespaare mit den Rumflaschen, die Musiker und die Kleinganoven, die Zigarren und Mädchen anboten, und alles war im Grunde wie immer in Havanna, nur dass man wegen der 11. Biennale noch schneller mit den Leuten ins Gespräch kam: Was zum Beispiel hatte dieser metallene Ohrenbaum mitten auf der Uferpromenade zu bedeuten? Große Ohrenpaare unten, immer kleinere Ohren je höher man blickt.

"No one listen" hat der Kubaner Alexandre Arrechea sein Werk genannt. Ein Symbol der Nord-Süd-Ungleichheit, erklärt ein älterer Mann, Ingenieur und KP-Mitglied. Die Entfremdung der bürokratischen Elite "da oben" vom Volk, sagt eine Kunststudentin. 

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Quelle: Jonathan Fischer

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Und Arrechea selbst? Der 42-jährige mit der Afrofrisur, sagt es gäbe keine offizielle politische Konnotation, aber er könne ja nicht verhindern, dass sich die Menschen so ihre Gedanken machen. "Das ist nicht nur ein kubanisches Problem: Die Menschen hören schlechter zu, je höher sie kommen".

Arrechea steht für eine ganze Generation kubanischer Künstler. Vor einigen Jahren ausgewandert nach Madrid. Ausstellungen in Paris, New York, Los Angeles. Und nun zurück in der alten Heimat, gelockt von der Öffnung der kubanischen Gesellschaft, die seit Anfang 2011 ganz offiziell Parteilinie ist.

Seitdem dürfen alle Kubaner Häuser und Autos verkaufen, Werkstätten, Salons und private Geschäfte eröffnen. 178 Berufe stehen ihnen nun - zeitgleich mit der Entlassung vieler Staatsangestellter - zur selbständigen Ausübung frei.

Die traurigen Auslagen der staatlichen Lebensmittelgeschäfte bekommen seitdem Konkurrenz auf den Bürgersteigen. Die weitreichendsten Freiheiten aber genießen die Künstler: Wie alle kubanischen Akademiker müssen sie nach einem kostenfreien Hochschulstudium zwei Jahre für den Staat arbeiten. Dann aber dürfen sie - mit Exportgenehmigung des Staates - nach Miami und Madrid verkaufen, oder gleich einen Zweitwohnsitz im Ausland anmelden und sich von westlichen Galerien vertreten lassen. "Der Staat", sagt Arrechea, "will den Konsens mit der intellektuellen Elite beibehalten."

11th Biennial of Havana

Quelle: dpa

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So gleichgeschaltet die kubanischen Medien immer noch wirken, die Biennale stieß ein Fenster auf in der bröckelnden autoritär-sozialistischen Fassade. Allein auf dem Malecón spielten Dutzende von Installationen und Skulpturen mit dem offiziellen Biennale-Thema: "Künstlerische Praxis und soziale Vorstellungen".

Eine Catch-All-Phrase für immer wiederkehrende Polaritäten: Dissidenz und Affirmation, Flucht und Zuflucht, Sehnsucht und Verlust. Es war eine Kunst, die nach den Vorgaben des Kurators Jorge Fernández Torres "die heiligen Stätten von Galerien und Museen verlässt, um auch Passanten ohne künstlerische Schulung anzusprechen".

Da schaukelten in den Uferwellen selbst gebastelte Flöße mit Blumen und Kerzen: Fluchtfahrzeuge oder Opfergaben der afrokubanischen Santería-Religion? Und da lockten Hängematten, die dann aber doch zu schmal waren, um sich daraufzulegen. Oder: Da gab ein Maschendraht zwischen Promenade und Meer die Umrisse eines Jumbojets frei. Ein Touristen-Bomber? Oder doch Sinnbild für die Sehnsucht nach Weltläufigkeit, Ausbruch aus der Isolation der Karibik-Insel?

Das Werk "Fly Away" des kubanischen Künstlers Arles del Rio auf dem Malecón in Havanna.

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Quelle: Jonathan Fischer

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Glenda León, eine junge kubanische Künstlerin mit Stiefvater aus den Vereinigten Staaten hatte das Schwimmbad einer verwitternden Hochhausanlage kurzum zum Wasserweg nach Amerika erklärt. An beiden Breitseiten hatte sie Plastikplanen mit vergrößerten Stadtplänen ausgelegt: Hier Havanna, dort Miami. Mittags rückten die ersten Kubaner mit Badehosen an, besetzten die Liegen an den Ufern, kraulten zu den Verwandten nach Miami und zurück.

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Quelle: AFP

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Arles del Río ließ ein Dutzend lederne Baseball-Fanghandschuhe auf bronzenen Armknochen gen Himmel ragen: "Hoping that things fall from the sky, or national sport". Die Knochen, erklärt der Künstler, markierten den Tod in dem Bemühen, auf etwas zu warten, das niemals kommt. In die selbe Kerbe schlug Wilfredo Prietos "Circo Triste": Zwischen dahinbröckelnden Villen im Stadtteil Vedado hatte er ein blaues Zirkuszelt mit Zuschauerbänken, Manege, Bandstand und Pferdestall aufgebaut.

Die Besucher irrten umher. Manche fragten nach einer Vorstellung. Doch - nach einer armseligen Premiere - blieben nur Fußabdrücke und Müll im Sägemehl. Ein leerer, dysfunktionaler Raum. Und die absichtsvolle Enttäuschung der Besucher.

Das Gemeinschaftsprojekt "Behind the Wall" auf der 11. Biennale in Havanna.

U.S. artist Miles MacGregor, 'Mac', works on his creation on a wall during the 11th Biennial contemporary art exhibition in Havana

Quelle: REUTERS

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Noch spielerischer inszenierte eine Künstlergruppe um Luis Gárciga und Yunior Aguiar die Wohlstandsträume ihrer Landsleute. Zu sehen war ein verlassener Esstisch: Während mehrerer Monate täglichem Lotteriespiel (auch in Kuba gibt es ein geduldetes Zahlenlotto!) notierten alle Künstler ihre Nummern auf der Tischplatte, jeder Gewinner musste für alle anderen kochen und das schmutzige Geschirr anschließend auf seinem Platz stapeln.

Neben dem Tisch standen Türme unbenutzter Teller für all die Nieten. Eine vielschichtige Metapher auf kapitalistische und sozialistische Ideen. Seine Landsleute, sagt Yunior Aguiar, würden solche Installationen immer auch als gesellschaftlichen Kommentar entziffern: "Hier gibt es kaum Möglichkeiten, dissidente Ideen offen zu äußern. So bleibt uns nur die Kunst. Wir Künstler müssen eine Verantwortung als gesellschaftliche Avantgarde übernehmen, agil bleiben, wo die Politik erstarrt".

In den neunziger Jahren, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, habe man von der Konstruktion des neuen Menschen, der neuen Gesellschaft geträumt. Inzwischen sei man vom Kollektiv ernüchtert. "Unser Enthusiasmus gilt heute eher individuellen Freiheiten".

Der US-Künstler Miles MacGregor, "Mac" arbeitet an einem Wandbild in Havanna

Actors perform during a project organized by Afro-Cuban artist Mendive ahead of the 11th Biennial contemporary art festival in Havana

Quelle: REUTERS

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Und doch blitzt das Ideal von der besseren Gesellschaft immer noch auf - nur nicht auf Parteilinie. Wenn man sah, mit welcher Begeisterung nach Yoruba-Art bemalte Freiwillige und Zuschauer einen Straßenumzug des 67-jährigen Künstler Manuel Mendive zu Ehren der afrikanischen Götter feierten, wundert es nicht, dass die KP ihren Mitgliedern seit 1994 auch offiziell ihre Hausaltäre erlaubt: Was man nicht ändern kann, muss man umarmen.

Actor wears a mask during a project organized by Afro-Cuban artist Mendive ahead of the upcoming 11th Biennial contemporary art festival in Havana

Quelle: REUTERS

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Und diese ideologieresistente Misch-Wütigkeit sickert immer weiter in die Gesellschaft ein. Immerhin durfte 2011 die erste Schwulenparade in Havanna stattfinden. Eine Installation Kchos auf der Festung La Cabana veranschaulichte den neuen Pluralismus: Durch eine Werkstatt, in der Drechselmaschinen, Sägespäne und halbfertige Ruderrohlinge herumstanden, als hätte der Künstler gerade noch gearbeitet, gelangte man zu einer haushohen Skulptur : Ein Floß aus lauter Rudern, die ineinander griffen, in verschiedene Richtungen ausluden - und doch mutete das geordnete Chaos durchaus tragfähig an.

Könnte so eine ideale Gesellschaft aussehen? Oder taugt die Ciudad Generosa, die "großzügige Stadt", ein von individueller bis spleeniger Architektur geprägtes Hüttendorf, das der Kunstprofessor René Francisco Rodríguez mit Studenten auf einer städtischen Brache erbaut hatte, als soziale Utopie?

Auf dem Rückweg über den Malecón holte einen die kubanische Realität ein: Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung stürzte eine Holz-Skulptur um, riss - umringt von fotografierenden Touristen die Bretter des "illegalen" Kunstwerks auseinander. Es war eine grob gezimmerte Replik der amerikanischen Freiheitsstatue. Darauf stand: Geschenk von Kuba an die Vereinigten Staaten.

Nach Yoruba-Art bemalter Teilnehmer des Straßenumzugs des Künstlers Manuel Mendive.

Biennale in Havanna

Quelle: Jonathan Fischer

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Auch wenn hier kein Graffiti ohne Genehmigung entsteht: Gerade die architektonischen Mikro-Eingriffe forderten in Havanna am meisten heraus. Unser Taxifahrer zeigte auf die Riesen-Ameisen, die an der Fassade des Teatro Fausto hochklettern: "Die Ameisen, das sind wir!"

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Quelle: Jonathan Fischer

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Später half er bei der Suche nach den "Hauswänden mit den alten Gesichtern" Das waren allerdings nicht die von Fidel Castro oder Che Guevara, sondern das "Wrinkles of the city"-Projekt des französischen Straßenkünstlers JR: Da blickten faltendurchzogene Charakterköpfe in monumentaler Größe von den bröckelnden Wänden. Gesichter anonymer Barriobewohner.

JR hatte ihre Schwarzweißporträts hochkopiert und umrankt von den Girlanden des Exilkubaners José Parla als Memento Mori in eine Stadtlandschaft gesetzt, die gerade mit Millionengeldern der Unesco frische Fassaden erhält.

Wandbild von JR in Havanna 

© Süddeutsche Zeitung vom 13.6.2012/Jonathan Fischer//pak/rus
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