100 Jahre Bauhaus:Haus für Marsbewohner

Was der Architekt Walter Gropius 1919 in Weimar mit seinem Manifest für besseres Bauen ins Leben gerufen hat, fasziniert viele Menschen mehr denn je.

Von Laura Weißmüller

Dass man bei dem Namen Bauhaus zuerst an eine deutsche Baumarktkette denkt statt an die Kunstschule, dürfte nach diesem Jahr kaum mehr möglich sein. Schon lange hat es kein Jubiläum mehr in Deutschland gegeben, das derartig intensiv gefeiert wurde wie der 100. Geburtstag dieser legendären Einrichtung. Von Amberg bis Weimar gab es in ganz Deutschland Dutzende Ausstellungen. Dazu erschienen allein in diesem Jahr mehr als hundert Bücher und Filme, es gab Vortragsreihen, Tanzaufführungen und sogar eine Fernsehserie darüber. Wer wollte, hätte wohl alle 365 Tage dieses Jahres im Zeichen des Bauhauses verbringen können.

Wie das Bauhaus 100 Jahre, nachdem es der Architekt Walter Gropius in Weimar am 12. April 1919 mit seinem Manifest ins Leben gerufen hat, bis heute fasziniert, zeigen auch die Besucherzahlen der beiden wichtigsten Ereignisse in diesem Jahr: die Eröffnungen der zwei neuen Bauhaus-Museen. In Weimar strömten allein 18 750 Menschen am Eröffnungswochenende im April ins neue Museum, in Dessau waren es im Herbst dann sogar 33 000 innerhalb des ersten Monats. Ursprünglich sollten drei Museen eröffnet werden, doch Berlin ist so im Verzug, dass just 2019 das Bauhaus-Archiv von Walter Gropius geschlossen bleiben und die Ausstellung in ein Ausweichquartier umziehen musste. Zumindest den Spatenstich fürs neue Museum, das 2022 eröffnen soll, konnte man feiern.

Dessau, Bauhausangehörige auf der Terrasse der Mensa / Foto

Gruppenfoto der Avantgarde: Bauhausangehörige um 1927 auf der Terrasse der Mensa, die sich in dem ikonischen Gebäude von Walter Gropius befindet.

(Foto: akg-images)

Also Weimar und Dessau, was chronologisch passt, denn in Weimar wurde das Bauhaus gegründet, nach Dessau zog es - verdrängt vom reaktionären Geist in Weimar und gelockt vom Silicon Valley der damaligen Zeit - im Jahr 1925. Und auch in puncto Spannungssteigerung wirkt es im Rückblick stimmig, obwohl das sicher keine Absicht war. Denn das Bauhaus-Museum in Weimar geriet eher enttäuschend. Just in der Stadt, wo Gropius zur Gestaltungsrevolution aufrief und junge Kreative aus ganz Europa ihm begeistert folgten, wurde das Bauhaus eingesargt. Das Museumsgebäude ist ein nahezu fensterloser Monolith, der sich von der Außenwelt abschirmt. Das Argument, nur so könne es sich gegen die Monumentalität des gegenüberliegenden Gauforums "selbstbewusst behaupten", überzeugte nicht, würde es doch bedeuten, die Spielregeln der NS-Architektur übernehmen zu müssen.

100 Jahre Bauhaus: Alma Buscher entwarf nicht nur farben- und formfrohe Spielsachen, wie das Schiff aus dem Jahr 1923, sondern auch Kindermöbel für das Haus "Am Horn".

Alma Buscher entwarf nicht nur farben- und formfrohe Spielsachen, wie das Schiff aus dem Jahr 1923, sondern auch Kindermöbel für das Haus "Am Horn".

(Foto: Alma Buscher (Siedhoff-Buscher)/Die Neue Sammlung - The Design Museum (A. Laurenzo))

Der karge Betonkasten wirkt eher wie der absolute Kontrast zu dem, was vor 100 Jahren hier stattgefunden haben muss. Erfahren kann man das heute besser in Georg Muches Entwurf des Hauses "Am Horn", einem Musterhaus des neuen Wohnens, in das die Bauhäusler für ihre erste große Ausstellung 1923 fieberhaft alles reinpackten, was ihnen zur Zukunft einfiel, und das zum Jubiläum saniert wurde. "Haus für Marsbewohner" nannten es die Weimarer, vermutlich dürften ihnen die Bauhäusler selbst oft wie Außerirdische vorgekommen sein. Allen voran Johannes Itten, am Bauhaus in den Anfangsjahren das "Rückgrat der Ausbildung", so die Wissenschaftlerin Magdalena Droste. Man kann sich Itten als charismatischen Guru mit düsterer Schlagseite vorstellen. Dass der Schweizer Maler nicht nur Fan von Darmreinigung war, sondern auch eingefleischter Rassist, kommt im neuen Museum in Weimar nicht vor. Wie so vieles, was es bräuchte, um dieses Schulexperiment, das einfach loslegte, bevor es wusste, was es da tat, zu verstehen.

original bauhaus

Das winzige Teekännchen entwarf eine der bekanntesten Bauhaus-Künstlerinnen, Marianne Brandt, im Jahr 1924. Die Berlinische Galerie zeigt diese in unterschiedlichen Ausführungen in ihrer großen Bauhaus-Ausstellung.

(Foto: Gunter Lepkowski/VG Bild-Kunst, Bonn 2019)

"Was bleibt?" heißt es in der Ausstellung, und man musste konstatieren: die Heroisierung des Immergleichen und als Link zur Gegenwart einige dürre Sätze und eine Videoinstallation. Das ist zu wenig, um das Bauhaus in Weimar wieder zum Leben zu erwecken.

Da war man froh über die Ausstellungen und Publikationen, die in diesem Jahr die noch immer großen Wissenslücken zum Bauhaus halfen zu schließen. Endlich erfuhr man mehr über die Rolle der Frauen, die nach Gropius' Versprechen, "keine Unterschiede zwischen dem schönen und dem starken Geschlecht" machen zu wollen, mit großen Erwartungen ans Bauhaus geströmt waren und dann doch schnell in die Webereiwerkstatt abgeschoben wurden. Trotzdem leisteten sie Erstaunliches, etwa Marianne Brandt mit ihrer berühmten Teekanne und Alma Buscher mit ihren fantasievollen Kindermöbeln und Spielsachen. Oder Anni Albers und Gunta Stölzl mit ihren faszinierenden Textilentwürfen. Auch Hannes Meyer, der zweite Bauhaus-Direktor, bekam im Jubiläumsjahr etwas von der Aufmerksamkeit, die er verdient.

Wer wollte, hätte wohl alle 365 Tage dieses Jahres im Zeichen des Bauhauses verbringen können

Sowieso hatte man ab der zweiten Hälfte des Jahres den Eindruck, das Bauhaus-Jubiläum nehme Fahrt auf. Denn nach dem verkitschten ARD-Film "Lotte am Bauhaus" konnte die Arte-Serie "Die Neue Zeit" mit August Diehl und Anna Maria Mühe begeistern. Dann begann in Berlin eine Schau, die den Fokus auf das künstlerische Experiment legte, und schließlich eröffnete das neue Bauhaus Museum Dessau, das sein Licht endlich auf die Schule selbst richtete und nicht nur auf die Meister. "Weg von der Ikonisierung", formulierte die Kuratorin Dorothée Brill das Motto, hin zum Unfertigen und zu Namen, die man nicht kannte. Hin auch zu der Auseinandersetzung zwischen Lehrern und Schülern. Just der Standort mitten in Dessau, über den im Vorfeld so erbittert gestritten wurde, verortet das Museum mit seinen Themen in der Gegenwart. Denn in der dunklen Glasfassade des lang gezogenen Baus spiegelt sich die Umgebung, etwa die Plattenbauten und das lieblose Shoppingcenter aus der Nachwendezeit. Das macht deutlich, mit welchem gebauten Elend das Bauhaus sich heute auseinandersetzen müsste, würde es die geniale Gedankenschmiede noch geben. Vielleicht würden seine Schüler ja experimentieren, wie sich die Sogkraft von Einkaufszentren bannen ließe, die heute so viele Innenstädte ausblutet. Oder wie Plattenbauten sinnvoll umgebaut werden könnten, statt einfach ihre Balkone bunt anzupinseln.

original bauhaus

Die große Unbekannte: Wer mit der Bühnenmaske von Oskar Schlemmer im Stahlrohrsessel von Marcel Breuer 1926 Platz nahm, weiß man bis heute nicht.

(Foto: Erich Consemüller, Bauhaus-Archiv Berlin /Stephan Consemüller)

Das Bauhaus existierte nie im luftleeren Raum, auch wenn im Jubiläumsjahr oft so getan wurde, als hätte die Menschheit da für kurze Zeit eine besondere Gattung Genies beehrt. Das Bauhaus hatte, ob in Weimar, in Dessau, wo zu Gropius' großartigem Schulbau im Jubiläum weitere sanierte Meisterhäuser dazugekommen sind, oder in Berlin, wo die Nationalsozialisten die Schule erst hin vertrieben und dann zur Schließung 1933 zwangen, mehr Bodenhaftung, als die Idealisierung des Immergleichen es zulässt.

Nachgedacht haben die Bauhäusler über ihre Gegenwart nämlich im Netzwerk von Gleichgesinnten, egal ob die in Frankfurt und Berlin oder in Moskau und Amsterdam saßen. Gerade darin zeigt sich auch die Relevanz vom Bauhaus 100 Jahre nach seiner Gründung: So wie wir visionäre Ideen brauchen, um die gewaltigen Probleme unserer Zeit zu lösen, wird das nur gelingen, wenn wir über die Grenzen hinweg zusammenarbeiten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: