10 Jahre Kulturstiftung des Bundes:Huldigung ans Partikulare

An diesem Wochenende feiert die Kulturstiftung des Bundes ihr zehnjähriges Bestehen und erinnert damit an einen alten Wunsch: Dass es eine zentrale Instanz in Deutschland geben sollte, die sich um die wichtigsten Elemente des kulturellen Erbes der Nation kümmert. Doch in einem Staat, in dem die Kulturhoheit der Länder gilt, ist das nahezu unmöglich.

Thomas Steinfeld

Wenn die Kulturstiftung des Bundes an diesem Freitag in Halle ihr zehnjähriges Bestehen feiert, mit einer Videobotschaft der Bundeskanzlerin, einer "poetischen Intervention" von Durs Grünbein und einem elektromechanischen Klangkunstwerk von Edgardo Rudnitzky, wird sich keiner mehr daran erinnern wollen, dass dieses Unternehmen aus einer Verlegenheit entstand.

Franckesche Stiftungen

Der Giebel des Haupteingangs zu den Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale: Der Standort passt zu dem Prinzip, das Partikulare zu huldigen.

(Foto: DPA-SZ)

Statt dessen sprechen Hortensia Völckers und Alexander Farenholtz, die Direktoren der Stiftung, in ihrer Einladung zu den Feierlichkeiten von der Kunst, die "unserem Denken Flügel verleiht", und vom Mut, "neue Wege auszuprobieren und Selbstverständlichkeiten aufs Spiel zu setzen".

So ähnlich werden auch die Gratulanten klingen. Gewiss, ein Geburtstag soll gefeiert werden. Und doch ist diese Verlegenheit und das, was daraus hervorging, eines der interessantesten Kapitel in der Geschichte öffentlich-rechtlicher Kulturförderung in Deutschland.

Denn hinter der Kulturstiftung des Bundes verbirgt sich ein viel älterer Wunsch: dass es so etwas wie eine deutsche Nationalstiftung geben sollte, eine zentrale Instanz, die sich um die wichtigsten Elemente des kulturellen Erbes, um die kulturellen und künstlerischen Einrichtungen, die für die gesamte Nation von Belang sind, und um die Bildung auf sehr hohem Niveau zu kümmern hätte.

In den späten sechziger Jahren schon war von einem solchen Vorhaben die Rede. Aber es wurde nichts daraus, was daran liegt, dass die Kultur und alles, was damit zusammenhängt, in der Bundesrepublik der Länderhoheit unterliegt - mit Ausnahme von einigen wenigen kulturellen Einrichtungen, die unmittelbar im nationalen Interesse liegen wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (eher mehr) oder die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (eher weniger).

So kommt es, dass die eigentliche deutsche Nationalstiftung (wenn man vom gleichnamigen, im Jahr 1993 auf Initiative von Helmut Schmidt gegründeten Honoratiorenverein absieht) heute die Kulturstiftung der Länder ist: Sie kümmert sich um die kulturellen Bestände, vor allem in den Künsten, und unterstützt deren Erhaltung wie Erweiterung.

Im wahrsten Sinne des Wortes föderal

Und das ist nicht nur aus bürokratischen Gründen so, der Kulturhoheit der Länder wegen. Vielmehr spiegelt sich in der Kulturstiftung der Länder auch die Realität eines Staates, der zwar eine Hauptstadt, aber weder ein ökonomisches noch ein kulturelles Zentrum besitzt und im wahrsten Sinne des Wortes föderal ist.

Was umgekehrt bedeutet, dass die Belange, um die sich eine Kulturstiftung des Bundes bemüht, aus praktischen wie aus logischen Gründen weder national (im repräsentativen Sinn) noch föderal sein können. Und das wiederum hat dazu geführt, dass die um das Jahr 2005 anvisierte Vereinigung der Kulturstiftungen von Bund und Ländern scheitern musste. Noch heute käme man nicht auf den Gedanken, das Nebeneinander der beiden Institutionen für glücklich zu halten.

Aus der Haltlosigkeit dieser Position hat die Kulturstiftung des Bundes - und vor allem Hortensia Völckers, die Künstlerische Direktorin - die einzig mögliche Konsequenz gezogen: Sie hat sie ins Offensive gewendet und das Arbeiten auf eigene Faust zum Prinzip erhoben.

Ein hohes Maß an Beliebigkeit

Sie hat den Grundsatz öffentlich-rechtlicher Förderung, die Freiheit der Kultur unbedingt zu achten und sich daher jeder inhaltlichen Bewertung zu enthalten, entschlossen aufgegeben und tritt selbst als Anbieter und Vermittler von Kultur auf. Die früh getroffene Entscheidung, mit der Kulturstiftung des Bundes nach Halle zu ziehen, in die ehemaligen Franckeschen Stiftungen, passt zu diesem Prinzip: Sie ist viel weniger eine Verbeugung vor dem deutschen Föderalismus als eine Huldigung ans Partikulare.

An die Stelle von abstrakter Förderung ist also nicht nur ein Mäzenatentum getreten, ein gleichsam vordemokratisches Förderungssystem, das sich zwar durch Fachjuroren absichert, aber die Willkür gar nicht vermeiden kann, sondern auch ein praktisches Engagement: Der Entscheidung, ob die Kulturstiftung des Bundes eine Ausstellung zur Geschichte der Wandmalerei in Bielefeld oder einen Austausch zwischen Jugendtheatern in Mannheim und in Alexandria fördern soll, ist schon deswegen ein hohes Maß an Partikularität, ja sogar an Beliebigkeit nicht auszutreiben.

Gewiss, die Spielpläne öffentlicher Theater, die Ausstellungsprogramme öffentlicher Museen, ja selbst die Besetzungen von Lehrstühlen staatlicher Universitäten mögen nicht weniger Subjektivität enthalten. Doch sind sie eben weder Kulturstiftungen, die für die Gesamtheit eines Staates zu stehen hätten, noch sind sie Förderer und Akteur zugleich. Und so frei sind demzufolge die Entscheidungen der Kulturstiftungen des Bundes, dass ein Kunstkritiker sie im Frühjahr, offenbar zum Vergnügen der Direktorin, zu Akten "von eigener kunsttheoretischer Schönheit" erklären konnte.

Nicht alle Projekte der Kulturstiftung des Bundes besitzen solchermaßen metaphysische Qualitäten. Sie fördert das Berliner "Theatertreffen" (wenngleich man sich fragen kann, ob es bei Bühnenproduktionen nicht einfacher ist, wenn das Publikum reist). Sie subventioniert den "Tanzplan" (also eine Kunstform, die tatsächlich unter großem Druck steht) und die "Documenta" (zweifellos eine Veranstaltung von Weltbedeutung). Doch ohne Namen und Titel nennen zu wollen: Es gibt Projekte der Stiftung, die dem höheren Blödsinn zumindest nahe kommen, und sie sind nicht einmal billig. Das aber ist wohl unvermeidlich.

Denn da die Kulturstiftung des Bundes national ist, ohne das Nationale definieren und als Maßstab setzen zu dürfen, musste etwas anderes an dessen Stelle treten: Dieses Andere ist die Innovation. Die Kategorie des "Neuen" ersetzt die allgemeine Verbindlichkeit, die das Nationale beanspruchen würde.

Mit dem Anspruch aber, "neue Wege auszuprobieren und Selbstverständlichkeiten aufs Spiel zu setzen" tritt die Kulturstiftung des Bundes unvermeidlich in Konkurrenz zu Hunderten von Kulturinstitutionen in der Bundesrepublik - ein Umstand, der sich leicht daran erkennen lässt, dass überall dieselben Prominenten und überall dieselben Versprechungen zirkulieren.

Doch agiert die Stiftung dabei unter verschärften Bedingungen: Sie darf nämlich nicht, aus Gründung der Satzung, in feste Strukturen investieren. Sie ist zur Avantgarde verpflichtet, sie soll nicht für den Bestand arbeiten - ja, sie darf sich, streng genommen, nicht einmal darum bemühen, dass das, was sie macht, in den Bestand eingeht.

Die etwa 38 Millionen Euro (das entspricht nicht einmal der Hälfte des Geldes, das die Bayerische Staatsoper ausgeben kann), die der Kulturstiftung jährlich zur Verfügung stehen, reichen unter solchen Voraussetzungen nicht nur für einen souveränen Auftritt unter den vielen deutschen Anbietern des "Neuen" in Kunst und Kultur aus. Sie ermöglichen auch eine publizistische Absicherung des eigenen Programms: Es gibt Ausgaben des kostenlos vertriebenen, halbjährlich erscheinenden "Magazins" der Kulturstiftung des Bundes, die einem idealen Feuilleton sehr nahe kommen.

In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erklärte Hortensia Völckers in diesem Frühjahr: "Wenn 250 Projekte eingereicht werden und wir 30 fördern, sind 220 Leute beleidigt, trotzdem sagen sich alle: Irgendwann brauche ich die Tante noch, also seien wir mal höflich." Der letzte Satz ist kokett und umschreibt doch sehr genau, welche praktische Bedeutung die Kulturstiftung des Bundes besitzt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: