50. Todestag Furtwänglers:Der Inbegriff des wahren Deutschland

Ein verstrickter Meister im Dienst am Erbe Beethovens? Der Dirigent und Komponist Wilhelm Furtwängler starb vor 50 Jahren. Michael H. Kater berichtet von dessen unwillig-folgsamem Pakt mit der Diktatur des Dritten Reiches.

Im Jahr 1933 war Berlin längst das musikalische Zentrum Deutschlands, zudem der Ort, wo die Weimarer Moderne ihre tiefsten Spuren hinterlassen hatte, seit dort progressive Dirigenten wie Otto Klemperer und Erich Kleiber wirkten. Diese Tradition erschlaffte in dem Maße, wie die Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme am 30. Januar ihren kunstpolitischen Einfluss durchsetzten. Das nationalsozialistische Musikverständnis war auf die deutsche Klassik, Romantik und Postromantik gerichtet; die seriellen Experimente eines Arnold Schönberg taten die Nazis in Acht und Bann. Von dem, was stilistisch dazwischen lag, indizierten sie vieles.

50. Todestag Furtwänglers: Jegliche Intoleranz der Nationalsozialisten lehnte er ab, namentlich ihre rassistische Politik.

Jegliche Intoleranz der Nationalsozialisten lehnte er ab, namentlich ihre rassistische Politik.

(Foto: Foto: dpa)

Dies kam Furtwängler einerseits entgegen, da sein persönlicher Kunstgeschmack durchaus konservativ war. Seine konservative Neigung zeigte sich in eigenen Kompositionen, aber auch darin, wie er Werke der Moderne dirigierte. So hatte er 1928 Schönbergs "Variationen für Orchester" in Berlin uraufgeführt, nicht zuletzt, um Verständnis für die Moderne vorzugeben. Aber die misslungene Premiere führte zu Spannungen zwischen beiden Künstlern. Dennoch war der Dirigent später bemüht, dem Komponisten in der Emigration zu helfen.

Furtwänglers Übereinstimmung mit der Ästhetik der Nationalsozialisten entsprach andererseits seinem politischen Konservatismus, der mit den radikalpolitischen Vorstellungen der Nationalsozialisten zunächst nicht kollidierte, vielmehr mit dem Selbstverständnis des deutschnationalen Flügels harmonierte, der sich in den ersten Monaten des Dritten Reiches noch behauptete. Dieser Tradition entstammte auch Richard Strauss, ab November 1933 Präsident der Reichsmusikkammer, in deren "Führerrat" Furtwängler berufen wurde.

1933 war der Dirigent auch preußischer Staatsrat. Somit unterstand er sowohl dem Reichspropagandaminister Joseph Goebbels als auch dem preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring, jeweils in doppelter Hinsicht: Goebbels in seiner Eigenschaft als Chef der Philharmoniker und Vize-Präsident der Reichsmusikkammer, Göring als Staatsoperndirektor und Staatsrat. Dazu kam eine mittelbare Unterordnung unter Adolf Hitler, da dieser über Winifred Wagner die Bayreuther Festspiele kontrollieren konnte.

Der Inbegriff des wahren Deutschland

Gleichwohl hat sich Furtwängler den Nationalsozialisten ab Januar 1933 nicht bedingungslos ausgeliefert. Er war zu einem inneren Kompromiss bereit. Denn ebenso wie Strauss war ihm inmitten einer revolutionären Gewaltherrschaft klar, dass die neuen Machthaber mangels hausgemachter Talente auf Erfahrungen der alten Kultureliten angewiesen waren -- was er für eigene Interessen nutzen konnte. Dazu gehörte, dass er von althergebrachten Werten retten wollte, was zu retten war, jedenfalls was er als Inbegriff des wahren Deutschland verstand. Das war für den humanistisch erzogenen Dirigenten nicht nur die Pflege traditioneller (deutscher) Kultur, sondern auch Toleranz gegenüber ästhetischen Stilrichtungen und deren Exponenten, einschließlich der Neuen Musik, die er selbst nicht liebte.

Jegliche Intoleranz der Nationalsozialisten lehnte er ab, namentlich ihre rassistische Politik. Er beschäftigte seit 1921 eine jüdische Privatsekretärin, Berta Geissmar, und war strikt gegen die Diskriminierung jüdischer Kollegen wie Walter und Klemperer -- erfolglos. Jüdische Musiker in seinen Orchestern suchte er zu halten, allen voran Simon Goldberg, den Konzertmeister der Philharmoniker.

Als Geissmar 1936 zu Sir Thomas Beecham nach England wechselte, war Furtwängler selbst schon angeschlagen und hätte Gelegenheit gehabt, seine Situation im Dritten Reich zu überdenken. Auslöser war der so genannte Hindemith-Skandal. Paul Hindemith hatte in frühen Jahren auch zu den "Neutönern" gehört und war von daher vielen Nazis suspekt. Trotz Furtwänglers Missachtung dieser jugendlichen Experimente verehrte Hindemith den Maestro. Bei Antritt der Nationalsozialisten befand sich Hindemith am Scheideweg. Der radikale Flügel der NSDAP unter Alfred Rosenberg hasste ihn. Hindemith hätte wie Furtwängler gleich auswandern können; stattdessen schrieb er im September 1933 an den jüdischen Komponisten Ernst Toch, er sei vom Regime "zur Mitarbeit aufgefordert worden und habe nicht abgelehnt". Anfang 1934 diente auch er in der Reichsmusikkammer-Exekutive. Hindemith hatte eine Zusammenarbeit mit den Kunsterziehern der Hitlerjugend im Sinn und sah sich berufen, "deutsche Kultur und vorerst Musik nach außen zu tragen".

Indessen hatte sich Hindemiths Musikauffassung inzwischen von der schrillen Moderne zu einem diatonischem Neo-Barock gewandelt, der den Nazis gut im Ohr klang. In konventioneller Manier konzipierte er um 1933 die Oper "Mathis der Maler", als deren orchestrales Derivat er im März 1934 die "Mathis"-Symphonie unter Furtwängler aufführen ließ. Dies vertiefte die Kluft zwischen dem radikalen Rosenberg-Flügel und gemäßigteren Kräften, die Hindemith weiterhin als akzeptablen Neuerer favorisierten. Hindemith erstrebte die nationale Uraufführung seiner "Mathis"-Oper, die als Protagonisten Matthias Grünewald vorstellte, den von den Nazis verehrten Exponenten deutscher Spätgotik.

Bis Herbst 1934 jedoch bekamen Hindemiths Gegner insofern die Oberhand, als sie die Premiere auf unbestimmte Zeit hinausschieben konnten. Furtwängler sah nun eine weitere Existenzberechtigung im Dritten Reich darin, zugunsten Hindemiths Fürsprache einzulegen. So konnte er sich mit Goebbels und Göring treffen, auch mit Führer-Stellvertreter Rudolf Hess -- aber nicht mit Hitler selbst. Da entschloss er sich Ende November zu einer Flucht nach vorn. In einer Berliner Tageszeitung brach er eine Lanze für Hindemith. Dessen frühe Experimente seien in der Tat "Jugendsünden" gewesen, immerhin aber sei Hindemith "blutsmäßig rein germanisch" und von einem "ausgesprochen ,deutschen' Typus." Hindemith sei in jeder Hinsicht zu fördern.

Obwohl sich der Dirigent teilweise der Sprache der Nazis bedient hatte, interpretierte die NS-Führung seinen Artikel als Akt politischer Unbotmäßigkeit. Ende 1934 wurde er aller öffentlichen Ämter enthoben und verlor auch seine Chefstellungen in Philharmonie und Staatsoper. Aber nach einem Kniefall vor Goebbels im Februar 1935 wurde er in sein philharmonisches Amt wieder eingesetzt und schließlich auch bei Görings Staatsoper. Dies symbolisierte die Fortdauer eines Paktes: zwischen dem Künstler, der sich zum ersten Kulturträger im Reich aufschwingen konnte (dabei schließlich auch mehr als jeder andere Musiker verdienen sollte), und der Diktatur, die dem Ausland der Reklame wegen gediegenes Kulturschaffen und kulturpolitische Toleranz vorführen wollte. Für Furtwängler ging diese Rechnung nach dem Frühjahr 1935 insofern auf, als sein ewiger Rivale Strauss vom Olymp gestoßen wurde und er mögliche Konkurrenten im Dirigentenamt -- Clemens Krauss, Karl Böhm und besonders Herbert von Karajan -- wirksam einengen konnte.

1944 stellte Goebbels "mit großer Freude" fest, dass Furtwängler, "je schlechter es uns geht, sich um so enger an unser Regime anschließt". Er sei "ein aufrechter Patriot und warmherziger Anhänger und Verfechter unserer Politik und Kriegführung. Man braucht ihm heute nur einen Wunsch zur Kenntnis zu bringen, und er erfüllt ihn gleich."

Abgesehen von 1933 und Anfang 1935 erhielt Furtwängler auch noch im Frühjahr 1936 einen Anlass zur Auswanderung, als er den Posten des Chefdirigenten am New Yorker Philharmonic Orchestra angeboten bekam. Doch Göring drohte mit dem Verbot jeder Rückkehr nach Deutschland. Eine letzte Chance kam zu Weihnachten 1938, als Richard Wagners rebellische Enkelin Friedelind ihn bat, nach einem Auftritt in Paris dort zu bleiben. Schließlich "emigrierte" Furtwängler dennoch -- Anfang 1945 in die sichere Schweiz, wohin er seine Familie vorausgeschickt hatte.

Nach dem Krieg bekam Furtwängler in Deutschland bis zum Ausgang eines Entnazifizierungsverfahrens Auftrittsverbot. In diesem suchte er den Vorwurf zu entkräften, "des Teufels Musikmeister" gewesen zu sein, wie es später einmal hieß. Zum einen habe er nach 1934 nicht mehr unter Vertrag gestanden, zum andern sei er ein unpolitischer Künstler geblieben, kein Handlanger nazistischer Willkür.

Beides war freilich unwahr. Kraft seines Prestiges im NS-Staat brauchte er keine Rechtsverträge, und politisch hat er Hitlers Regime unablässig allein durch seine Präsenz gedient. So verbrämte er den Nürnberger Parteitag der Rassengesetze vom September 1935 mit einem "Meistersinger"-Dirigat. 1938 leitete er ein Konzert für das NS-Winterhilfswerk sowie ein Sonderkonzert für die Hitlerjugend. 1942 arbeitete Furtwängler im besetzten Dänemark; 1940 und abermals 1944 dirigierte er im besetzten Prag. Er legte sich, außer für Juden und Hindemith, auch für Antisemiten und Nationalsozialisten ins Zeug, so die Komponisten Hans Pfitzner, Georg Vollerthun und Max Trapp sowie für den Dirigenten Franz von Hoesslin. Mit der erz-nazistischen Pianistin Elly Ney verband ihn eine herzliche Freundschaft.

Furtwänglers Rechtfertigung nach dem Kriege war, dass er während der gefährlichen Zeit dem geheimen Deutschland Beethovens gedient habe. Dabei übersah er allerdings, dass dieses Erbe manipulierbar war -- dass die freiheitliche Demokratie der Weimarer Republik, die er verachtete, es ebenso zu ihrem Symbol erheben konnte wie die Nazi-Tyrannei, die zu verachten er vorgab.

Michael H. Kater ist Professor für Geschichte an der York University in Toronto. Sein Buch "Komponisten im Nationalsozialismus. 8 Portraits" ist gerade im Berliner Parthas Verlag erschienen.

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